Schammis Klassikwelt 24: Sänger-Komponisten der Klassik – Teil 3

pasted-image.tiff
“The Last Hours of Mozart”, Gemälde von Henry Nelson O’Neil (1849)

Ist es von Vorteil, wenn man zugleich Komponist und Sänger ist? Kann in dem Fall der Komponist die Partitur sänger-freundlicher gestalten? Und umgekehrt, versteht ein Sänger es dann besser die Ideen des Komponisten umzusetzen? Den meisten ist diese doppelte Begabung nicht gegeben. So sind auch die in diesem Beitrag aufgeführten Künstler, meistens hauptsächlich wegen einer Gabe im Gedächtnis der Musikwelt geblieben, obwohl sie sich am Komponieren und am Singen versucht haben.

Dieser Beitrag hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern erzählt nur einige Fakten und Anekdoten aus dem Leben einiger Sänger-Komponisten. Bei meiner Auflistung beschränke ich mich auf diejenigen, die eine gewisse Berühmtheit als (Opern)Sänger errungen haben. Sicherlich werde ich dabei einige übersehen haben.

von Jean-Nico Schambourg

Auch von den im dritten Teil meines Artikels aufgeführten Sänger-Komponisten gibt es noch keine Tonaufnahmen. Man kann sich allerdings ein besseres Bild von ihren Sangeskünsten machen, da die Musik die sie sangen, aber auch jene die sie komponierten, uns allgemein geläufiger ist.

Endete der zweite Teil meines Beitrags mit einem von Mozart hochgeschätzten Kastraten, Venanzio Rauzzini, so beginnt dieser dritte Teil mit drei Sängern, in deren Leben Mozart eine bedeutende Rolle spielte.

Der erste davon, Ludwig Fischer (1745-1825), war ein deutscher Opernbassist, berühmt für seinen Stimmumfang von zweieinhalb Oktaven. Über Mainz und Mannheim kam er nach München, wo er große Erfolge feierte. 1780 zog er um nach Wien, wo Mozart ihn 1782 als ersten Osmin seiner Oper “Die Entführung aus dem Serail” einsetzte.

1783 trat Fischer erfolgreich in Paris auf. Er bereiste anschließend Italien und trat 1785 in Dresden, Wien und Prag auf. 1789 wurde er festes Mitglied der Berliner Hofoper und gastierte in London, Leipzig und Hamburg. 1812 zog er sich von der Bühne zurück.

Vom Komponisten Fischer ist vor allem sein Trinklied “Im kühlen Keller sitz’ ich hier“ aus dem Singspiel “Der Kritikaster und der Trinker” bis heute bekannt. Hier eine kleine Hommage an den kürzlich verstorbenen Dresdner Bassisten Gunther Emmerlich.

Gunther Emmerlich: Im tiefen Keller sitz ich hier (Video auf YouTube ansehen)

Ein anderer großer Bassist, der an der Uraufführung einer Oper von Mozart teilnahm, war Franz Xaver Gerl (1764-1827). Er sang die Rolle des Sarastro in der Uraufführung der Oper “Die Zauberflöte”. Seine Ehefrau Barbara sang dabei die Rolle der Papagena.

Nach seinem Gesangstudium in Salzburg trat er in den Dienst der Theatertruppe in Erlangen von Ludwig Schmidt. Anschließend ging er nach Düsseldorf, Mainz und Köln, wo er jeweils hauptsächlich Buffo-Rollen sang. 1787 schloss er sich der Truppe von Emanuel Schikaneder an, für die er den Osmin aus Mozarts “Entführung” sang. 1789 ließ sich die Truppe am Theater auf der Wieden in Wien nieder.

In Schikaneders Truppe ging es mehr oder weniger kollegial zu. Mehrere Sänger und Komponisten schrieben an den Singspiel-Partituren. Daher war Gerl dort auch als Komponist tätig und arbeitete zusammen mit Schikaneder, Henneberg, Benedikt Schack (der später den ersten Tamino sang) und sogar Mozart. Aus dieser Zusammenarbeit entstand 1789 das Singspiel “Der dumme Gärtner”, 1790 “Der Stein der Weisen” und “Don Quixote und Sancho Pansa”.

Konstantin Krimmel: “Den Mädchen trauet nicht zu viel…” (Der Stein der Weisen)

 Ein Jahr später kam es dann zur Aufführung der “Zauberflöte”, wo Gerl den Sarastro sang. Schon vorher hatte Mozart die Baßarie “Per questa bella mano”, KV 612, für ihn komponiert.

1794 verließ Gerl die Schikanedertruppe und ging nach Brünn, wo er bis 1801 blieb. Danach sang er in Mannheim u.a. in Opern von Méhul, Soler, Dalayrac und Spontini. Am Ende seiner Karriere orientierte er sich immer mehr dem Sprechtheater zu.

In Wien ist Gerl, wie vorher gesehen, Benedikt Emanuel Schack (1758-1826), in der Schikanedertruppe, begegnet. Im Mai 1786 wurde dieser in Salzburg von Emanuel Schikaneder engagiert, und folgte dessen Ensemble nach Augsburg und Regensburg. Als Schikaneder 1789  Regensburg Richtung Wien verließ, begleitete Schack ihn.

