Wer weder Barock noch Jazz mag, wird sich in das Kind der beiden verlieben! – Eine musikalische Liaison begeistert in Bad Oldesloe

SHMF: Laila Salome Fischer und Ensemble Il Giratempo  Peter-Paul-Kirche, Bad Oldesloe, 15. August 2024

Laila Salome Fischer, Magnus Mehl und Il Giratempo, Photo Andreas Ströbl

„Talkin’ about Barbara – 17th Century Jazz“ – Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals mit Laila Salome Fischer und dem Ensemble „Il Giratempo“

Laila Salome Fischer, Mezzosopran
Magnus Mehl, Jazzsaxophon

Ensemble Il Giratempo

Peter-Paul-Kirche Bad Oldesloe, 15. August 2024

von Dr. Andreas Ströbl

Für Liebhaber der Renaissance- und Barockmusik, zumal in reizvollen und unerwarteten Bearbeitungen, ist sie schon längst kein Geheimtip mehr – Laila Salome Fischer ist gerade in Norddeutschland als vielseitige Solistin aus zahlreichen Opern und Operetten oder auch von Liederabenden bekannt. Ihre jüngst erschienene CD „Scenes of Horror“ mit barocken Arien ist mehrfach glänzend besprochen worden; die Einspielung ist das Ergebnis einer klangfarbenprächtigen Zusammenarbeit mit dem Ensemble „Il Giratempo“.

Wie diese allesamt phantastischen Musiker es schaffen, frühbarocke Dramatik mit New Yorker Jazz-Sound auf Glücklichste zu vereinen, konnte man am 15. August 2024 in der Peter-Paul-Kirche in Bad Oldesloe bei Lübeck hören.

Die Mezzosopranistin mit der wandelbaren Stimme legte mit dem Saxophonisten Markus Mehl (Jazzsaxophon), Frauke Hesse (Viola da gamba) Vanessa Heinisch (Theorbe) und Max Volbers (Cembalo und Blockflöte) ein erfrischendes, ungewöhnliches und ja mitreißendes Programm hin. Das war vor allem der erst in jüngster Zeit zu angemessenem, wenngleich spätem Ruhm gekommenen venezianischen Komponistin Barbara Strozzi gewidmet, weswegen der Abend auch „Talkin’ about Barbara – 17th Century Jazz“ übertitelt war.

Diese Musikerin, die sich an Begabung nicht hinter Größen wie Monteverdi oder Cavalli verstecken musste, empfand ihr Schicksal stets als unglücklich, was sich auch in vielen ihrer Werke widerspiegelt. Aber man hatte in Bad Oldesloe den Eindruck, dass die Komponistin, die gerade die vokale Kammermusik ihrer Zeit entscheiden mitprägte und bereicherte, lächelnd von einer der Emporen herabsah, mit den Worten „Ecco! Così funziona il liberalismo!“ auf den Lippen – „Na also! So funktioniert Liberalität!“, und zwar im Sinne einer geschlechtlichen Gleichberechtigung wie der Verbindung völlig unterschiedlicher Musikstile und von Instrumenten, die man selten so im Ensemble hört.

Von Barbara Strozzi erklangen zu Herzen gehende Lieder und Arien, wie „Lagrime mie“, der Klage um eine unglückliche Liebe, und „È pazzo il mio cor“, in der sich der Ärger um die eigene emotionale Angreifbarkeit hörbar Luft macht; in „Amor dormiglione“ wird der Liebesgott an seine Aufgabe erinnert und „Sete pur fastidioso“ spiegelt wiederum die bittere Erkenntnis, dass statt Liebe am Ende nur Zorn zu ernten ist. Dem verschmähten Liebhaber wird Dummheit unterstellt, das „stupido“ singt die Sopranistin tatsächlich wie einen gehässigen Vorwurf. Kein leichtes Programm, und Laila Salome Fischer, die abwechselnd mit den beiden Herren den Abend humorvoll und charmant moderierte, gab diesen Äußerungen einer verletzten Seele mit Schluchzen, zornigen Ausbrüchen und einer lebendigen Mimik einen ergreifenden und unmittelbaren Ausdruck – das Saxophon von Magnus Mehl jammerte und klagte mit der Sängerin um die Wette.

