Sächsische Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann, Dirigent
Rudolf Buchbinder, Klavier
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur, op.15
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 in D-Dur, op.73
Alte Oper, Frankfurt am Main, 4. September 2017
von David Fuchs
Es ist nicht ohne ein gewisses Risiko, wenn zwei so verschiedene Künstler wie der eigenwillige, mitunter polarisierende Dirigent Christian Thielemann und der gewissenhaft zurückhaltende Pianist Rudolf Buchbinder aufeinandertreffen. Allzu oft hört man Konzerte, bei denen Solist und Orchester lustlos und widerwillig gegeneinander musizieren. An diesem Abend in der völlig ausverkauften Alten Oper in Frankfurt jedoch gelang das Treffen der beiden Meister auf das Schönste.
„Ich will von keinem Dirigenten ‚begleitet’ werden. ‚Begleiten’ ist ein schreckliches Wort“, bemerkte Buchbinder einmal in einem Interview. Und schon in den ersten Takten des 1. Klavierkonzerts von Beethoven wurde deutlich: Thielemann und die Sächsische Staatskapelle wollen mehr als nur Begleiter sein, sondern Partner und Herausforderer für den Solisten. Kein Hauch von Routine und Lustlosigkeit! Spielfreude und Begeisterung waren bis zum letzten Pult zu spüren.
Die Frische und Energie, die im ersten Satz dieses oft unterschätzten Werkes steckt, waren überall zu hören – in der wunderbar lebendig musizierten Orchesterexposition ebenso wie in der Soloexposition. Nur wenige Pianisten wissen ihren Einsatz so unaufdringlich, aber dabei so selbstbewusst zu inszenieren wie Buchbinder, der die ihm zugeworfenen Bälle souverän aufnahm und mit unendlich gelassener Meisterschaft sowohl die kantablen Linien wie die virtuosen Passagen mit Leben erfüllte.
Im weiteren Verlaufe des Satzes machten sich die akustischen Eigenheiten der Alten Oper bemerkbar: Der sehr schöne, runde Klang des Orchesters geriet stellenweise etwas streicherlastig, sodass die Bläser und sogar der Solist ein wenig überdeckt wurden. Dass dies den Musikgenuss aber niemals wirklich bedrohte, war Thielemanns sensibler Leitung und Buchbinders ausgefeilten Instinkten zu verdanken: Jederzeit gelang es ihnen, die entscheidenden Elemente fein herauszuarbeiten.
Der zweite Satz wird selten so innig und gesanglich musiziert wie von Buchbinder und Thielemann. Neben Buchbinders überaus gefühlvollem, intelligentem Spiel brillierten die glänzend aufgelegten Holzbläser und insbesondere die Soloklarinette, die in einen wunderbaren Zwiegesang mit dem Solisten eintrat.
Höhepunkt dann der dritte Satz: Bemerkenswert, wie leicht und lebendig, wie einfallsreich und bezaubernd diese Musik klingen kann. Jeder der zahllosen humorvollen Einfälle des noch jungen Komponisten klang so unverbraucht und überraschend, als ob die Musik zum ersten Mal erklingen würde. Buchbinder, bekannt für seine rigorose Quellenarbeit, trug jede Phrase durchdacht und rund vor und erschuf dabei Momente von mozartischer Leichtigkeit, ohne dass der unverwechselbare Tonfall Beethovens verloren ging. Besonders fiel immer wieder auf, wie gut der Pianist mit Thielemann harmonierte: Mit sichtlichem Spaß gestalteten beide die Dialoge von Orchester und Klavier als freudigen Wettstreit.
Kein Wunder also, dass die Zuhörer die Musiker mit anhaltendem Applaus bedachten, sodass der Solist noch das Finale der Pathétique geben konnte. Die geschmackvoll ausgewählte und überzeugend gespielte Zugabe rundete den beeindruckenden Auftritt des österreichischen Meisters ab.
