Sommereggers Klassikwelt 205: Maria Ivogün verließ ihren Ehemann wegen des gemeinsamen Klavierbegleiters

Sommereggers Klassikwelt 205: Maria Ivogün  klassik-begeistert.de, 4. Oktober 2023

Maria Ivogün, Maria Kempner by Franz Grainer 1917

von Peter Sommeregger 

Maria Ivogün wurde am 18. November 1891 in Budapest als Tochter eines K.u.K. Offiziers und einer Operettensängerin geboren. Die Eltern trennten sich jedoch bald, die Mutter folgte ihrem zweiten Ehemann in dessen Schweizer Heimat, also wuchs Maria dort auf.

Das von der Mutter geerbte Künstlerblut machte sich bei der jungen Maria schnell bemerkbar, bereits ab 1909 studierte sie an der Wiener Musikakademie Gesang und Schauspiel. Ein Vorsingen an der Wiener Hofoper führte 1913 nicht zu einem Engagement, aber der Hofkapellmeister Bruno Walter war von ihrem Talent überzeugt und verpflichtete sie an seine neue Wirkungsstätte, die Münchner Hofoper.

Dort entfaltete sich der glasklare, reizvoll timbrierte Koloratursopran im klassischen Repertoire, Gilda in „Rigoletto“, Sophie im „Rosenkavalier“, Königin der Nacht in der „Zauberflöte“. Im Jahr 1915 legte sie sich als Hommage an ihre Mutter Ida von Günther den Künstlernamen Ivogün zu.

In München wirkte sie an zwei bedeutenden Uraufführungen mit, nämlich als Inghino in Hans Pfitzner’s „Palestrina“, und als Nachtigall in Walter Braunfels’ „Die Vögel“. Den Sänger der Titelrolle in Palestrina, den Tenor Karl Erb, heiratete sie im Jahr 1921.

Als Bruno Walter 1925 an die Städtische Oper Berlin wechselte, folgte Maria Ivogün ihrem Mentor an dieses Haus und setzte ihre erfolgreiche Karriere fort. In den Jahren zwischen den großen Kriegen unternahm sie zahlreiche Gastspiele und Konzertreisen. So trat sie u.a. an der Wiener Staatsoper, der Mailänder Scala und dem Opernhaus von Chicago auf. Auch als Liedsängerin war sie ebenso wie ihr Ehemann Karl Erb erfolgreich. Beide ließen sich dabei von dem damals besten und prominentesten Pianisten für diese Aufgabe, Michael Raucheisen, begleiten. Als ein Verhältnis zwischen Ivogün und Raucheisen offenkundig wurde, war Karl Erbs größte Sorge, dass er sich nun einen neuen Begleiter suchen müsse.

Die Trennung erfolgte dann aber freundschaftlich, nach der Scheidung heiratete Ivogün 1933 Michael Raucheisen, mit dem sie 51 Jahre, bis zu seinem Tod 1984 eine glückliche Ehe führte.

Bedingt durch ein Augenleiden beendete die Sängerin bereits 1932 ihre Bühnenkarriere, auch vom Konzertpodium zog sie sich 1934 zurück.

Nach dem zweiten Weltkrieg unterrichtete Ivogün von 1948 bis 1950 an der Wiener Musikakademie, ihrer einstigen Ausbildungsstätte. Im Anschluss daran wirkte sie als Professorin an der Musikhochschule Berlin. Danach zog sie sich mit ihrem Ehemann in die Schweiz zurück, wo sie am 3. Oktober 1987 im Alter von 95 Jahren starb.

Ihre letzte Ruhestätte fand sie neben ihrem Gatten Michael Raucheisen in dessen bayerischen Geburtsort Rain. Ihre sämtlich in der Schellack-Ära entstandenen Schallplatten geben bis heute einen Eindruck von ihrer technischen Brillanz, aber auch dem sehr persönlich gefärbten Timbre der Stimme. Beurteilt man heute Fachkolleginnen, so wird immer noch „Die Ivogün“ zum Vergleich herangezogen.

Peter Sommeregger, 4. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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