Foto: https://giratempo.de/talkin-about-barbara/

Leichtfüßig-tänzerisch kam nach dem innigen Liebeslied „Amarilli mia bella“ das lebensfrohe „Al fonte, al prato“ daher – beide Stücke stammen aus der Feder von Giulio Caccini, der nicht nur Zeitgenosse Monteverdis, sondern auch wie dieser an der Entwicklung der neuzeitlichen Oper beteiligt war. Der große Wegbereiter selbst durfte selbstverständlich nicht fehlen und so erklangen von Monteverdi „Illustratevi, o cieli“ aus seiner Odysseus-Oper und das tränenrührende „Addio, Roma“ aus seiner „Incoronazione di Poppea“ – nur ein grober Klotz hätte bei Laila Salomes Fischers Vortrag nicht schlucken müssen.

Auch Cipriano de Rores „Ancor che col partire” ist ein Liebeslied voller Schmerz, aber auch aufrichtigem Bekenntnis; nicht nur in diesem Stück spielte Magnus Mehl virtuos mit spröden Dissonanzen und geschmeidigen Auflösungen, durchbrach die rauhen Töne durch sanfte Linien. Charakteristisch für sein Spiel sind kurz und trocken angeblasene Töne, die Spannungen aufbauen, um dann wieder in einen weicheren Duktus überzugehen.

„Veni creator spiritus“ ist ja ein uralter Hymnus von Hrabanus Maurus aus dem 9. Jahrhundert, aber hier zeigte sich die Begabung des Ensembles, selbst frühmittelalterliche Tonsprache mit der Moderne zu verbinden. Aus sakraler Wurzel – Laila Salome Fischer schritt singend langsam vom Westportal in den Chorraum – ergab sich ein reiches Spektrum an musikalischen Linien, die von Gambe, Theorbe und Blockflöte aufgenommen und variiert wurden. So entstanden immer wieder, wie Magnus Mehl es ausdrückte, vielschichtige Klangflächen, die unterschiedliche Stimmungen erzeugten.

Bernardo Storaces „Ciaccona“, eigentlich als Füllstück mit Improvisationen gedacht, geriet zum Höhepunkt des Abends, weil alle Ensemblemitglieder ihr Können unter Beweis stellen durften. Neben dem kaum zu bändigenden Markus Mehl mit zuweilen an einen Klezmer-Ton erinnernden Passagen glänzte vor allem Max Volbers mit atemberaubenden Läufen auf dem Cembalo; Vanessa Heinischs Theorbe zauberte elegante Klänge, die manchmal an ein Vivaldi-Mandolinenkonzert denken ließen. Frauke Hesse entlockte der Gambe neben entschiedenen Strichen sanfte Seufzer – vor der Pause hatte sie nach dem Reißen einer Saite bereits bewiesen, dass man da eben einfach souverän weiterspielen kann, wenngleich die Künstlerin es nicht nötig hatte, wie Paganini den Naturdarm zuvor zu präparieren.

Ohne Zugabe entließ das begeisterte Publikum die sympathischen Musiker natürlich nicht und so gab es als Abschluss das berühmte „Sì dolce è ’l tormento“ von Monteverdi. Beim Hinausgehen waren sich auch diejenigen einig, die weder einen Zugang zum Barock noch zum Jazz haben: In das hier virtuos und mit größter Spielfreude präsentierte Kind der beiden ungleichen Eltern muss man sich einfach verlieben!

Dr. Andreas Ströbl, 17. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview mit Laila Salome Fischer geführt von Dres. Regina und Andreas Ströbl klassik-begeistert.de, 26. Februar 2024

Laila Salome Fischer und Louis Durra Clinker Lounge in der Backfabrik, Berlin, 10. September 2023

„Ins stille Land“, Laila Salome Fischer, Mezzosopran, Inessa Tsepkova, Klavier, Judith Lebiez, Konzept „Musiktheaterwerkstatt“, Theataer Lübeck, 1. Dezember 2022

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