Quo vadis, Deutsche Oper Berlin?

Saisonvorschau, Deutsche Oper Berlin,  klassik-begeistert.de

Foto: © Günter Karl Bose

Wie ein Opernhaus sich entbehrlich macht.

 von Peter Sommeregger

 Als an diesem 25. März die Deutsche Oper Berlin den Spielplan für die kommende Saison vorstellt, wartet man vergeblich auf eine Ankündigung, die überraschend, glamourös oder beides wäre. Es kann nicht nur an zwei Jahren Corona liegen, die Opernhäusern und Theatern schwere Zeiten beschert haben.

Überraschend nimmt neben dem Leitungsteam des Hauses auch noch der Regisseur Tobias Kratzer am Podium für die Pressekonferenz statt, der gleich zu Beginn derart beweihräuchert wird, dass der Weihrauch für sämtliche geplante Aufführungen der Matthäuspassion reichen würde. Man darf festhalten, dass Kratzer außer einem schrillen „Tannhäuser“ in Bayreuth bisher hauptsächlich Mediokres abgeliefert hat, wie einen verkasperten „Zigeunerbaron“ an der Komischen Oper Berlin und einen mehr als gewöhnungsbedürftigen, unbeholfenen „Fidelio“ in London. Das hindert die großen Opernhäuser der Welt nicht daran, ihn zum Star zu erklären und um ihn zu buhlen. Die Deutsche Oper sicherte sich das Ausnahme-Talent gleich für drei Strauss-Inszenierungen in den nächsten Jahren.

Im Haus an der Bismarckstraße hat man endgültig der Regie das Primat gegenüber der Musik eingeräumt. Das mag zeitgemäß wirken, macht die Deutsche Oper aber zu einer beliebigen Spielwiese für zum Teil minder begabte Regisseure. Es war auffallend, dass in dieser Pressekonferenz nicht einmal der Name eines Sängers fiel. Ausführlich wurden dagegen die Regisseure der an Zahl bescheiden ausgefallenen Neuinszenierungen erwähnt, über deren Wiedererscheinen am Haus man nicht wirklich erfreut sein kann.

Bei dem neuen „Fidelio“ wird es David Herman sein, dessen „Sache Makropulos“ von Janáček 2016 nicht überzeugen konnte. Auch die vorgesehene Besetzung lässt die Herzen nicht gleich höher schlagen, da hat das Haus bei diesem Werk eine sehr viel glanzvollere Tradition.

Für Verdis „Simon Boccanegra“ verpflichtete man den Russen Vasily Barkhatov, der situationsbedingt erst mal in Moskau festsitzt. Am Haus hat er bisher die Reimann-Uraufführung „L’Invisible“ inszeniert. Wie verlautet, soll die Handlung bei ihm nicht im mittelalterlichen Genua, sondern in der Machtzentrale eines zeitgenössischen Regimes spielen. Wie originell!

Der schon erwähnte Tobias Kratzer wird Richard Strauss’ „Arabella“ inszenieren, von Wiener Walzer-Seligkeit wird dabei sicher nicht die Rede sein.

Es folgt eine szenische Matthäus-Passion von Bach. Der Regisseur Benedikt von Peter wird dabei erneut das Publikum auf die Bühne platzieren, die Ausführenden in den Zuschauerraum. Was für eine spannende Idee.

Als fünfte Neuinszenierung wird eine Novität Premiere haben: Giorgio Battistellis „Il Teorema di Pasolini“ wird zum 100. Geburtstag Pasolinis dessen Kultfilm als Oper präsentieren, komponiert ist sie wohl aber erst teilweise. Inszenieren wird sie das britisch-irische Theaterkollektiv Dead Centre, die italienische Sängerbesetzung enthält zum Teil illustre Namen, die man aber eher in der Vergangenheit verortet.

Durch Sanierungsarbeiten verlängert das Haus seine Sommerpause bis in den November, spielt aber im Herbst an anderen Spielstätten. Da gibt es Konzertantes, was dem geprüften Publikum wenigsten Auswüchse der Regie erspart.

Die zweite Spielstätte des Hauses, die Tischlerei, wartet gleich mit vier Uraufführungen auf, mehr und mehr verschiebt sich so der Fokus des Hauses auf Experimentelles und Zeitgenössisches. Das mag progressiv wirken, man sollte aber nicht vergessen, dass Oper von einem Publikum getragen wird, dass die Werke des 18. bis 20. Jahrhunderts bevorzugt. Gefragt ist da in erster Linie Schönheit optischer und akustischer Art. Die rasante Entwicklung , mit der sich die Ästhetik des Musiktheaters in Richtung Dekonstruktion bewegt, wird von der Mehrzahl des Publikums nicht goutiert. Man muss keinen konservativen Geschmack haben, um Feinripp-Unterwäsche auf der Bühne abzulehnen, um nur einen der Fetische heutiger Ausstatter zu nennen.

Die völlig missglückte Ring-Neuinszenierung Stefan Herheims hat in der letzten Spielzeit einen ästhetischen Tiefpunkt markiert. Gut möglich, dass die nun angekündigten Premieren ihn noch unterbieten. Das Argument, mit moderneren Inszenierungen ein junges Publikum in die Häuser zu locken, ist zu kurz gedacht. Auch ein junges Publikum will Authentizität und eine Ästhetik, die sich von irgendwelchen YouTube-Videos unterscheidet. Am Ende geht man der Musik wegen in die Oper, und nicht wegen abstruser Ideen zum Teil dilettantischer Regisseure.

