von Peter Sommeregger
Richard Wagners ausgeprägter Antisemitismus ist eine allgemein bekannte Tatsache und wird zurecht bis heute kritisch diskutiert, schmälert auch durchaus sein Andenken.
Umso erstaunlicher ist es, dass Wagner die Uraufführung seiner letzten Oper „Parsifal“ 1882 in Bayreuth bewusst und mit Absicht dem Dirigenten Hermann Levi übertrug, der einer traditionsreichen jüdischen Rabbiner-Familie entstammte. Man kann darin ganz einfach Wagners Pragmatismus erkennen: Levi galt zu dieser Zeit als einer der besten und berühmtesten Operndirigenten.
Der Weg dahin war für den am 7. November 1839 in Gießen geborenen Sohn des Hessischen Landesrabbiners durch sein musikalisches Talent vorgezeichnet. Es ist erstaunlich, dass Levis Vater trotz der Familientradition mit dem Berufswunsch künstlerischer Natur bei beiden Söhnen einverstanden war. Auch Hermanns älterer Bruder Wilhelm wollte Musik studieren, beide Brüder wurden darin vom Vater sogar unterstützt.
Bereits als Sechsjähriger trat Hermann in Gießen als Pianist öffentlich auf, ab dem zwölften Lebensjahr erhielt er in Mannheim eine fundierte musikalische Ausbildung. Nach einem Studienaufenthalt in Paris wurde er für zwei Jahre Musikdirektor in Saarbrücken, 1861 bekleidete er das gleiche Amt in Mannheim, 1862 bis 1864 war er Chefdirigent der Deutschen Oper in Rotterdam, anschließend übernahm er bis 1872 die Leitung des Großherzoglichen Hoftheaters in Karlsruhe, von wo aus sich sein guter Ruf schnell verbreitete. 1872 wurde er schließlich an das Königliche Hof- und Nationaltheater in München berufen, eine Stellung die er bis zu seinem Rückzug aus gesundheitlichen Gründen 1894 behielt.
In seinen ersten Münchner Jahren trat er – wie schon in Karlsruhe – als Dirigent von Wagners Opern hervor, ab 1871 verband ihn mit dem Komponisten auch eine persönliche Freundschaft, die von gegenseitigem Respekt geprägt war. Dies erklärt zusätzlich die Entscheidung Wagners, Levi die Uraufführung des „Parsifal“ anzuvertrauen, die dann auch zu Wagners voller Zufriedenheit unter Levis Dirigat stattfand. Eine enge Freundschaft mit Johannes Brahms litt allerdings stark unter der Hinwendung Levis zu Wagner.
Wagner starb nur wenige Monate nach der Premiere des „Parsifal“, seine Witwe Cosima hielt aber an Levi als Dirigent für die Festspiele in den Jahren nach dem Tod Wagners fest, obwohl sie nicht müde wurde, Levi zu einer christlichen Taufe überreden zu wollen.
Gegen Ende seines Lebens fand Levi noch ein spätes privates Glück. Seine Jugendliebe Mary Meyer hatte ursprünglich einen anderen Mann vorgezogen, nachdem sie Witwe wurde, erneuerte sich aber die Beziehung zu Levi, den sie 1896 heiratete. Im Zusammenhang mit dieser Hochzeit soll sich Levi angeblich haben taufen lassen, was aber nicht belegt ist. Gesichert ist aber, dass er zu diesem Zeitpunkt die jüdische Religionsgemeinschaft verließ.
Bereits am 13. Mai 1900 verstarb Levi nach langer Krankheit in München. Seine Witwe ließ von dem berühmten Architekten Adolf von Hildebrand ein Mausoleum auf dem Grundstück der in Partenkirchen befindlichen Villa des Ehepaares errichten. In späteren Jahren verfiel die Grabstätte, der Umgang der Gemeinde damit hatte durchaus würdelose Aspekte. Nach langem Tauziehen wurde Levis letzte Ruhestätte aber 2021 neu gestaltet.
Levis Bedeutung liegt nicht nur in seiner Dirigententätigkeit, die ja naturgemäß akustisch nicht rekonstruierbar ist, bis heute finden aber seine deutschen Textfassungen von Mozarts Da Ponte-Opern Verwendung. Das berühmte „Reich mir die Hand mein Leben“ im „Don Giovanni“ ist Levis Erfindung, dessen textliche Neufassungen sich durch sensible Angleichung an den Klang des italienischen Originals auszeichnen. Nicht nur dadurch behielt der Name Hermann Levis bis heute in musikalischen Kreisen einen guten Klang.
Peter Sommeregger, 9. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Sehr schönes Portrait von Herrn Sommeregger, auch rechtzeitig zu Hermann Levis Geburtstag. Hermann Levi wurde von seinem Vater, Rabbiner Dr. Benedikt Levi, nach Mannheim geschickt, zu den Verwandten von Hermann Levis verstorbener Mutter Henriette, geborene Mayer. Die Mayers waren eine alteingesessene Hoffaktorenfamilie in Diensten der Kurfürsten. Hermann Levi wuchs bei seiner Großtante Rosette Feidel, geb. Ladenburg auf, der Schwester seiner Großmutter Rebecca Mayer, geb. Ladenburg. Die Ladenburgs waren eine weitverzweigte Bankiersfamilie, d.h. Hermann Levi wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Vermutlich hatte er in Mannheim als Jugendlicher seine erste Begegnung mit Wagners Musik. Das müsste mit 15 Jahren gewesen sein. Komponiert hat er in diesem Alter auch schon, für die Einweihung der prachtvollen Hauptsynagoge in F 2, 13 im Juni 1855. Die Komposition war so gut, dass die Karlsruher Zeitung es für ein Werk seines Lehrers Vinzenz Lachner hielt…
Sein Bruder Wilhelm ließ sich mit seiner Ehefrau hier 1868 nieder. Da seine Ehefrau den Sängerberuf verachtete, entschloss sich Wilhelm Lindeck, bei den Verwandten beruflich unterzukommen. Erst in der Mayer’schen Tabakhandlung, dann im Bankhaus Ladenburg, wo er schnell zum Prokuristen aufstieg. Sein Sohn Anton Lindeck war ein bedeutender Mannheimer Rechtsanwalt. Wilhelm Lindeck fand seine letzte Ruhe in der Geburtsstadt seiner Mutter, auf dem Mannheimer Hauptfriedhof.
Siehe hier: https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bio/id/3317
Susanne Reber
Ich muss mich bei meinem letzten Kommentar korrigieren: Wilhelm Lindecks erste Stelle in Mannheim war nicht in der Mayer’schen Tabakhandlung, die es damals nicht mehr gab, sondern in der daraus entstandenen Zigarrenfabrik Gebrüder Mayer, die seinen Onkeln Max und Rudolph Mayer gehörte (Brüder von Henriette Levi, geb. Mayer). Das kommt davon, wenn man sich abends noch zu Wort meldet, anstatt brav in seinem Bett zu liegen… Die Zigarrenfabrik existierte über 150 Jahre, bis zu ihrer „Arisierung“ und bot viele Arbeitsplätze im Rhein-Neckar-Raum (also die Region um Heidelberg und Mannheim).
Susanne Reber