Salome, Richard Strauss
Hamburgische Staatsoper, 16. November 2016
Es sind Sternstunden der Operngeschichte, die an der Hamburgischen Staatsoper wahr werden: Auf dem Programm steht „Salome“ des deutschen Jahrtausendkomponisten Richard Strauss (1864 – 1949). Das Bühnenbild von Wolfgang Gussmann mit einer wunderbaren Treppe hat eine phantastische Tiefe, das Licht von Manfred Voss strahlt leicht bläulich wunderbar über den Protagonisten, und die Sänger werden von dem Regisseur Willy Decker dynamisch in Bewegung gesetzt.
Da erscheint die Salome in Figur von Allison Oakes, die für Simone Schneider eingesprungen ist, und singt: „Wie abgezehrt er ist! Er ist wie ein Bildnis aus Elfenbein.“ Das ist an Schönheit, an Tiefe und Kraft, an umwerfend strahlender Höhe nicht zu überbieten. Diese zehn Sekunden der Oakes sind den Eintritt bereits zehn Mal wert. Da ist es bitter für die Sänger und Musiker, dass die Staatsoper bei dieser 55. Vorstellung seit 1995 nur zu vier Fünfteln (wie so oft in Hamburg) besetzt ist; da wird mal wieder klar, dass Hamburg (noch) keine Kultur- und Touristenmetropole wie das 980 Kilometer entfernte Wien ist, wo die Aufführungen an der Staatsoper stets ausverkauft sind, zu 99,8 Prozent – ganz gleich, was auf dem Spielplan steht.
Und da wird auch beim Schlussjubel, der für diese Besucherzahl ordentlich ausfällt, klar, dass Hamburg keine Opernstadt wie Berlin ist, wo der Jubel an den beiden größten Opernhäusern, der Staatsoper im Schiller Theater und der Deutschen Oper Berlin, deutlich leidenschaftlicher und enthemmter ausfällt als im Haus an der Dammtorstraße.
Die Britin Allison Oakes ist ein Genuss. Allein, wie sie traumwandlerisch die großen Treppen auf der Bühne entlangläuft und – tänzelt, ist eine Augenweide. Und ihr Gesang: himmlisch, „divine“ – göttlich. Die Oakes singt seit 2013 bei den Bayreuther Festspielen: Freia in Richard Wagners „Das Rheingold“, Gerhilde in „Die Walküre“ und Gutrune in „Götterdämmerung“. Das sind keine Hauptrollen wie an diesem Abend die Salome. Aber wichtige, prägende Partien – klassik-begeistert hat die Oakes auf dem „Grünen Hügel“ 2015 und 2016 gehört. Sie war Weltklasse. Sie ist auch an diesem Abend in Hamburg Weltklasse. Sie bezaubert, betört, beschwingt, lässt mitfühlen und mitleiden. Ihr gehört die Zukunft.
Wer die Oakes hört, der möchte nicht, dass die Salome nach 1 Stunde und 40 Minuten zu Ende ist. Die studierte Röntgendiagnostikerin hat im September 2015 schon die Isolde in Wagners „Tristan und Isolde“ am Theater Dortmund gesungen – im April 2017 wird sie die Partie im Teatro Verdi di Trieste darbieten – das ist sicherlich einen kleinen Kurzurlaub an die obere Adria wert.
Auch der „Neue Merker“ war von Allison Oakes angetan. Sie hupfte als Salome „mit einer unglaublich leichtfüßigen Art über die Treppen und wirkte dabei noch erotisch. Sie hatte in fast jeder Szene eine lasziv-sinnliche Ausstrahlung – auch im ‚Tanz der sieben Schleier’, obwohl sie nicht einen einzigen abwarf. In ihrem engen weißen Kleid, das nur ab den Knien weitgeschnitten war, schwebte sie auf verführerische Art über die Stufen der Treppe und sang ihre Partie makellos in den höchsten Tönen. In der letzten Szene platzierte sie den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan oberhalb seines dunklen Mantels, auf dem sie sich bäuchlings niederließ, um triumphierend mit hoher Stimme ‚ich küsse deinen Mund, Jochanaan’ zu singen. Eine großartige Schluss-Szene, bei der dem Publikum der Atem stockte – ehe es in einen offenbar befreienden Jubel ausbrach, als der Vorhang fiel.“
Die Britin kann auch hochdramatisch singen, mit betörendem Vibrato: „Du wolltest mich nicht Deinen Mund küssen lassen, Jochanaan!“ Wow, packend. Hinreißend! Und dann wieder sanfter, zarter: „Wie abgezehrt er ist! Er ist ein Bildnis aus Elfenbein.“ Oder zu Jochanaan: „Nichts auf der Welt ist so weiß wie Dein Leib.“ Sternstunden an der Dammtorstraße.
Und dann war da noch ein Phantastischer, ein Überzeugender, ein Bitte-Sing-Weiter-Mann auf der Bühne: Der Tenor Jürgen Sacher als Herodes. Ja, das war eine tolle, eine strahlende Höhe und eine wunderbare Mittellage – das überzeugte an diesem Abend. Der gebürtige Augsburger ist seit 1991 als Ensemblemitglied an der Hamburgischen Staatsoper engagiert.