Natürlich gibt es auch heute Regisseure, die mit stimmigen Konzepten neue Sichtweisen auf bekannte alte Werke ermöglichen, aber die sind dünn gesät. Bei der Mehrzahl wird man den Eindruck nicht los, sie beherrschten ihr Handwerk nicht, sondern würden außer schrillem Ambiente und verfremdeter Handlung das Hauptrüstzeug, nämlich die Personenregie nicht beherrschen. Da wird zumeist plumpes Rampentheater abgeliefert, mehr nicht.

Die parallel dazu zu beobachtende Krise der Gesangskunst verstärkt noch die Sorge um die Zukunft der Oper im 21. Jahrhundert. Das Grundübel ist das Fehlen publikumswirksamer Novitäten, die ins Repertoire wachsen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden noch Werke, die bis heute gespielt werden und die für eine Erneuerung dieser Kunstform sorgten. Da heute solche Novitäten fast völlig fehlen, hat sich der Fokus unseligerweise auf die Regie verlagert. Der Drang, Stücke zu aktualisieren ist der eigentliche Kardinalfehler. Ein dramaturgisch gut gebautes Libretto ist zumeist zeitlos, die Verbesserungsversuche sind kontraproduktiv.

Kein Kino, keine Konzerthalle könnte es sich leisten, dauerhaft einen Spielplan zu haben, den das Publikum ablehnt. Den Opernintendanten sollte endlich klar werden, dass ihr Publikum trotz, und nicht wegen der Inszenierungen in die Oper kommt.

Die Deutsche Oper Berlin, in vergangenen Jahrzehnten eine Hochburg auch musikalischer Qualität, droht zum Experimentierfeld für Regisseure zu werden, während an den Sängerbesetzungen gespart wird. So wird das Haus aber auf Dauer sein Publikum verlieren. Das sollte der Kultursenat bei der Kür des neuen Intendanten für die Zeit nach 2025 bedenken!

Peter Sommeregger, 28. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

2 Gedanken zu „Saisonvorschau, Deutsche Oper Berlin,
klassik-begeistert.de“

  1. Sehr geehrter Herr Sommeregger,

    Sie sprechen mir aus der Seele! Ich besuche dreiunddreißig Jahre dieses Haus (insgesamt habe ich 53 Opernjahre auf dem Buckel) und erlebte dort Höhe- und Tiefpunkte szenischer und musikalischer Natur. Aber Corona hat einiges hervorgebracht: Viele Leute haben finanzielle Probleme, Opernbesuche sind zu teuer. Das treue Publikum stirbt weg. Dank der weitsichteigen (Un-)bildungspolitik dieses Landes ist mit einem breiten sachkundigen Publikum kaum zu rechnen. Ich weiß, wovon ich schreibe, war mein ganzes Berufsleben im Bildungsbereich tätig.
    Der treue Opernfan, in der Regel ein gebildeter Mensch, wird dazu in eklatantester Weise vergrault.
    Die Arroganz der Intendanten und Regisseure ist unendlich – das Publikum wird als Trottel verachtet, die die „genialen“ Ideen, die szenischen Neudeutungen und Aktualisierungen nicht verstehen.
    Es ko… einen an, Naziuniformen, Krankenbetten, Frauen mit Glatze, Maschinenpistolen, Klaviere, psychiatrische Kliniken, H&M-Klamotten oder auch Hotels („Giustino“ und „Halka“ in Wien liefen parallel.) auf der Bühne zum tausendsten Mal erblicken zu müssen.
    Pervertiert wird das ganze durch Sänger, die keinen Text mehr „rüberbringen“ können, so dass der unbedarfte Besucher auf die Übertitel starren muss, sodass die Musik zum Beiwerk wird.
    Die Dirigenten stecken ihre Nase in die Partitur, die scheinen kein Interesse daran zu haben, was auf der Bühne passiert.
    Jedes Stimmchen wird heute als Superstar hochgejubelt, singen ein paar Jährchen und enden dann Gesangslehrer. Wie sollen Sänger aufgebaut werden, wenn sie an großen Häusern verheizt werden, ohne Erfahrungen an einem kleinen Haus zu sammeln, sich dort auszuprobieren?
    Ich nenne keine Namen, aber die sogenannten Sängerstars sind Produkte einer Werbeindustrie.

    Wie soll der Zuschauerraum der DO gefüllt werden? Mit den laufenden Produktionen von Aida, Forza, Rigoletto, Fledermaus, Don Quichotte, Vesper oder Tristan???? Der angekündigte Schreker motiviert auch nicht zum Kartenkauf.

    Herr Schwarz, wachen Sie auf! Irgendwann ergeht es der Deutschen Oper wie dem Schillertheater, dann gucken alle aus der Wäsche. Ja wie konnte das denn bloß passieren? Wir waren doch die Guten.

    Das waren bitteschön nur einige Gedankensplitter eines ollen Berliner Opernfans, mehr nicht.

    Rainer Schönfeld

    1. Lieber Herr Schönfeld !
      Vielen Dank für Ihren Brief.
      Alles was Sie schreiben, unterschreibe ich gern!
      Neulich habe ich mit Bangen eine „Elektra“ aus Genf gesehen, gesehen, ja, nicht gehört, weil ich in jeder Sekunde dachte, die bedauernswerten Sänger würden sich zu Tode stürzen. Auf einem sich ständig drehenden, hässlichen Bühnenmonstrum mussten die armen Darsteller ihre Arbeit verrichten. Ich sage bewusst verrichten, den von einem Gestalten der Partien war ja unter diesen horrenden Gegebenheiten nicht zu denken. Das sie dennoch ihren „Job“ gemacht haben, ist anzuerkennen.
      Ich fragte mich die ganze Zeit, was wohl der Dirigent und der Intendant zu dieser ganzen Scheisse gesagt haben?!
      Vom Publikum ganz zu schweigen.

      Peter Essler-Petrusch

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