Nach der Pause standen nun Thielemann, Chefdirigent seit 2012, und die Sächsische Staatskapelle allein auf der Bühne. Das Orchester ist unverkennbar „sein“ Orchester: Nur so ist zu erklären, wie feinfühlig die Musiker auf die kleinsten Bewegungen ihres Dirigenten reagieren, wie selbstverständlich sie mit seinem ungewöhnlichen Schlagstil umgehen. Und so wie sie ihn, so kennt auch Thielemann seine Musiker genau: Er kennt ihre klanglichen Möglichkeiten und weiß, wie er die letzten Feinheiten aus seinem Klangkörper herausholt.
Ideale Voraussetzungen also für eine große Herausforderung: die 2. Symphonie in D-Dur von Johannes Brahms. Thielemann verlieh dem Werk, das oft voreilig auf eine heitere Pastorale reduziert wird, eine selten gehörte Tiefe und Dunkelheit. Die Pauken- und Posauneneinsätze gleich zu Beginn verweisen auf einen Abgrund, der sich immer wieder öffnet und die lichte, gelöste Grundstimmung untergräbt. Die Exposition begann recht langsam und steigerte sich fast unmerklich, so dass auf überaus natürliche und unaufdringliche Weise ein großer Bogen entstand – das funktionierte nur dann nicht mehr, als die Exposition wiederholt und recht unvermittelt wieder auf das Anfangstempo gebremst werden musste.
Die überaus subtile und fein verwobene motivische Arbeit, die Brahms überall anbringt, kam durch das durchsichtige und unerhört präzise Spiel der Dresdner Musiker gut zur Geltung, ohne dass die Freude an den herrlichen Melodien und Klangfarben verloren ging. Besonders zu loben sind die sehr klangschönen Blechbläser und vor allem der Solohornist: Das berühmte Solo am Ende der Reprise war überwältigend schön gestaltet.
Den zweiten Satz mag man mit mehr Emphase und Pathos, den dritten mit mehr Rasanz gewöhnt sein – dafür gelangen Thielemann und seinen Musikern neue Klangfarben und sehr klare Strukturen. Die Tempi gingen nie in die Extreme, sondern ermöglichten einen ruhigen Fluss. Nicht auf Effekt waren diese Mittelsätze abgestimmt, sondern auf Architektur und Struktur.
Das Finale geriet zu einem rauschenden Triumph. Unablässig stachelte Thielemann die Sächsische Staatskapelle Dresden zu mehr Energie an und erreichte immer neue Höhepunkte. Dass bei so viel Ekstase noch Raum für Details und Durchsichtigkeit blieb, zeugt von Thielemanns Meisterschaft. Es ist nicht falsch, dass er – wie die Feuilletons unentwegt wiederholen – der deutschen Tradition sehr verbunden ist. Das war an diesem Abend immer zu hören. Doch wo Tradition so entstaubt, aufregend und mutig klingt, ist das ein Ehrentitel und bei weitem kein Makel.
Das Orchester blickt auf eine über 469-jährige Geschichte zurück – bei Thielemann ist dieser kostbare Schatz in sicheren Händen. Die Sächsische Staatskapelle gilt als eines der führenden und traditionsreichsten Klangkörper der Welt. Sie wurde am 22. September 1548 im Auftrag des Kurfürsten Moritz von Sachsen von Johann Walter gegründet und ist das einzige noch existierende Orchester, das über mehr als viereinhalb Jahrhunderte hinweg ununterbrochen musiziert hat.
So endete mit anhaltendem und enthusiastischem Applaus ein sehr gelungenes Eröffnungskonzert, das Lust auf die neue Saison in der Alten Oper machte. Einige vielversprechende Abende erwarten uns – so wie an diesem Abend kann es gerne weitergehen.
David Fuchs, 5. September 2017, für
klassik-begeistert.de
Sehr schön geschriebene Kritik! Man wäre sehr gerne dabei gewesen!
Monika Kuhnig
Eine Freude, das Konzert dank dieser wunderbar formulierten Kritik nachvollziehen zu können!
Sophie