In Wien lernte er auch Wolfgang Amadeus Mozart kennen, zu dem eine tiefe Freundschaft entstand. Mozart unterstützte den Freund bei dessen Arbeiten als Komponist. So wurde die Anekdote erzählt, dass Mozart oft zu Schack kam, um ihn für einen Spaziergang abzuholen. Während Schack sich anzog, setzte sich Mozart an dessen Schreibtisch und komponierte hier und da ein Stück in Schacks Opern hinein. So stammen mehrere Passagen in Schacks Opern aus Mozarts Feder.

Wie bei Franz Xaver Gerl vorher gesehen, schrieb Schack auch an vielen, der von der Schikaneder-Truppe aufgeführten, Singspielen mit.

Sarah Traubel: “Auch im Schlummer seh’ ich dich” (Die beiden Antone) –

https://youtu.be/_hJN4hnA4Z4?si=-22xAft233VWiRbU

Im Theater auf der Wieden sang er dann am 30. September 1791 in der Uraufführung von Mozarts “Zauberflöte” den Tamino, Rolle die er insgesamt 116 Mal in Wien gesungen haben soll. Auch seine Frau Elisabeth Weinhold war bei der Uraufführung mit von der Partie, sang sie doch die dritte Dame der Königin der Nacht. In Schikaneders Gruppe, war halt alles Freundes- und Familiensache!

Fritz Wunderlich: “Wie stark ist nicht dein Zauberton” (Die Zauberflöte)

Schack blieb ein treuer Freund von Mozart bis zu dessen Tode am 5. Dezember 1791. Zum Ende von Mozarts Leben besuchte er diesen täglich. Er gehörte auch, neben Gerl, zu den Sängern, mit denen Mozart, noch am Vortag seines Todes, Teile aus seinem Requiem probte.

Im Jahre 1793 verließ Schack Schikaneder und siedelte bis 1796 um nach Graz. Dann zog es ihn an das Hoftheater in München, wo er bis zu seiner Pensionierung 1805 sang. Fortan beschäftigte er sich nur mehr mit Kirchenmusik und komponierte noch 6 Messen, 2 Requiem, Gradualien und Offertorien, eine Messe für 4 Männerstimmen mit Orgel, 2 Trauerkantaten, viele mehrstimmige Lieder.

Anscheinend sang er als Kind die Arie der Königin der Nacht aus der “Zauberflöte” mit phänomenalem Sopran, der sich später zu einer hervorragenden Tenorstimme entwickelte. Die Rede ist von Johann Carl Gottfried Loewe (1796-1869).

Carl Loewe ist vor allem für seine Lieder, insbesondere seine dramatischen Balladen, bekannt. Dabei war er jedoch nicht nur ein fleißiger Komponist, der über 400 Lieder und Balladen, 17 Oratorien, 6 Opern und 2 Sinfonien schrieb. Er war auch Organist, Kantor, und Sänger. Als letzterer, versehen mit einer guten Tenorstimme, unternahm er mehrere längere Tourneen durch Deutschland, besuchte aber auch England, Frankreich, Schweden, Norwegen und Österreich. Er war dabei ein gefragter Interpret seiner Balladen, wobei er sich am Klavier selbst begleitete. In Wien bezeichnete man ihn als den “Schubert Norddeutschlands”.

Schon als Kind war er Mitglied des Köthener Knabenchors, sang dann während seiner Studienzeit als Sopransänger im Stadtsingechor zu Halle und trat als Solist bei Konzerten auf. Später trat er als hervorragender Tenor bei Aufführungen der Singakademie unter der Leitung Johann Friedrich Naues und vielen anderen Gelegenheiten hervor. In dieser Zeit in Halle komponierte Loewe auch seine ersten Balladen: den “Erlkönig” und “Edward”.

Hans Hotter: Edward, Op. 1 Nr 1: https://youtu.be/r2aFFifsrQU?si=B-dgnXVps9BlJQts

Am Ende seines Studiums ging er nach Stettin, wo er Organist und Kantor wurde und wo er 46 Jahre lang tätig war. Er gründete dort den Pommerschen Chorverband. Nach dem Tode seiner ersten Frau Julie von Jacob heiratete er Auguste Lange, die eine versierte Sängerin war. Gemeinsam sangen sie mit großem Erfolg in seinen Oratorien.

Auch als Dirigent und Pianist trat er in Erscheinung. So dirigierte er 1827 die Uraufführung der Ouvertüre “Ein Sommernachtstraum op. 18” des 18-jährigen Felix Mendelssohn. Gemeinsam mit  Mendelssohn war er auch Solist in dessen Konzert in As-Dur für 2 Klaviere und Orchester.

Loewes wesentlicher und bleibender Verdienst in der Kunst bleiben allerdings seine Balladen. Seine Vertonungen des “Erlkönigs”, “Archibald Douglas”, “Heinrich der Vogler”, “Tom der Reimer”, “Edward”, “Die Uhr” sind nur einige seiner vielen herausragenden Kompositionen.

