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Zum Thema passend eine historische Fundsache:
„Kritik ist keine Sichel, Zu mähen kurz und klein,
Aber Verehrungsmichel Kann man doch auch nicht sein“
(Friedrich Theodor Vischer)
von Peter Sommeregger
Die Wogen gehen derzeit hoch in der kulturaffinen Szene, und das mit Recht. Da hat doch ein Choreograph in Hannover eine ihm verhasste Kritikerin mit dem Kot seines Dackels beschmiert. Was an sich schon ein rüder Akt von Rache mit untauglichen Mitteln ist, wirft aber über den unappetitlichen Fall hinaus doch recht grundsätzliche Fragen auf.
Kritik und Kritiker haben im Kulturbetrieb einen mittlerweile nicht mehr sehr hohen Stellenwert. In der Ära sozialer Netzwerke, wo schon das Symbol eines gehobenen Daumens über das Schicksal einer Aufführung, eines Buches oder einer CD entscheiden kann, scheint für viele kompetente Kritik nicht mehr notwendig. Erfreulicherweise gibt es nach wie vor Menschen, die ausgewogene Kritik von kompetenter Seite zu schätzen wissen.
Der aktuelle Fall des Choreographen Marco Goecke und der Rezensentin Wiebke Hüster, so grotesk er ist, beleuchtet doch gleich zwei Aspekte des schwierigen Verhältnisses zwischen Kritiker und Kritisiertem.
Der tätliche Angriff auf die Kritikerin der FAZ war in seiner Form inakzeptabel, daran kann kein Zweifel bestehen. Goecke behauptet aber, Frau Hüster hätte ihn „seit 20 Jahren permanent beleidigt“. Dazu müsste man das Archiv mit Hüsters Rezensionen kennen, aber die Wut eines kreativen Künstlers auf permanente Kritikerschelte kann man in Teilen nachvollziehen. Persönliche Abneigungen und abweichende Sichtweisen sollten auch für einen Rezensenten nicht zum Anlass genommen werden, sich an einem Künstler abzuarbeiten. Da scheint es bei Frau Hüster an der nötigen Distanz gemangelt zu haben. Umgekehrt muss ein Künstler, der mit seinem Werk an die Öffentlichkeit geht, immer mit negativen Einschätzungen rechnen, und damit leben. Objektivität kann man von keiner der beiden Seiten erwarten, Kritik ist immer subjektiv.
Ursächlich für die Eskalation in diesem Fall scheint aber zu sein, dass beide Seiten einen gravierenden Fehler im Umgang miteinander begangen haben, der allerdings zeittypisch ist. Kritiker sollten die klassische Distanz zur jeweiligen Person im Auge haben, also verbal die so genannte Gürtellinie nicht unterschreiten. Die Person hinter der zu kritisierenden Arbeit eines Künstlers muss unangetastet bleiben, der Fokus darf einzig und allein künstlerischen Aspekten vorbehalten bleiben.
In vielen Fällen ergeben sich auch Bekanntschaften, sogar Freundschaften zwischen diesen Gegenpolen, wovon man aber abraten muss. Ich erinnere mich gut an einen prominenten Berliner Opernkritiker, der mit der gesamten künstlerischen Szene der Stadt gut befreundet war. Wäre man seiner Meinung gefolgt, so hätte es nur großartige Aufführungen mit perfekten Sängern gegeben. Der Mann hatte frühzeitig versäumt, sich nicht privat vereinnahmen zu lassen.
Dem Hundekot-Attentäter muss man vorwerfen, seinerseits die Regeln einer gesunden Distanz verletzt zu haben. Schriftlich oder in einer Diskussionsrunde hätte es viel bessere Wege gegeben, sich mit der Kritikerin konstruktiv auseinanderzusetzen. Marco Goecke ist ein erwachsener Mann, von dem man ein entsprechendes Verhalten erwarten kann. Seine Entlassung aus der Position des Direktors des Staatsballetts Hannover nach diesem aggressiven Akt war unumgänglich, das ist Strafe genug. Frau Hüster sollte auf eine Zivilklage verzichten. Goeckes Entlassung und die angestoßene Diskussion sollten ihr als Genugtuung ausreichen.
Peter Sommeregger, 14. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Also bei aller Liebe, aber das Fazit zum Schluss teile ich nicht. Denn auf der Seite von (ex-)Choreograph Goecke besteht doch rein gar keine Einsicht, wie die neuesten Pressemitteilungen dazu verdeutlichen:
https://rp-online.de/kultur/kunst/hundekot-angriff-huester-schockiert-ueber-goeckes-entschuldigung_aid-84927559?utm_medium=Social&utm_campaign=main&utm_source=Facebook&fbclid=IwAR3WXLfxsVz_KiYSnDJq4RBnf0Y9qU4cND7CZmHFK8QboUzDW2b_7he1YPk#Echobox=1676440990
https://www.sueddeutsche.de/kultur/hundekot-attacke-marco-goecke-entschuldigung-ballett-hannover-1.5751341
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/aufrichtig-marco-goeckes-entschuldigung-18678636.html
Meiner Meinung nach kann das also nur mit einem höchstrichterlichen Urteil enden.
Gruß,
Daniel Janz