Der Bariton Wolfgang Koch als Jochanaan lieferte eine sehr gute, aber keine hervorragende Darbietung. Ihm fehlte bisweilen die nötige Ausstrahlung in der Tiefe und die Strahlkraft im höheren Register. Klassik-begeistert.de war von ihm hingerissen als Wotan in „Das Rheingold“, „Die Walküre“ und als Wanderer in Wagners „Siegfried“, des „Ring des Nibelungen“ dritter Teil, bei den Bayreuther Festspielen 2015. Auch als Hans Sachs in Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ bot Wolfgang Koch an der Bayerischen Staatsoper in München am 31. Juli 2016 eine herausragende Performance.
„Wolfgang Koch ist ein begnadeter Wagner-Interpret“, schrieb dieser Blog im Juli 2016. „Ja, er ist die Idealbesetzung für den Hans Sachs, man kann sich keinen besseren Hans Sachs vorstellen. Mühelos singt er über das Orchester hinweg und das immer sehr textverständlich.“
Der Wagner-Bariton Koch singt im November an der Hamburgischen Staatsoper auch noch den Friedrich von Telramund in Wagners „Lohengrin“ – den er im Dezember auch an der Deutschen Oper Berlin zum Besten geben wird und im Januar in der Opéra National de Paris.
Eine Person an diesem Abend, die Südkoreanerin Hellen Kwon als Herodias, gab indes einen schwächeren Auftritt ab. Das 55 Jahre alte Ensemblemitglied (seit 1987 !) der Hamburgischen Staatsoper bekam für den teilweise recht dünnen Mezzosopran zu Recht den übersichtlichsten Beifall des Publikums. Ihre Spielfreude hielt sich in Grenzen. Sie quittierte die Reaktion der Zuschauer nach der Aufführung mit einem Blick, der sagte: „I am not amused.“
„Gib mir den Kopf des Jochanaan!“: König Herodes muss die ungeheuerliche Forderung seiner Tochter Salome erfüllen – ihn bindet das Versprechen, ihr für einen Tanz zu geben, was immer sie auch verlangen möge. Im Licht des Mondes küsst die Prinzessin das abgeschlagene Haupt des Propheten, der sie so in seinen Bann geschlagen hatte. Herodes befiehlt seinen Soldaten, Salome zu töten.
Schwer erträglich war diese gleichsam rauschhafte wie verstörende Schlussszene für einige Gäste der Uraufführung im Dresden des Jahres 1905: Und doch bediente Richard Strauss mit seinem Einakter „Salome“ nach Oscar Wildes Drama den Zeitgeist, der nach Exotik und Dekadenz verlangte. Auch wenn die Oper an manchen Theatern – wie an der Wiener Staatsoper bis 1918 – zunächst noch mit Aufführungsverbot belegt war, trat „Salome“ doch schnell ihren Siegeszug über die Bühnen der Welt an.
„’Salome’ ist die brillanteste und avantgardistisch kühnste Partitur von Strauss“, sagt der Musikkritiker Rolf Fath. „Seine Musik treibt die grauenhafte Perversion der Handlung noch schärfer hervor als Wildes Stück.“ Strauss schrieb: „Ich hatte schon lange an den Orient- und Judenopern auszusetzen, dass ihnen wirklich östliches Kolorit und glühende Sonne fehlt. Das Bedürfnis gab mir wirklich exotische Harmonik ein, die besonders in fremdartigen Kadenzen schillert, wie Changeant-Seide. Der Wunsch nach schärfster Personencharakteristik brachte mich auf Bitonalität.“
Rolf Fath ergänzt: „Neben der genannten Bitonalität sind Leitmotivtechnik und eine Orchestrierung, die alle Farbmöglichkeiten des 106-Mann-Orchesters ausreizt, Kennzeichen dieser stimmungsmächtig leuchtenden, von schwülem Kolorit erfüllten Partitur; dank seiner souveränen Beherrschung der künstlerischen Mittel gelangen Strauss in der Tat Momente von atemloser Spannung, rein aus der Musik; mittels tonmalerischer Raffinesse und harmonischer Reibungen entschlüsselte er auf das Intimste die psychische Verfassung der Personen.“
Der Dirigent Kent Nagano, 64, zeigte, dass er seinem Philharmonischen Staatsorchester nach den recht dürftigen Zweit- und Drittbesetzungsauftritten im September und Oktober, als die Stammformation mit dem US-Amerikaner durch Südamerika tourte, Spielfreude, Präzision und Wohlklang abzufordern in der Lage ist. Das war ein wunderbarer Strauss’scher Salome-Klang: schillernd, reizvoll, sinnlich.
