Die Teufel von Loudun, Bayerische Staatsoper © Wilfried Hösl
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Es war vor fünfzig Jahren. Krzysztof Penderecki galt als Neutöner und als interessanter Vertreter eines – nennen wir es – modernen Katholizismus. Auch die Württembergische Staatsoper Stuttgart genoss mit ihren Gastspielen in Wien einen guten Ruf. Würde seine Oper „Die Teufel von Loudun“ wieder im Spielplan auftauchen, auch die beste Besetzung könnte uns nicht mehr locken. Die musikalischen Vorlieben waren bei uns in den Jahrzehnten einem Wandel unterworfen, krankhafte Visionen und Teufelsaustreibungen liegen fern von unserem Interesse und das Thema priesterlicher erotischer Versuchungen ist ausgereizt.
Bezeichnend, dass wir nicht auf Anhieb sagen konnten, ob wir „Die Liebe der Danae“ zu den Salzburger Festspielen des Jahres 2002 oder 2016 gesehen haben. Im Gedächtnis geblieben ist von den InterpretInnen bloß der Jupiter Tomasz Konieczny mit der hohen Tessitur. Es fehlt das Bedürfnis eines Wiederhörens dieser eher oberflächlichen Oper, die Richard Strauss selbst als „Heitere Mythologie in drei Akten“ bezeichnete. Wie anders beeindruckt „Ariadne auf Naxos“. Hugo von Hofmannsthal hat aus dem Mythos die Themen Treue und Verwandlung mit viel Feingefühl und großer Sorgfalt herausgearbeitet.
Als Mitglieder der „Schubertkirche“ Pfarre Lichtental, die mit Schuberts Leben verbunden ist, war es geradezu Pflicht, seine Oper Fierabras (damals noch fälschlich Fierrabras geschrieben) als Festwochenproduktion der Wiener Staatsoper im Theater an der Wien anzuschauen. Die verwickelten, Fronten überschreitenden Liebesgeschichten spielen zur Zeit der maurisch-fränkischen Kriege ohne leichte Übertragbarkeit auf heutige Probleme. Der zum Christen konvertierte maurische Titelheld verzichtet großzügig auf die Tochter Karls des Großen. Ob eine Neuinszenierung dieses in der Art eines altfranzösischen Heldenepos erscheinenden Werks uns ein zweites Mal anziehen würde, sei dahingestellt.
Eine umherziehende Theatergruppe erreicht eine Insel, auf der sich ein König im Exil befindet. Sie wollen Shakespeares „Der Sturm“ aufführen. Der König hört die Proben, bildet sich ein, er sei der Zauberer Prospero, der vormalige Herzog von Mailand, und beginnt die Geschehnisse mit seinem Reich gleichzusetzen. Die Kompagnie verlässt die Insel, ohne das geprobte Stück zu realisieren. Ein surrealistisch anmutendes Stück, die Vorlage typisch für den fantasiereichen Dichter Italo Calvino. Doch scheint die Koproduktion mit den Salzburger Festspielen mit nur drei Aufführungen im September 1984 in Wien musikalisch wenig nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben.
In den 1920er Jahren erreichte Franz Schreker zeitweise höhere Aufführungszahlen als Richard Strauss. Beide kann man zu den Spätromantikern zählen. Wie vielen Opernfreunden sind die Opern „Flammen“, „Die Gezeichneten“, „Der Schatzgräber“, „Irrelohe“ oder „Der Schmied von Gent“ ein Begriff? Seine Oper „Der ferne Klang“ zog mich auch nur wegen des Protagonistenpaars Catherine Malfitano und Thomas Moser an, so dass ich deretwegen sogar ein Fortbildungsseminar vorzeitig verlassen musste. Der Komponist Fritz fühlt sich durch seine Geliebte Grete in seiner Schaffenskraft eingeengt und verlässt sie, um den „fernen Klang“ zu suchen. Grete, nach ihrer großen Verzweiflung zur Lebedame geworden, verspricht auf einem rauschenden Fest für das schönste Lied eine Nacht mit ihr. Da erscheint der noch immer auf der Suche sich befindende Fritz. Mit einem Lied über seine Liebe zu Grete erreicht er den ersehnten Klang, aber wendet sich von Grete wegen ihres Lebenswandels enttäuscht ab. Nach dem Durchfall seiner Oper „Die Harfe“ lebt Fritz zurückgezogen und todkrank. Als Grete eintritt, ist ihm der ferne Klang ganz nah. Beglückt stirbt er in ihren Armen. Vielleicht hätte es eines Partners wie Hugo von Hofmannsthal bedurft, Feinsinniges besser herauszuarbeiten. Es gab in der Staatsoper nur acht Vorstellungen von April bis Juni 1991.
Inszenierung Jürgen Flimm, Bühne Rolf Glittenberg, Bildarchiv Österreichischer Bundestheaterverband
„Der Untergang des Hauses Usher“. Wir kennen das Stück von einem Besuch der Wiener Kammeroper. Die Oper wird als ein musikalisches Detektivspiel zwischen Albtraum und Wirklichkeit definiert. Nach Konzertstücken lernten wir nun ein Musiktheater im Stil der Minimal Music kennen. Erstaunlich, dass Näheres über dieses Werk aus unsrer Erinnerung ausgelöscht war und wir uns über Opernführer neu informieren mussten. Ein Werk für einen kleinen Rahmen, eine Kammeroper oder ein Studio.
