Foto: © Bruno Fidrych
Zahlreiche Dichter schrieben über die Macht des Liedes, betonten seine Universalität und Vielfältigkeit, den Reichtum an Inspirationsquellen von der Volksmusik bis zur modernen Musik, sowie seine Wirkung auf das Publikum. Das alles können die Gäste des Sängerfestes Singfest Nova Civitas 2022 erleben, das vom 12. bis 14. Juni 2022 im historischen Neukloster in Wiener Neustadt stattfindet. An dem Festival, dessen Motto „Liedkunst für den Frieden“ lautet, treten Künstler aus Polen, der Ukraine und der Slowakei auf. Die Veranstaltung organisiert der Verband Classic Nova Civitas, gegründet vom berühmten Künstlerduo Tomasz Konieczny und Lech Napierała.
Tomasz Konieczny verrät uns ein paar Details über dieses wertvolle Projekt.
von Jolanta Łada-Zielke
klassik-begeistert: Ist das Singfest Nova Civitas die Gründungsveranstaltung des Vereins Classic Nova Civitas?
Tomasz Konieczny: Ja, dies ist das erste Festival unter der Schirmherrschaft unseres Vereins, aber es findet bereits zum zweiten Mal statt. Letztes Jahr organisierte es eine andere kulturelle Institution. Die Teilnehmer dieser Veranstaltung beschlossen jedoch, es selbst weiterzumachen. So entstand die Idee, den Verband Classic Nova Civitas zu gründen. Sein Präsident ist
Dr. Joachim Reiber, ein deutscher Historiker, Germanist, Schriftsteller und Musikjournalist, der die Zeitschrift des Wiener Musikvereins herausgibt.
Außerdem bereitet er Werbematerialien für Konzerte vor und pflegt die Pressekontakte. Dr. Reiber ist auch ein leidenschaftlicher Hobbysänger. Er nahm einst an der Kameralistik- und Liedinterpretation Unterricht bei Lech Napierała. Das Lied ist eines seiner Lieblingsgenres. Wir hätten uns keinen besseren Vorsitzenden vorstellen können. Mit Beginn der nächsten Theatersaison geht Joachim Reiber in den Ruhestand, weshalb er sich bereit erklärt hat, unser Präsident zu werden. Gemeinsam mit dem Grafiker Adam Dudek haben sie ein wunderschönes Programmheft zum diesjährigen Festival erstellt.
klassik-begeistert: Was sind Eure Ziele?
Tomasz Konieczny: Zunächst wollen wir die polnische Kultur im deutschsprachigen Raum fördern, sowie junge Künstler aus Polen und Österreich unterstützen, vor allem Pianisten und Sänger, die an Opernstudios oder ähnlichen Institutionen studieren. Unser bisher inoffizieller Partner ist die Opernakademie am Teatr Wielki – Polnische Nationaloper in Warschau. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir dafür auch die Opernschule der Wiener Staatsoper gewinnen könnten.
klassik-begeistert: Für das Singfest Nova Civitas macht die Werbung nicht nur Pater Michael Weiss, Pfarrer und Prior vom Neukloster, in welchem die Konzerte stattfinden, sondern auch Klaus Schneeberger – der Bürgermeister von Wiener Neustadt.
Tomasz Konieczny: Ohne die Mithilfe des Bürgermeisters Herrn Schneeberger und zweier weiterer Institutionen wäre dieses Fest gar nicht zustande gekommen. Der Bürgermeister sagte sofort zu, einer unserer Hauptsponsoren und Mitorganisatoren zu sein. Die Stadt Neustadt selbst bietet uns finanzielle Unterstützung an. Auch das Land Niederösterreich hilft uns in ähnlicher Weise. Unser dritter Partner ist die Klaviermanufaktur Bösendorfer, mit dem Sitz in Wiener Neustadt, die uns bereits zum zweiten Mal eines ihrer wertvollen Instrumente zur Verfügung stellt. In diesem Jahr ist es ein neues Modell eines Konzertflügels. Wir sind allen unseren Partnern, Mitorganisatoren und Sponsoren sehr dankbar.
klassik-begeistert: Wie habt Ihr das Programm des Festivals gestaltet?
