Schammis Klassikwelt: Musik und Freundschaft verbanden sie ein Leben lang – Sergei Rachmaninow und Fjodor Schaljapin

Schammis Klassikwelt: Musik und Freundschaft verbanden sie ein Leben lang – Sergei Rachmaninow und Fjodor Schaljapin

Foto (c) Sergei Fjodor 

Musik und Freundschaft verbanden sie ein Leben lang: Sergei Rachmaninow und Fjodor Schaljapin

Von vielen berühmten Musikern feiern wir dieses Jahr den 150. Geburtstag: Enrico Caruso, Leo Slezak, Leo Fall, Max Reger, um nur einige zu nennen. Auch Sergei Rachmaninow und Fjodor Schaljapin sind in dem “Anno mirabilis 1873” geboren. Was diese beiden großen Musiker aber darüber hinaus verband, war ihre Freundschaft, die bis zum Tode von Schaljapin im Jahre 1938 bestand hatte.

von Jean-Nico Schambourg

Die beiden großen Künstler begegneten sich erstmals in Moskau an der Russischen Privatoper Mamontow, benannt nach dessen Gründer und Mäzenen Savva Mamontow. Schaljapin schloß sich dessen Truppe 1896 an, vom Mariinski-Theater in Sankt Petersburg kommend, wo sein Talent nicht genügend Anerkennung fand. Sergei Rachmaninow befand sich in dieser Zeit in einem Zustand tiefer Depression, seitdem seine 1. Sinfonie in d-Moll Anfang 1897 bei Kritikern und Publikum durchgefallen war. Er komponierte nicht mehr. Es war somit für ihn eine gute Ablenkung, als er einen Posten als Dirigent an der Moskauer Russischen Privatoper angeboten bekam.

Neben der beruflichen Zusammenarbeit, entwickelte sich während dieser Zeit auch im privaten Leben zwischen beiden Künstlern eine große Freundschaft und man kann sich eigentlich fragen wieso: Schaljapin war ein geborener Schauspieler und eine faszinierende Persönlichkeit. Er liebte es im Mittelpunkt zu stehen. Im Gegensatz hierzu war Rachmaninow eher schüchtern, außerhalb seines Freundeskreises zurückhaltend und schweigsam. Er scheute neue Bekanntschaften. Aber er verehrte seinen Freund Fjodor,  dessen wunderbarer Sinn für Humor ihn oft zum Weinen vor Lachen brachte.

 

Auf musikalischer und künstlerischer Ebene beeinflussten sie sich gegenseitig sehr stark. Schaljapin war bekannt, daß er es nicht immer ganz genau mit der Partitur nahm. Der Einfluss von Rachmaninow auf die musikalische Ausbildung bzw Bildung des Basses war sehr groß. Er brachte ihm bei, wie man eine Musikpartitur analysiert und bestand darauf, dass Schaljapin nicht nur seine eigenen Rollen lernte, sondern auch alle anderen Rollen in den Opern, in denen er auftreten sollte. Weiterhin lehrte er ihn in Musiktheorie und Harmonie. Einmal, während einer Probe von Glinkas Leben für den Zaren, ließ Schaljapin eine Pause in der Partitur endlos lang andauern. Schließlich rief Rachmaninow, der dirigierte: Es ist wirklich Zeit für uns weiterzumachen, Fjodor Iwanowitsch. Der Sänger nahm seinem Freund, dem Dirigenten, diese Aufforderung nicht übel. Zu sehr schätzte er dessen musikalische Kenntnisse. Es war auch Rachmaninow der Schaljapin anregte die Werke von Rimsky-Korsakoff und Mussorgski zu erlernen.

