Fot0: Samuel Ramey als Mefistofele an der Oper von San Francisco – YouTube.com
Der Bösewicht lenkt leider nur allzu oft die Geschicke der Weltgeschichte! Aber auch die Geschichten der Welt kommen ohne ihn kaum aus. Erst der Verrat von Judas ermöglicht die Leidensgeschichte von Jesus Christus! Ohne den bösen Wolf würde Rotkäppchen mit ihrer Großmutter warme Schokolade trinken, Kekse essen und dann wieder brav nach Hause gehen! Auch in der Oper ist es fast immer der Bösewicht, der die Handlung vorantreibt und interessant macht! Dabei fällt auf, dass die Mehrzahl der Bösewichte dem Bariton und dem Bass zugedacht sind.
von Jean-Nico Schambourg
Die Verteilung der verschiedenen Charakteren unter den männlichen Stimmlagen ist in der Oper seit langer Zeit ziemlich klar geregelt: auf der einen Seite der Tenor als braver Held und Liebhaber, auf der anderen Seite die tiefen Männerstimmen als die bösen Gesellen des Geschehens!
Diese Aufteilung wirkt sich musikalisch und szenisch aus. Der Tenor stolziert wie ein Pfau über die Bühne. Sein Singen erinnert dabei auch teilweise an dessen Geschrei, was schon Gioachino Rossini zur Aussage anregte, dass “das mit voller Stimme gesungene Hohe C sich anhöre wie der Schrei eines Kapauns, dem man die Gurgel durchschneidet”. Mit seinem albernen Gequäke singt er sich stundenlang durch den Abend, schmiert sich bei Sopran und Publikum ein. Wie von Herbert Grönemeyer besungen ist sein Mannsbild “außen hart, doch innen ganz weich!”. Am Ende jedoch zieht er fast immer den Kürzeren gegenüber seinen Rivalen aus dem F-Schlüssel.
Die wenigen “fiesen” Tenorrollen sind schmierige Typen und kennzeichnen sich eher durch Feigheit, wie zum Beispiel Herodes in “Salome” oder Aegisth in “Elektra” von Richard Strauss, oder auch Monostatos in Mozarts “Zauberflöte” aus.
Da sind die tieferen Stimmlagen, Bariton und Bass, doch aus ganz anderem Holz geschnitzt: herrisch, stark, hart im Nehmen und Geben, unerbittlich gegenüber dem Feind, eben richtige (gemeine) Kerle!
Das Böse kann dabei verschiedene Gesichter annehmen. Der brutale, gewalttätige Typus ist meistens dem Bariton vorbehalten. Er schreckt nicht davor zurück, seine Macht voll auszuspielen. Dies tut er sogar mit Hilfe von Straftaten: Folter, Erpressung und sogar Mord sind seine Mittel, wenn er mit Hinterlist die Geschehnisse nicht zu seinem Vorteil drehen kann. Gegenüber Frauen ist er dominant. Mit fester, männlicher Stimme singt er sein Begehren direkt heraus, braucht dazu keine säuselnden, nächtlichen Serenaden in schummrigem Licht.
Dem Bass sind andere Arten des Bösen vorbehalten. Sein Auftreten kennzeichnet sich oft einfach durch Schlechtigkeit: Osmin in “Die Entführung aus dem Serail” von Mozart, Basilio in “Il barbiere di Siviglia” von Rossini, aber auch der egozentrische “aufgeblasene, schlechte Kerl” wie die Marschallin im “Rosenkavalier” von Richard Strauss den Ochs von Lerchenau beschreibt, gehören in diese Kategorie. Mit tiefen Bass poltern sie einfach drauf los, um sich persönliche Vorteile zu sichern.
Auch die Interpretation des Größten unter den Bösen ist fast immer von den Komponisten dem Bass zugeschrieben worden: die Rolle des Teufels! “Mefistofele” von Boito, “Faust” von Gounod, “La damnation de Faust” von Berlioz sind hier die bekanntesten Beispiele. Hier kann der Bass die verschiedenen Facetten seiner Stimme vorführen: mal zynisch, mal verführerisch, mal brutal. Sogar komische Charakterzüge kann er dem Teufel verleihen wie in “Grisélidis” von Massenet.
Egal in welcher Form der Bösewicht schlussendlich auftritt, seine Figur fasziniert das Publikum, genauso wie es die Komponisten inspirierte. Fast alle Werke wären ohne den Bösewicht uninteressant, ja, sogar inexistent! Stellen wir uns doch einfach mal die Oper ohne ihn vor.
Was wäre denn Puccinis “Tosca” ohne Scarpia? Die Geschichte einer religionsfanatischen Soubrette, deren Geliebter andere Frauen malt und, wer weiß, vielleicht auch noch anderweitig verewigt. Erst durch Scarpias Intrigen keimt in Tosca die Eifersucht richtig auf, die das Unglück schlussendlich in Gang setzt.
Ohne Jagos gifteinflößende Hinterhältigkeit würde Otello doch nie an der Unschuld von Desdemona zweifeln. Dazu ist er doch ein viel zu sehr von sich selbst überzeugter Macho: er hat schließlich die Türken auf dem Schlachtfeld und das venezianische Blondchen im Bett bezwungen! Ohne Jagos Intrigen wäre nach dem Liebesduett im ersten Akt Feierabend.
Ohne Mephistos Erscheinen und seiner Hilfe würde der greise Doktor Faust den fatalen Gifttrank zu sich nehmen und nie den sündigen Gelüsten der Jugend erliegen und Gretchen verführen. Diese würde dann wahrscheinlich als Jungfrau sterben.
Ohne Tonios Verpetzen würde Nedda abends still und heimlich mit Silvio verschwinden. Canio würde sich mit den Dorfbewohnern voll laufen lassen und nichts davon bemerken. “La commedia è finita”, bevor sie überhaupt erst richtig angefangen hat!
Ohne die vier Bösewichte, die ihm immer wieder die Frauen vor der Nase wegschnappen, würden Hoffmanns Erzählungen niemanden interessieren, außer vielleicht die Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker, der er beitreten würde.
Ohne Alberichs Fluch müssten die Götter während der nächsten drei sehr langen Abenden von Wagners Tetralogie in Walhall herumhocken, Skat spielen und Met trinken. Wotan hätte dabei, wortwörtlich, die schlechteren Karten, kann er doch, mit nur einem Auge, schlecht schummeln.
All diese Geschichten würden brav enden wie die Märchen der Brüder Grimm: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute! Das Publikum würde langweilig gähnend sich die biederen Lebens- und Liebesgeschichten von Sopran und Tenor anhören und sich an sein eigenes Dahinsiechen erinnert fühlen.
Als Bass komme ich daher zu meinem klaren Fazit: erst durch die Rolle des Bösen werden die Libretti der Oper interessant. Und wenn diese auch noch gesungen und gespielt werden von uns Sängern, die wir uns in den Partituren am F-Schlüssel orientieren, dann wird die Geschichte noch viel “bässer”!
Jean Nico Schambourg, 9. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S.: Um einem eventuellen Missverständnis vorzubeugen: meine Faszination für Bösewichte beschränkt sich natürlich auf das Theater!
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Jean-Nico Schambourg, Jahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.
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