Tomasz Konieczny: Grundsätzlich versuchen wir Brücken zwischen der polnischen, ukrainischen, deutschen und österreichischen Kultur zu bauen und ihre Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, die am besten in den Liedern zu sehen sind. Deutsche und österreichische Musik sind sich in dieser Hinsicht sehr ähnlich. Polnische, ukrainische und österreichische Kulturen durchdrangen sich während der österreichisch-ungarischen Monarchie und das ist bis heute geblieben. Wir wollen die Deutschen und die Österreicher mit dem polnischen, ihnen weniger bekannten, Repertoire bekannt machen.
Zusammen mit Lech Napierała führen wir solche Projekte selbst durch bei unseren Liederabenden. Wir tun es von Herzen, ohne Auftrag, und denken, in Neustadt den richtigen Ort dafür gefunden zu haben. Wir möchten diese Klosteranlage mit einem Publikum füllen, das nach wertvollen künstlerischen Erfahrungen hungert. Die Zuschauer sitzen draußen im Freien. Eine solche Lösung hat man in den ersten zwei Jahren der Pandemie angewendet und bei der ersten Ausgabe unseres Festivals hat das gut funktioniert. Das Publikum war begeistert, obwohl es Fragen gab, warum so ein trauriges Repertoire. Ich habe erklärt, dass das Kloster ein beschaulicher Ort ist, also sind hier tiefere Werke, die zum Nachdenken anregen, besser geeignet als frivole Operettenarien. Das heißt aber nicht, dass wir beim Singfest nur ernsthafte Lieder aufführen. Ihr Inhalt ist vielfältig, aber dem Ort angepasst.
klassik-begeistert: Die Lieder sind zeitgemäß der Ukraine gewidmet.
Tomasz Konieczny: Laut unserem Motto „Liedkunst für den Frieden“ spielen wir dieses Jahr für den Frieden in der Ukraine und fördern gleichzeitig die Kultur dieses Landes. Im Gegensatz zu dem, was Putin allen einreden will, stehen die ukrainische Kultur und ihre Musik der russischen in nichts nach. Davon zeugen die Lieder von Mykola Lysenko, der als „Vater der ukrainischen Gesangskunst“ gilt, wie Stanisław Moniuszko in Polen.
Wir haben Musiker aus der Ukraine zum Singfest eingeladen, die in Polen, Deutschland und Österreich leben und arbeiten. Da ist Olga Bezsmertna, die langjährige Solistin der Wiener Staatsoper, die das dortige Publikum sehr liebte. Am Klavier begleitet sie Tetyana Dranchuk, die lange Zeit in Polen gearbeitet hat und derzeit an der Oper Graz angestellt ist. Wir haben auch zwei aufstrebende Stars erworben: die Pianistin Alina Shevchenko, die am Opernstudio in Zürich studiert, und die Sopranistin Inna Fedorii, die ihre Ausbildung an einer ähnlichen Institution in Basel macht.
An dem Singfest nimmt auch Peter Kellner, ein junger, großartiger Bass aus der Slowakei teil, der dem Ensemble der Wiener Staatsoper angehört und kürzlich sein Debüt an der Metropolitan Opera erlebt hat. Kellner wird am 14. Juni die „Biblischen Lieder“ von Antonín Dvořák in Begleitung von Piotr Jaworski aufführen. Ich trete mit Lech Napierała zusammen an zwei Festivalabenden auf.
klassik-begeistert: Olga Bezsmertna singt die Lieder „Dzwony“ (Die Glocken) und „Kołysanka“ (Wiegenlied) vom polnischen Komponisten Stanisław Niewiadomski.