In seinem Buch Mann und Maske“ erinnert sich Schaljapin an diese Zeit ihrer Freundschaft: Das Schicksal erlaubte mir auf meinen Lebensweg die Begegnung mit vielen bemerkenswertennnern. Mein Treffen mit Sergei Rachmaninow geht auf die ersten bewegenden Erinnerungen meines Lebens in Moskau zurück…. Rachmaninow ist ein bemerkenswerter Pianist und neben Toscanini einer der besten Dirigenten, die ich je gehört habe. Wenn Rachmaninow den Taktstock in der Hand hält, flößt er einem Sänger völliges Vertrauen ein. Er interpretiert die Seele einer Komposition mit äußerster Feinheit, und wenn eine Pause oder eine vorgehaltene Note erforderlich ist, kann der Sänger sicher sein, dass er sie perfekt angibt. Wenn er am Klavier sitzt, singe ich nicht alleine wir singen beide. Als Komponist ist er die Verkörperung von Einfachheit, Klarheit und Aufrichtigkeit.

Auf der anderen Seite profitierte auch Rachmaninow von Schaljapin. Vom Beginn seiner Karriere an suchte Schaljapin den Realismus in der Kunst. Er konnte nicht verstehen, dass Sänger, egal in welcher Rolle, immer wieder nur sich selbst darstellten. Er war der Auffassung, ein Sänger muss drei Kunstformen beherrschen: die vokale, die musikalische und die theatralische. Rachmaninow bewunderte das immense Talent seines Freundes, dessen magnetische Ausstrahlung, die Aufrichtigkeit seiner Interpretationen, sein unvergleichliches Gespür für die wahre Aussage der interpretierten Musik, das man in jeder Note, jeder Phrase, die er sang, spüren konnte. Schaljapin zeigte Rachmaninow, wie er jede seiner Interpretationen um einen musikalischen Höhepunkt, einem Klimax, herum aufbaute. Der Komponist übernahm dieses Wissen nicht nur in seine Lied-Kompositionen auf.

Rachmaninow hat viele seiner Gesangskompositionen auf Schaljapins phänomenales Gesangstalent zugeschnitten. Dieser war der Erste, der viele seiner Kompositionen aufführte. Der Komponist widmeteseinem Freund fünf Romanzen. Leider gibt es davon keine Aufnahmen mit Schaljapin. Die einzige Aufnahme von Schaljapin eines Liedes von Rachmaninow ist die Romanze Op. 26 Nr. 13 Vchera my vstretilis(Als Gestern wir uns trafen).

Außerhalb des Theaters traten Rachmaninow und Schaljapin in jenen Jahren in zahlreichen Konzerten gemeinsam auf. Wenn Schaljapin sang und Rachmaninow den Klavierpart spielte, wäre es nicht ganz richtig zu sagen, dass Rachmaninow der Begleiter war. Sie haben beide gesungen! Ihr Auftritt war fantastisch, es war großartig!“ schrieb Anna Trubnikova, Rachmaninows Cousine. Sie führten Werke von Rachmaninow und anderen Komponisten auf: Lieder, Romanzen, Szenen und Arien aus Opern.

Schaljapin hegte schon immer besondere Sympathier Rachmaninows Oper Aleko”.  Diese hatte bei ihrer Uraufführung 1893 einen glänzenden Erfolg gefeiert und hatte auch die Zustimmung des großen Pjotr Tschaikowski gewonnen. Schaljapin träumte davon, seine Karriere als Sänger mit dieser Rolle zu beenden.1899 wurde die Oper in Sankt Petersburg aufgeführt. Schaljapin sang die Titelrolle des Aleko. Alle Sänger waren großartig, schrieb Rachmaninow an seinen Freund Juri Slonow, außer Schaljapin, der viel mehr war er war großartig, und im Vergleich zu ihm wirkten sie alle ein wenig farblos. Der große Erfolg dieser Aufführung half Rachmaninow, die Depression zu überwinden, die er nach dem Scheitern seiner Ersten Symphonie in Sankt Petersburg verspürte. Zwei Jahre später, im Dezember 1900, führte Rachmaninow zum ersten Mal zwei Sätze seines neuen zweiten Klavierkonzerts auf. Auch Schaljapin hat an diesem Konzert teilgenommen. Der Erfolg des Konzerts war überragend. Publikum und Kritiker waren begeistert. Von diesem Moment an kehrte Rachmaninows Selbstvertrauen zurück und die nächsten 16 Jahre waren die glücklichsten und produktivsten seines Lebens.