Die exzellente Personenführung des Regisseurs Willy Decker beeindruckte die rund 1600 Zuschauer an diesem Abend. Auszüge aus einer Einführung des Regisseurs, die im Programmheft unter dem Titel „Ein Ort der Kälte“ abgedruckt ist, weisen auf seine Idee mit der Treppe hin: „Die Pracht im Palast des Herodes liegt eigentlich hinter der Bühne und ist nicht sichtbar. Die Terrasse, auf der die Oper spielt, ist eher ein Ort der Einsamkeit und Schmucklosigkeit, wo Dinge versteckt sind, die man lieber verdrängt. Es ist ein deprimierender Ort, an dem man sich im allgemeinen nicht gerne aufhält, zu dem man herabsteigt. Daher auch ist die Bühne eine riesige Treppe, denn eine Treppe ist im Grunde kein Ort, sondern ein Weg. Das Gefühl von Haltlosigkeit, keinen klaren Boden unter den Füßen zu haben, beschreibt für mich die Grundsituation des Stücks. Wir befinden uns in einer Welt des Übergangs, der Dekadenz – und dieses Wort bedeutet ursprünglich Abstieg. Es geht ein Riss durch diese Welt, und im Zentrum des Risses sitzt Jochanaan, verdrängt und unberührt, dessen Worte die Herodes-Welt zum Einstürzen bringen.“
Die Handlung in Kürze: Im Palast wird der Geburtstag des Tetrarchen Herodes Antipas gefeiert. Narraboth, der Hauptmann der Palastwache, schwärmt auf der Terrasse von der Schönheit Salomes, der Stieftochter des Herodes. Man hört die Stimme des Propheten Jochanaan, den Herodes gefangen hält. Der Prophet verkündet mit visionären Worten das Kommen des Reiches Christi.
Angewidert von den Feierlichkeiten stürzt Salome ins Freie. Sie hört Jochanaans Stimme. Fasziniert von seinen Worten bittet sie Narraboth, den Propheten zu ihr zu führen. Narraboth kann ihren Schmeicheleien nicht widerstehen und befiehlt, Jochanaan aus dem Verlies zu holen, obwohl dies streng verboten ist.
Der Prophet nimmt zunächst keine Notiz von Salome. Er erhebt Anklage gegen die Lasterhaftigkeit von Herodes und dessen Frau Herodias. Die Fremdheit seiner Erscheinung steigert Salomes Verlangen. Sie will seinen Leib und sein Haar berühren, schließlich seinen Mund küssen. Narraboth beobachtet die Szene und ersticht sich aus Verzweiflung. Der Prophet weist Salome schroff zurück und verflucht sie, bevor er wieder ins Verlies hinabsteigt.
Auf der Suche nach Salome erscheint Herodes auf der Terrasse, gefolgt von der eifersüchtigen Herodias. Angesichts des toten Narraboths und der Prophezeiungen Jochanaans überfallen ihn unheilvolle Ahnungen. Die Worte Jochanaans entfachen einen theologischen Streit unter den Juden. Herodias, von den Schmähungen besonders angegriffen, fordert, der Prophet solle zum Schweigen gebracht werden. Um sich von seiner Angst und Verunsicherung abzulenken, bittet Herodes Salome, für ihn zu tanzen. Sie willigt erst ein, als er unter Eid verspricht, ihr als Lohn alles zu geben, was sie wünscht.
Nachdem sie Herodes‘ Wunsch erfüllt hat, fordert Salome, man möge ihr auf einer Silberschüssel den Kopf Jochanaans bringen. Herodes, der den Propheten für einen Heiligen hält, bietet alle Schätze, um sie von diesem Wunsch abzubringen. Doch Salome beharrt auf ihrer Forderung. An seinen Eid gebunden, muss Herodes nachgeben und lässt Jochanaan enthaupten. Man reicht Salome seinen Kopf. In ekstatischer Selbstvergessenheit küsst sie den Mund des Toten.
Andreas Schmidt, 18. November 2016
klassik-begeistert.de
Richard Strauss – Großmeister der Manipulation
Wie die Geschichte (Salome) ausgeht, sei bekannt.
Salome bewegt sich beim Tanz der sieben Schleier in Ekstase. Die Musik ist vulgär, obszön, fast pornographisch. Man meint Walzerklänge zu hören. Strauss kündigt die Katastrophe heiter an.
Im Finale küsst Salome das abgeschlagene Haupt von Johannes. Dann der befreiende Satz von Herodes: „Man töte dieses Weib!“
Und was passiert beim Zuschauer?? Er geht heiter und entspannt nach Hause. Kein Mitleid, kein beklemmendes Gefühl mit dieser Dame.
Der Forensiker würde sagen: nicht schuldfähig – Sicherheitsverwahrung, der Jurist: gegen Tote kann nicht ermittelt werden, der Steuerzahler: schon Prozesskosten gespart.
Die Salome in Hamburg in einer grandiosen Inszenierung mit einem nicht weniger grandiosen Kent Nagano.
Kann man die Salome besser singen und interpretieren wie von Allison Oakes geboten? Schwer vorstellbar.
Das Hamburger Publikum hat indes wieder durch Abwesenheit geglänzt. Traurig, dass in einer so großen Stadt wie Hamburg diese Inszenierung so wenig Zuschauer begeistern kann.