Tomasz Konieczny: Die Tatsache, dass die ukrainische Sängerin polnische Lieder aufführt, ist uns sehr wichtig. Olga bereitet sie speziell für dieses Fest vor, um uns zu ehren und ihre Dankbarkeit für die Hilfe Polens für die kämpfende Ukraine auszudrücken. Ich wiederum singe einige Lieder von Mykola Lysenko.
klassik-begeistert: Auf dem Programm eines deiner Liederabende stehen Lieder von Romuald Twardowski. Sind das seine Seemannslieder?
Tomasz Konieczny: Vor zwei Jahren haben wir mit Lech ein Album mit einer Anthologie von Romuald Twardowskis Liedern aufgenommen, herausgegeben vom Anaklasis-Polnischer Musikalischer Verlag. Dieser zeitgenössische Komponist war früher besser bekannt, als er es heute ist. Immerhin lohnt es sich, sein Schaffen zu fördern, weil er großartig für Gesang und Klavier schreibt, insbesondere für eine Bassbariton-Stimme.
Diese CD enthält auch den Zyklus „Oblicze morza“ (Der Antlitz des Meeres), den wir während des Festivals präsentieren. Lech und ich führen sehr gerne die Stücke aus diesem Album auf. An der Wiener Oper präsentierten wir Twardowskis Lieder zu Michelangelos Sonetten und in Graz seine „Drei Sonette an Don Quijote“. Bei unserem Auftritt im Singfest läuft eine Videoinstallation von Adam Dudek im Hintergrund, die wir extra für „Oblicze morza“ noch während des Lockdowns gedreht haben. Diese Lieder komponierte Twardowski zur hervorragenden polnischen Poesie, und sie sind wahrscheinlich die avantgardistischsten von allen, die es auf CD gibt.
Wir wollen nicht nur ein romantisches und postromantisches Programm präsentieren, sondern auch ein zeitgenössisches. Aus dem deutschsprachigen Repertoire kann unser Publikum Werke von Strauss und Brahms genießen.
klassik-begeistert: Es gibt so viele Konzerte für die Ukraine, an denen wir als Interpreten und Zuschauer teilnehmen. Aber manchmal denkt man traurig darüber nach, dass dies keinen Einfluss auf Putin hat, weil er dieses Land und seine Kultur weiter bekämpfen wird.
Tomasz Konieczny: Die aktuellen Aktivitäten im Kulturbereich, bei denen man weniger russische und mehr ukrainische Musik spielt, treffen die Russen sehr, besonders jene mit einer imperialistischen Einstellung. Ich freue mich, dass Putins zerstörerische Ambitionen auf diese Weise gegen ihn zurückprallen. Immerhin wollen Finnland und Schweden der NATO beitreten, und die Europäische Union steht diesem Beitritt (mit wenigen Ausnahmen) geeint wie nie zuvor, positiv gegenüber. Die Ukraine bewirbt sich um die Aufnahme in die EU, ihre Kultur fördert man mittlerweile in vielen Ländern. All diese Tatsachen sind ein klares Zeichen des Widerstands für den Kreml. Ich selbst bin ein großer Verehrer russischer Musik, ich liebe Rachmaninow, Borodin und Mussorgski – Tschaikowsky etwas weniger, obwohl ich ihn sehr schätze. Eines meiner Alben, „Between Death & Love“, enthält Rachmaninows Romanzen und Mussorgskis „Lieder und Tänze des Todes“. Aber im Moment ändern wir das Programm unserer Liederabende und ersetzen russische Musik durch die ukrainische. Es scheint uns richtig zu sein und wir werden darin konsequent bleiben. Ich glaube, dass sowohl die Russen als auch ihre Verbündeten sich der Situation bewusst sind. Das gilt natürlich nicht für den Diktator, aber trotz der Absurdität seines Handelns merkt er, dass er sich verrechnet hat. Fast die ganze Welt, insbesondere der Westen, unterstützt die Ukraine. Wir freuen uns, dass wir einen kleinen Stein zu dieser Lawine hinzufügen können, die auf die russische Kultur niedergeht, und nichts kann diese Lawine aufhalten.
Jolanta Łada-Zielke: Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at, 9. Juni 2022