Friedrich Cerha hat in meiner Gymnasialklasse – damals noch im Schubert-Look – suppliert (österreichisch für: Schulstunden vertretungsweise halten). Bei seiner Oper „Baal“ gewannen wir den Eindruck einer verkrampften „Sturm- und Drangzeit“. Promiskuität, Randalieren bei einer Fronleichnamsprozession und Totschlag sind die Handlungsstränge. Als ich anlässlich des Steirischen Herbsts Verwandte zu „Die Rattenfänger“ desselben Komponisten einlud, war nachher ihr skeptischer Kommentar: „Es wird jegliche Eigenverantwortung auf die Gesellschaft abgeladen.“
Der Text zu Sergei Sergejewitsch Prokofjews „Die Verlobung im Kloster“ stammt von dem irischen Dramatiker Richard Brinsley Sheridan, einem Zeitgenossen von de Beaumarchais, und ist als Oper ein später schwacher Aufguss der damals in Mode gekommenen Verkleidungs- und Verwechslungspossen, ohne dem „tollen Tag“ Mozarts die Hand reichen zu können. Eine Aufführung in der Mozartstadt Salzburg hatte unsrer Meinung nach bloß literarischen Sinn. „Die Liebe zu den drei Orangen“ des gleichen Komponisten, nur einmal aus Neugier in der Wiener Volksoper besucht, birgt zwar nette Ideen, ist jedoch langatmig und verästelt, umfasst allein die ausgedruckte Inhaltsangabe von Wikipedia über zwei Din A4-Seiten. Die Bilder der Inszenierung der Komischen Oper Berlin 2008 machen allerdings wieder neugierig.
Inszenierung: Andreas Homoki Kostüme: Mechthild Seipel
Dresden und Carl Maria von Weber sind eng verbunden. Wir besuchten in der Semper-Oper die weniger bekannte „Euryanthe“. Die Titelfigur gerät durch eine Intrige in den Verdacht der Untreue. Das Stück erhielt im Laufe der Zeit seine Patina. Im zweiten Bild stellt sich der Autor in einem Garten ein mit Blumen umpflanztes Gruftgewölbe vor, aus dessen Fenstern die ewige Lampe dämmert. Emma, die Schwester von Euryanthes Bräutigam Graf Adolar, hat sich mit einem vergifteten Ring aus Liebeskummer selbst getötet und geht als Untote um. Ruhe kann sie erst finden, „sobald den Giftring der Unschuld Träne netzt im höchsten Leid“. Unter dem Einfluss des Grafen Lysiart hat die Vertraute Euryanthes den Ring aus dem Grab gestohlen, um ihn als Beweisstück für Euryanthes Untreue zu missbrauchen. Sie erscheint schuldig und ihr Bräutigam will sie in einem verlassenen Wald töten, wird aber von einer Schlange angegriffen. Im letzten Bild gesteht Euryanthes Vertraute die Intrige und wird von ihrem Anstifter erstochen. Nun hat Adolars Schwester durch Euryanthes schuldloses Leiden ihre Ruhe gefunden und das Paar kann glücklich werden.
Viel mehr haben sich einzelne Szenen von Jake Heggies zeitgenössischer Oper „Dead Man Walking“ ins Gedächtnis eingeprägt, die wir am selben Ort erlebten. Ein Liebespaarmörder wird durch eine Ordensschwester vor seiner Hinrichtung betreut. Es wird die Frage der Todesstrafe aufgeworfen und das Stück geht auch den Nöten der Mutter des Täters und der Eltern der Opfer nach.
Das Interesse nach Raritäten hat uns zu Kreneks „Jonny spielt auf“ in die Wiener Staatsoper gebracht. Zu Silvester 1927, also noch im selben Jahr der Uraufführung in Leipzig, war am „Operntheater“, wie die Wiener Staatsoper von 1918 bis 1938 genannt wurde, die Premiere. Das Stück hielt sich mit 33 Abenden bis April 1931. Die von uns gesehene zweite Inszenierung aus 2002 war im Juni 2004 zum vierzehnten und letzten Mal auf der Bühne. Bezeichnend ist, dass wir für unsre Besprechung wieder die Inhaltsangabe zu Hilfe nehmen mussten, also sich kein bleibender Eindruck im Vergleich zu „Dead Man Walking“ einstellte. Ein Sujet einer Zeitoper, das nicht mehr unsere Zeit trifft. Wir stehen weder vor dem Untergang eines bürgerlichen Zeitalters, auch die Romantisierung amerikanischen Wesens ist Geschichte. Die Amoralität des afro-amerikanischen Jazzbandgeigers, der einem berühmten Geigenvirtuosen seine Geige stiehlt, ist trotz seines Symbolcharakters für alte und neue Musik fragwürdig.
Ein nicht beim ersten Anhören in seiner ganzen Reichhaltigkeit zu verstehendes Opernwerk war für uns Henzes „Das verratene Meer“. Wir erlebten seine vierte und vielleicht coronabedingt letzte Aufführung am 27. September 2021. Unser Wunsch, die Oper gern in unmittelbarer Folge noch einmal genauer zu erfassen, blieb unerfüllt.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 3. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“