Sommereggers Klassikwelt 225: Wie der Dichter Wilhelm Müller durch Franz Schubert unsterblich wurde

von Peter Sommeregger 

Beim Namen Wilhelm Müller fällt gewöhnlich auch gebildeten Menschen wenig ein. Dabei kennt wahrscheinlich fast jeder Mensch das Lied „Das Wandern ist des Müllers Lust“, das zwar Teil des Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert ist, aber eine volksliedähnliche Popularität erreichte.

Aber auch ohne die Verbindung zu Schubert war dieser Wilhelm Müller ein interessanter Künstler. Geboren am 7. Oktober 1794 in Dessau als Sohn eines Schneiders, ermöglichte ihm die wohlhabende zweite Ehefrau seines Vaters ab 1812 ein Studium der Philologie in Berlin. Bereits 1813 meldete sich Müller aber als Freiwilliger zum Preußischen Heer und nahm als Soldat an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. Ab 1816 verkehrte er in Berliner literarischen Salons, wo er Bekanntschaft u.a. mit Clemens Brentano, Ludwig Tieck und Achim von Arnim schloss. 1817/18 unternahm er eine Bildungsreise nach Italien, die drei Jahre später ihren Niederschlag in dem zweibändigen Werk „Rom, Römer, und Römerinnen“ fand. Ursprünglich hätte seine Reise ihn auch nach Griechenland führen sollen, aber wegen einer dortigen Epidemie unterblieb dies.

Wilhelm Müller wirkte zunächst als Gymnasiallehrer für Latein, Griechisch und Geschichte. Im Jahr 1820 wurde er zum Verwalter der Bibliothek des Herzogs Leopold Friedrich von Anhalt-Dessau berufen. Die dortige Tätigkeit und vereinzelte journalistische Aufgaben bedeuteten für ihn die Verbindung zur Welt der Literatur; sie wirkten sich auch finanziell günstig für ihn aus und ermöglichten ihm die Heirat mit Adelheid Basedow, mit der er zwei Kinder hatte.

Müller beschäftigte sich intensiv mit dem literarischen und politischen Werk Lord Byrons, was ihm bald Ärger mit der Zensur eintrug. Der Dichter wurde als Mitbegründer des deutschen „Philhellenismus“ angesehen, seine „Zehn Lieder der Griechen“ trugen ihm den Spitznamen „Griechenmüller“ ein. Während der 1820er Jahre veröffentlichte Wilhelm Müller eine Vielzahl lyrischer Texte, bedeutend sind seine „Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten“, die auch die Texte für Schuberts Liederzyklen „Die schöne Müllerin“ und „Winterreise“ beinhalten.

Seine Gedichte sind geprägt von der Frühromantik, ihre oft schlichte Bildhaftigkeit darf nicht mit Naivität verwechselt werden. Die Düsternis der Winterreise darf man als Symbol der enttäuschten politischen Hoffnungen des deutschen Vormärz deuten. Kein Dichter seiner Generation wurde nach Goethe und Heine öfter vertont als Wilhelm Müller.

Erschöpft von seinen verschieden Tätigkeiten unternahm Müller im Sommer 1827 mit seiner Frau eine „Rheinreise“, auf der er neue literarische Bekanntschaften mit Uhland, Hauff und Kerner schloss. Auf der Rückreise besuchte das Ehepaar Goethe in Weimar. Gut gelaunt und erholt kehrte Müller nach Dessau zurück, wo er nur wenige Tage später, am 1. Oktober 1827, einen tödlichen Schlaganfall erlitt. Franz Schubert, durch dessen Kompositionen sein Name bis heute bekannt ist, überlebte ihn nur um wenig mehr als ein Jahr.

Peter Sommeregger, 27. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

CD-Rezension: Schubert Lieder with Orchestra, Benjamin Appl

Franz Schubert, Ausgewählte Lieder, Schwanengesang Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin, 3. Dezember 2022

Ian Bostridge, Lars Vogt, Franz Schubert Liederabend Wigmore Hall, London, 24. September 2021  

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