Schostakowitsch I: Das Leipziger Festival ist eröffnet

Schostakowitsch Festival I  Gewandhaus zu Leipzig, 15. Mai 2025

Gewandhausorchester, Andris Nelsons Gewandhauskapellmeister, Daniil Trifonov Klavier © Jens Gerber

Leipziger Schostakowitsch-Festival vom 15. Mai bis zum 1. Juni 2025 

Zum Auftakt spielt das Gewandhausorchester drei Werke, die man nicht allzu häufig hört. Mit der Präzision eines Uhrwerks. Die Messlatte hängt hoch.

Gewandhaus zu Leipzig, 15. Mai 2025

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)Festliche Ouvertüre; Klavierkonzert Nr. 2; Sinfonie Nr. 4

Daniil Trifonov, Klavier
Gewandhausorchester Leipzig
Andris Nelsons, Dirigent

von Brian Cooper

Die Musik des Dmitri Schostakowitsch berührt das Leben vieler Menschen, auch wenn das manchen nicht bewusst sein mag. Den berühmten Walzer, den Kubrick in seinem letzten Film Eyes Wide Shut verwendete, erkennen Millionen wieder. Mir persönlich bleiben bis heute, neben einigen kammermusikalischen Prägungen, etliche sinfonische Konzerte mit Bernard Haitink und Mariss Jansons in Erinnerung.

In diese illustre Riege dürfte sich auch Andris Nelsons einreihen. Er ist ein gereifter Schostakowitsch-Interpret, wie sein jüngst erschienener Schuber belegt.

Es lag also nahe, das spektakuläre Schostakowitsch-Festival in Leipzig zu besuchen, dessen Eröffnung mit dem Gewandhausorchester und seinem Chefdirigenten, hier „Gewandhauskapellmeister“ genannt, die Messlatte hoch ansetzt. Für mich war es der erste Besuch in Leipzig überhaupt, und so gab es neben der Vorfreude auch große Neugier, wie das Spitzenorchester zuhause klingt. (Die Antwort: herrlich.)

Gewandhausorchester, Andris Nelsons Gewandhauskapellmeister, Daniil Trifonov Klavier © Jens Gerber

Warum findet das Festival ausgerechnet in Leipzig statt? Gewandhausdirektor Andreas Schulz betont neben dem 50. Todestag des Komponisten zwei weitere Punkte: 1950 war Schostakowitsch zum ersten Bach-Wettbewerb nach Leipzig gekommen; zudem hat Kurt Masur mit dem Gewandhausorchester Mitte der 1970er Jahre „den ersten Schostakowitsch-Zyklus weltweit hier musiziert“, so Schulz.

Im Foyer hört man Niederländisch, Englisch und viele weitere Sprachen. Zwei meiner ebenfalls eigens angereisten Freunde treffen ihrerseits auf Bekannte aus Strasbourg und Dänemark. Ganz Europa scheint gekommen zu sein; auch die USA sind mit dem Boston Symphony Orchestra mitsamt Entourage vertreten. Wer Schostakowitsch liebt, fährt nach Leipzig. Wo und wann sonst erlebt man alle Sinfonien, Solokonzerte, die Kammermusik, Lady Macbeth und weitere Werke im Zeitraum von nur gut zwei Wochen?

Am Eröffnungsabend standen mit der Festlichen Ouvertüre, dem 2. Klavierkonzert und der 4. Sinfonie drei Werke auf dem Programm, die nicht gerade häufig im Konzertsaal zu hören sind. Schon in der Ouvertüre präsentierte sich das Orchester in Spitzenform: Das Blech glänzte, das Holz klang wundervoll, und die Streicher klangen samten und spielten beeindruckend präzise und intonationssicher.

Gewandhausorchester, Andris Nelsons Gewandhauskapellmeister, Daniil Trifonov Klavier © Jens Gerber

Das galt auch für das 2. Klavierkonzert, für das man als Solisten den genialischen Daniil Trifonov gewonnen hatte, der etliche weitere Konzerte bestreiten wird. Trifonov hat nicht nur eine stupende Technik, sondern die Gabe, Phrasen zu gestalten. Im Zusammenspiel mit dem auch hier bestens aufgelegten Gewandhausorchester gelangen im Kopfsatz wie im dritten Satz atemberaubend präzise Gestaltungswelten. Der langsame Satz bewegte zutiefst – auch dank des warmen, zarten Spiels der Streicher, die dem kantabel musizierenden Solisten ein Bett aus Rosen bereiteten.

