Sommereggers Klassikwelt 133: István Kertész- Dirigent mit bewegtem Schicksal

Sommereggers Klassikwelt 133: István Kertész- Dirigent mit bewegtem Schicksal

Foto: Roberto Mastrosimone – commons.wikimedia.org

von Peter Sommeregger

Der Name des ungarischen Dirigenten István Kertész ist für viele jüngere Musikliebhaber wohl nur noch eine historische Fußnote. Dabei war die Karriere des am 28. August 1929 in Budapest geborenen Musikers eine der erfolgreichsten der 1960er und 1970er Jahre.

Der einer jüdischen Familie entstammende Kertész überlebte die Judenverfolgung in Budapest zusammen mit der engsten Familie in einem Versteck. Nach dem Krieg studierte er am Franz-Liszt-Konservatorium seiner Heimatstadt Violine, Klavier und Dirigieren.

Als sowjetische Truppen den ungarischen Volksaufstand 1956 niederschlugen, sah Kertész für sich und seine junge Familie keine Zukunft mehr in seiner Heimat. Er emigrierte mit seiner Ehefrau, der Koloratursopranistin Edith Gabry und den  Kindern zunächst nach Rom, wo der Dirigent ein Stipendium erhielt. Nach zwei Jahren siedelte die Familie nach Deutschland über, wo Kertész verschiedene Orchester dirigierte, ehe er 1960 Musikchef des Augsburger Opernhauses wurde. 1964 wurde er in gleicher Funktion an das Kölner Opernhaus berufen. Dort geriet er wegen extremer Zeitmaße bei seinen Dirigaten vereinzelt in die Kritik, was seine internationale Karriere aber nicht mehr aufhalten konnte. Von 1965 bis 1968 war er Chefdirigent des London Symphony Orchestra, daneben trat er auch häufig beim Israel Philharmonic Orchestra und den Wiener Philharmonikern auf.

Bei einem Gastspiel in Israel ertrank Kertész am 16. April 1973 beim Baden im Mittelmeer. Der frühe Tod des hoch begabten und beliebten Künstlers löste weltweit Bestürzung und Trauer aus. Viele Pläne, auch für Schallplatten-Aufnahmen wurden dadurch zunichte gemacht. Die Wiener Philharmoniker vollendeten aus Respekt für ihn eine begonnene Aufnahme von Brahms‘ Haydn-Variationen ohne Dirigenten.

Nach ersten Aufnahmen für die EMI wechselte Kertész zum Label DECCA, für das er ganze Opern, aber auch ein breites Konzert-Repertoire einspielte. Die 1966 entstandene Aufnahme von Bartoks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ mit Walter Berry und Christa Ludwig ist wahrscheinlich seine bekannteste Einspielung und gilt bis heute als Referenzaufnahme des Werkes. Kertész war der erste Dirigent, der Mozarts „Clemenza di Tito“ komplett für die Schallplatte einspielte, unter seiner Stabführung entstand auch die erste komplette Aufnahme der Symphonien Antonin Dvoraks. Der größte Teil seiner Einspielungen ist bis heute auf CD erhältlich.

Der Musiker fand seine letzte Ruhe auf dem Kölner Melaten-Friedhof, 2012 wurde seine Ehefrau, Edith Kertész-Gabry an seiner Seite beigesetzt. Sie hatte ihren Ehemann um nahezu 40 Jahre überlebt. Operngeschichte schrieb sie 1965, als sie in der Kölner Uraufführung von B.A. Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ die Hauptrolle der Marie kreierte. Von dieser Aufführung existiert ein Mitschnitt, das Werk ist inzwischen trotz seiner Kompliziertheit ins internationale Opern-Repertoire gewachsen.

Die Beschäftigung mit dem akustischen Erbe des Dirigenten und seiner Frau kann man sehr empfehlen, die Vielfalt seines Repertoires ist für heutige Begriffe ziemlich ungewöhnlich und bietet auch selten eingespielte Werke.

Peter Sommeregger, 13. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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