„Siegfried“ in Wien: Andreas Schager lässt es krachen!

Richard Wagner, Siegfried  Wiener Staatsoper, 25. Juni 2025

Foto © Michael Pöhn

Hollywood hätte kein besseres Drehbuch schreiben können. Dass Wotans Macht im Laufe des „Rings“ schwindet, ist bekannt. Dass Iain Paterson in „Siegfried“ beinahe die Stimme verliert, ist nun sicherlich nicht gewollt gewesen. Dennoch: Würden Sujet und Stimmkraft korrelieren, wäre das die logische Konsequenz. Iain Paterson lasse mitteilen, dass er an einem „aktuen allergischen Schub“ leide, lässt man das Publikum der Wiener Staatsoper wissen. Pause, Beginn 2. Aufzug, „Siegfried“ ist da gerade, als einer der Lang-Brüder vor den Vorhang tritt und das verkündet.

Richard Wagner, Siegfried
Wiener Staatsoper, 25. Juni 2025

von Jürgen Pathy

„Der war schon in der Walküre kaum zu hören“, meint die ältere Dame links neben mir. Parterre Loge 5, Reihe 1, Sitz 1 – das ist der Platz, von dem ich das alles mitverfolge. Zumindest zwei Aufzüge lang, nachdem mich wieder der Eifer packt und die Galerie laut ruft. Stehplatz, Galerie ganz rechts – das ist schon ein befreiendes Gefühl. Rund 160 Minuten im Hocker hängen, ist einfach keine Wohltat. Selbst dann nicht, wenn Andreas Schager wieder eines klar macht: Diesen Siegfried lehrt so schnell nichts das Fürchten. Fafner, den Wurm, erledigt er mit einem Hieb. Mime ereilt dasselbe Schicksal. Schade nur, dass der ihm keinen Bären aufbinden kann: Stunden hätte ich Michael Laurenz noch zugesehen UND zugehört. List, Deklamation und zwergenhafte Verkrampftheit – das hat der alles drauf.

Ein Naturbursch, der alle Maßstäbe sprengt

Nur Brünnhilde, die ist es, die Siegfried dann erschreckt. Zumindest von der Story – stimmlich ist Andreas Schager in Hochform. Als Siegfried, da kann er Gas geben, da kann er protzen, zeigen, was für ein Naturbursch in ihm steckt. Rund dreieinhalb Stunden sind vergangen, da kniet er nun am Walkürenfelsen, vor seiner Tante – ohne es zu wissen. Ja, der nächste Inzest bahnt sich an. Und donnert im finalen Liebesduett, als gäb’s nichts Leichteres.

Dabei hat er schon einiges hinter sich. Die „Schmiedelieder“ im 1. Aufzug, die Begegnung mit dem Wanderer im 3. Aufzug – alles zentrale Härtetests, die einen Heldentenor wirklich fordern. Schagers Stimme läuft wie geschmiert, im gewohnten Timbre, samt markantem „R“. Konträr dazu die lyrischen Szenen, die Schager plötzlich beherrscht wie nie zuvor. In der „Walküre“ hat er’s schon bewiesen, nun im 2. Aufzug „Siegfried“: weich, erzählerisch, fast träumerisch die „Waldweben-Szene“. Kein Wunder also, dass Schager das alles dann genießt. Nach jedem Akt, nach jedem Vorhang, vor den er tritt: ein Bad in der jubelnden Menge, Hände nach oben, breites Grinsen im Gesicht.

Anja Kampe mit Drahtseilakt

Brünnhilde kann da nicht ganz mithalten. Nach all dem Lob, das Anja Kampe in der „Walküre“ widerfahren ist – das Liebesduett stellt sie vor eine Härteprobe. Da sitzt nicht jeder Ton, die Höhen etwas dünn, teils schrill statt Ekstase. Der Auftritt in „Siegfried“ ist viel kürzer, rund 25 Minuten, aber: die Tessitura höher angesetzt, mit dramatischeren Ausbrüchen.

© Michael Pöhn/Wiener Staatsoper
Iain Paterson am Limit

Ganz im Gegensatz zu Wotan wiederum, um das klarzustellen: Der hat als Wanderer in „Siegfried“ einiges zu leisten. Jeder spricht so gern vom Walküren-Wotan, dem großen Monolog, der Abschiedsszene. Kaum jemand erwähnt die Höchstleistungen, die der Wanderer vollbringt. Mehr Tiefgang, weniger Gelegenheit, um sich „hochzusingen“, die Stimme durch die Registerwechsel zu schmieren – schon gar nicht im ersten Akt: der „Rätselszene“, die Mime hinters Licht führen sollen. Das ist die große Herausforderung für jeden Bassbariton. Daran hat sich Iain Paterson heute die Zähne ausgebissen.

© Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Philippe Jordan teilt das Schicksal nicht. ABER: Das Dirigat ist schwer zu beurteilen. „Siegfried“ war nie mein Lieblingskind – orchestral zu viel Stückwerk, zu wenig Melodie zum Festhalten. Solide, aber nichts was jetzt vom Hocker reißt.

Die Inszenierung – auf den ersten Blick blass. Auf den zweiten: ziemlich clever. Vieles bleibt angedeutet, manches blitzt im Detail auf. Etwa der Bär, der nicht auf der Bühne brüllt, aber als Projektion an der Rückwand. Richard Wagner hat den ausdrücklich im Libretto erwähnt. Real, wollte er den sogar haben, als lebendes Tier. Spielt’s natürlich nicht, heute noch weniger als damals.

Jürgen Pathy, 26. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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