Gewandhausorchester, Andris Nelsons Gewandhauskapellmeister, Daniil Trifonov Klavier © Jens Gerber

Nelsons führte sein Orchester mit Trifonov aufs Beste zusammen. War es mal irgendwo eine Winzigkeit von Achtelsekunde auseinander, was nicht wirklich zutraf, korrigierte das der Dirigent mit ebenso winzigen Gesten und überwand so mühelos eine der großen Schwierigkeiten in der Ausführung dieses Werks. Perfektion und Wärme schließen sich hier keinesfalls aus.

Trifonov spielte als Zugabe ein Werk, das selbst eingefleischte DSCH-Fans vielleicht noch nie live gehört haben: sein Opus 1 (a), ein raffiniertes Scherzo.

Nach der Pause folgte die Vierte, die mit stampfender Wucht beginnt. Nicht immer war das Blech zu Beginn auf demselben Niveau wie in der ersten Hälfte, aber das legte sich alsbald. Andris Nelsons stampfte mehrmals hörbar auf, als seien ihm die krass dissonanten Akkorde nicht wuchtig genug. Waren sie aber. Vielleicht kann man allenfalls einen bisweilen zu starken Hauch von Schönklang diagnostizieren. Denn diese Musik ist in erster Linie zerklüftet, sperrig, schroff, und sie legt uns nahe, dass die Welt – trotz vieler schöner Dinge – eine böse, schlechte, grobe, ja: eine hässliche ist. Vieles ist aber in der Vierten auch schön, selbst wenn man diese Schönheit zunächst suchen muss. Im Kontrast dazu: die bienenschwarmartige Fuge, eigentlich unmöglich zu spielen. An diesem Abend war sie an Bedrohlichkeit und auch an Präzision kaum zu übertreffen.

Gewandhausorchester, Andris Nelsons Gewandhauskapellmeister, Daniil Trifonov Klavier © Jens Gerber

Walzerhaftes im langsamen Satz klingt, wie oft bei Schostakowitsch, ironisch. Vielleicht ist die erwähnte Schönheit nur eine vermeintliche? Jedenfalls glänzte das Orchester in allen Belangen. Ein D-Dur-Höhepunkt sorgte für Gänsehaut. Dann: Ticken im Schlagwerk, vielleicht ein Herzschlag, ein Uhrwerk. Und Stille.

Diese Stille geht in den letzten Satz über, der vielleicht der stärkste der Sinfonie ist. Ein Trauermarsch, hier in perfektem Tempo genommen. Es gibt vertrackte Rhythmen, die kaum nachzuvollziehen sind. Dissonantes Pochen, dann wieder eine regelrechte Blumenwiese an warmen Stellen, und am Ende gibt es nach schönen Soli im Holz (Fagott!) und Blech (Posaune!) diesen genialen Kampf zwischen Dur und Moll: Das C-Dur, die strahlende Tonart schlechthin, klingt so bitter und grausam, so dissonant, wie bei niemandem sonst. Das Moll setzt sich nach lautem Dur-Aufbäumen durch; das Werk verklingt in Stille und tiefer Trauer. (Dabei erinnern die „Herzschläge“ in den Bässen an Tschaikowskys Pathétique.)

Gewandhausorchester, Andris Nelsons Gewandhauskapellmeister, Daniil Trifonov Klavier © Jens Gerber

Und das spürten alle im Saal, denn die lang andauernde Stille war ergreifend. Das ist auch ein Verdienst des Leipziger Publikums. Es scheint ein kultiviertes zu sein. Die Leipziger lieben ganz offenkundig ihr Orchester, wie der herzliche Applaus bewies, der nach der langen Stille zum Ende der Vierten aufbrandete. Großer Jubel. Nur wenige verließen den Saal sofort nach dem letzten Ton; die meisten feierten einen ergreifenden Abend. Dieses Leipziger Festival schickt sich schon jetzt an, eine starke Hommage an einen großen Komponisten zu werden, von der man noch lange sprechen wird.

Dr. Brian Cooper, 16. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schostakowitsch-Festival II Gewandhaus zu Leipzig, Mendelssohn-Saal, 16. Mai 2025

Schostakowitsch-Festival III Gewandhaus zu Leipzig, 16. Mai 2025

Schostakowitsch-Festival IV Gewandhaus zu Leipzig, 17. Mai 2025

CD-Besprechung: Schostakowitsch, Sämtliche Symphonien und Konzerte klassik-begeistert.de, 30. April 2025

Daniil Trifonov, Gewandhausorchester Leipzig, Andris Nelsons Köln, Philharmonie, 2. September 2024

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