Auch nachdem Rachmaninow die Mamontow-Oper verlassen hatte, beriet sich Schaljapin weiterhin mit diesem über seine neuen Rollen. Sie arbeiteten auch 190406 wieder am zusammen Bolschoi-Theater, wohin Rachmaninow eingeladen worden war, um die Stelle eines Dirigenten zu übernehmen.

Drei musikalische Persönlichkeiten Dirigent, Pianist und Komponist prägten Rachmaninow, gerieten aber manchmal auch in Konflikt mit einander. So zum Beispiel, als er 1906 seinen Job als Dirigent in Moskau aufgab und nach Deutschland reiste, in der Hoffnung, sich auf das Komponieren konzentrieren zu können. 1907 wurde er von Diaghilew eingeladen, an den russischen Symphoniekonzerten teilzunehmen, die dieser in Paris veranstaltete. Dort führte er sein eigenes Zweites Klavierkonzert auf und dirigierte seine Kantate Frühling“ mit Schaljapin als Solist. Die französische Kritik war von seinem dreifachen“ Aspekt als Musiker begeistert.

1917 verließ Rachmaninow mit seiner Familie Russland und ließ sich in den USA nieder, wo er in den ersten Jahren hauptsächlich als Pianist aktiv war. Einige Jahre später ging auch Schaljapin ins selbstgewählte Exil. Die beiden Freunde trafen sich wieder. Im Jahr 1923 statteten Künstler des Bolschoi-Theaters, darunter auch Schaljapin, Rachmaninow einen Besuch ab. Sie organisierten ein spontanes Konzert, das bis zum Morgengrauen dauerte. Auf Wunsch von Rachmaninow sang Schaljapin die bekannte Romanze Otschi Tschornye“ (Schwarze Augen). Er sang sie mit solch gefühlvollem Ausdruck, dass die Anwesenden von ihr gebannt waren. Am nächsten Tage sagte Rachmaninow: Wie Fedja [Schaljapin] mich bewegt hat! … Diese Erinnerung wird mir mindestens zwanzig Jahre erhalten bleiben.

Im Frühjahr 1938 reiste Rachmaninow nach Paris, um seinen todkranken Freund zu besuchen. Später erinnerte er sich:Das letzte Mal, dass ich ihn sah, war am 10. April. Bevor ich ging, begann er mir zu erzählen, dass er, sobald es ihm wieder besser ginge, ein weiteres Buch für Künstler schreiben wollte, dessen Thema die Kunst des Schauspielens sein würde. Ich sagte ihm, dass auch ich einen Plan hätte: sobald ich von der Bühne abtreten würde, würde auch ich ein Buch schreiben, und das Thema wäre: Schaljapin. Er lächelte mich an und streichelte meine Hand. Dann trennten wir uns. Für immer!

Schaljapin starb am 12. April 1938. Rachmaninow nahm nicht an der Beerdigung teil: zu groß war der Schmerz über den Tod seines Freundes. Am Tag der Beerdigung sagte er: „Schaljapin wird nicht sterben. Er kann nicht sterben. Dieser wunderbare Künstler mit einer wirklich fantastischen Begabung darf nicht vergessen werden. Für zukünftige Generationen wird er zur Legende.

Rachmaninow überlebte seinen Freund um fünf Jahre. Er verstarb am 28. März 1943 in Beverly Hills, Kalifornien, nur drei Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag.

Jean Nico Schambourg, 23. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.

                                                                                                         

Jean-Nico SchambourgJahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.

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