Albert Lortzing (1801-1851) kennt man heute als der “Erfinder” der sogenannten deutschen Spieloper. Vor allem seine Opern “Zar und Zimmermann” und “Der Wildschütz” tauchen regelmäßig in den Spielplänen deutschsprachiger Opernhäuser auf. Insgesamt schrieb Lortzing 18 Bühnenstücke (Opern, Singspiele und Vaudevilles).

Begonnen hat er seine künstlerische Laufbahn allerdings als Schauspieler und Sänger. Schon in Kindesjahren zog er mit seinen Eltern, die einer Schauspieltruppe angehörten, durch deutsche Landen und trat in den Pausen mit lustigen Gedichten auf. Später hatte er Erfolg als Schauspieler und Sänger in Rollen des jugendlichen Liebhabers.

1824 heiratete Lortzing die Schauspielerin Rosina Regina Ahles. Von 1826 bis 1833 waren beide am Theater in Detmold engagiert. In dieser Zeit komponierte Lortzing auch erste Singspiele und Vaudevilles. Ab 1833 waren beide dann am Leipziger Stadttheater engagiert. 1837 wurden dort seine Opern “Die beiden Schützen” und “Zar und Zimmermann” uraufgeführt. Lortzing selbst sang in letzterer die Rolle des Peter Iwanows, doch der große Durchbruch gelang ihm erst bei seinen Berliner Aufführungen im Jahr 1839.

Hermann Prey: “Sonst spielt ich mit Zepter, mit Krone und Stern” (Zar und Zimmermann):

Drei Jahre später, 1842, stellte sich in Leipzig der Erfolg erneut ein mit der Oper “Der Wildschütz”. 1844 wurde ihm in Leipzig ein Vertrag als Kapellmeister angeboten, doch schon ein Jahr später wurde er aus fadenscheinigen Gründen entlassen. Ab da an hatte Lortzing immer wieder Mühe, seine Vollzeitposten als Dirigent zu behalten. So erging es ihm auch in Wien, wo er von 1845 bis 1848 Kapellmeister am Theater an der Wien war und in deren Zeit auch die Uraufführung statt fand seiner Oper “Der Waffenschmied” mit der bekannten Arie des Stadinger “Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar”.

Lortzing trat wieder als Schauspieler, Sänger und Gastdirigent in Gera und Lüneburg auf, um seine große Familie zu ernähren. Mit seiner Frau Rosina Regina hatte er elf Kinder, von denen aber nur sechs das Kindesalter überstanden.

Ein letztes Engagement erhielt er 1850 als Kapellmeister in Berlin am Friedrich-Wilhelm-Städtischen Theater. Lortzing verstarb in der Nacht zum 21. Januar 1851, überarbeitet und hochverschuldet. Am Abend des 21. Januars war die Uraufführung seiner letzten Oper “Die Opernprobe”.

Der letzte Sänger-Komponist, den ich in diesem Kapitel anführe, François van Campenhout (1779-1848), ist heute kaum Jemandem außerhalb Belgiens ein Begriff. Er war ein belgischer Opernsänger, Dirigent und Komponist.

Nachdem er eine Zeit lang Bratschist am Théâtre de la Monnaie in Brüssel war, begann er eine Laufbahn als Tenor an der Oper in Gent. Dies war der Beginn einer erfolgreichen Opernkarriere, die ihn nach Brüssel, Antwerpen, Paris, Amsterdam, Den Haag, Lyon und Bordeaux führte. 1828 beendete er seine Karriere als Sänger und wurde Dirigent in Brüssel, wo er 1848 starb.

Campenhout schrieb eine Vielzahl von Werken: 17 Opern, darunter “Grotius ou le Château de Lovesteyn” und “Passe-Partout”, “L’heureux mensonge”, Werke die heut vergessen sind. Außerdem komponierte er Ballettmusik, Sinfonien, Messen, Kantaten und Chormusik. Aber vor allem ist er bekannt als Komponist der belgischen Nationalhymne “La Brabançonne”, die er im September 1830 während der belgischen Revolution schrieb und selbst in den Straßen sang.

pasted-image.tiff
“François van Campenhout singt La Brabançonne“, Gemälde von Antoine Van Hammee (1880)

Die Sänger-Komponisten dieses Kapitels kamen alle aus dem nördlichen Teil Europas. Dass es auch im südlichen Teil Europas Sänger gab, deren musikalische Begabung sich nicht nur auf das Wiedergeben Werke anderer beschränkte, sehen wir im nächsten Kapitel, das sich hauptsächlich mit den Primadonnen des 19. Jahrhunderts beschäftigt.

Jean-Nico Schambourg, 28. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 4 „………….“ können Sie hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at am Sonntag, 4. Februar 2024 lesen.

Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.

                                                                                                         

Jean-Nico SchambourgJahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.

Schammis Klassikwelt 22: Sänger-Komponisten der Musikgeschichte – Teil 1 klassik-begeistert.de, 14. Januar 2024

Schammis Klassikwelt 23: Wenn Sänger zum Notenblatt greifen – Teil 2 klassik-begeistert.de, 21. Januar 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert