Sommereggers Klassikwelt 243: Die Zahl der Tristan- Interpreten ist in Neu-Bayreuth auch nach über 70 Jahren noch überschaubar

Sommereggers Klassikwelt 243: Die Zahl der Tristan- Interpreten ist in Neu-Bayreuth auch nach über 70 Jahren noch überschaubar  klassik-begeistert.de, 16. Juli 2024

Joseph Albert Ludwig und Malwine Schnorr von Carolsfeld, Tristan und Isolde © wikipedia

 von Peter Sommeregger

In der nächsten Woche beginnen die diesjährigen Bayreuther Festspiele. Eröffnet werden sie mit einer Neuinszenierung von Wagners vielleicht emotionalstem Werk, „Tristan und Isolde“. Die Besetzung der Titelrollen dieser Oper bereitete bereits Richard Wagner selbst Schwierigkeiten, bis er 1865 schließlich das Ehepaar Ludwig und Malwina Schnorr von Carolsfeld für die Uraufführung in München gewinnen konnte. Dass Ludwig nur Wochen nach der ersten Aufführungsserie plötzlich starb, begründete den Mythos von der Gefährlichkeit, ja der Unsingbarkeit dieser Rolle. Bis heute wagen sich in jeder Sängergeneration nur wenige Tenöre an diese fordernde und komplexe Partie.

Selbst in Bayreuth, wo das abgedeckte Orchester den Sängern durchaus entgegenkommt, stellten sich seit der Neugründung der Festspiele 1951 nur wenige Tenöre dieser Herausforderung. Den Anfang machte der Südamerikaner Ramón Vinay, von seiner Interpretation unter Herbert von Karajan existiert ein Mitschnitt, der zu den besten Aufnahmen des Werkes zählt. Ab 1957 wurde der Tristan von Wolfgang Windgassen zu einer Institution, er war bis 1970 der einzige Interpret der Rolle in Bayreuth, mit Ausnahme einer Vorstellung, in der Hans Beirer für ihn einsprang.

In den Jahren 1974 und 1975 sang der Schwede Helge Brilioth den Tristan, wobei er 1975 nach drei Aufführungen durch Hermin Esser ersetzt werden musste.

1976 und 1977 konnte der bulgarische Tenor Spas Wenkoff einen großen Erfolg verbuchen, nachdem René Kollo 1981 und 1982 die Rolle übernahm, 1981 zweinmal durch den Einspringer Hermin Esser ersetzt, kehrte Spas Wenkoff 1983 als Tristan auf den grünen Hügel zurück.

Bei den Festspielen 1986 und 1987 wagte sich der umstrittene Tenor Peter Hofmann an die Partie, die er unter Leonard Bernstein bereits 1981 konzertant in München gesungen hatte.

Mit Siegfried Jerusalem übernahm 1993 wieder ein Sänger für längere Zeit die Rolle in Bayreuth. Bis 1999 war er der einzige Bayreuther Tristan, mit Ausnahme einer Aufführung 1996, in der Wolfgang Schmidt den Tristan von der Seite der Bühne sang, und der indisponierte Jerusalem die Darstellung übernahm.

Ab 2005, bis 2012 war schließlich Robert Dean Smith der einzige Bayreuther Tristan, abgesehen von einer Aufführung, in der ihn Stefan Vinke ersetzte. Ihn löste 2015 der Amerikaner Stephen Gould ab, der zu dieser Zeit als der international führende Wagner-Tenor galt. Bis 2022 war Gould fest als Tristan gesetzt, 2018 sprang einmal Andreas Schager, 2019 wieder Stefan Vinke einmalig ein.

Stephen Gould war auch 2023 als Tristan vorgesehen, musste aber wegen einer schweren Erkrankung absagen. Der Newcomer Clay Hilley übernahm die Rolle kurzfristig. Die internationale Wagner-Gemeinde wurde kurz nach dem Ende der Festspiele 2023 durch die Nachricht vom Tod Stephen Goulds erschüttert.

Im aktuellen Festspielsommer 2024 wird Andreas Schager den Tristan verkörpern, sein Debüt in dieser Rolle hatte er auf dem grünen Hügel aber schon 2018, als einmaliger Einspringer für Gould. Man darf trotzdem gespannt sein.

Peter Sommeregger, 16. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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3 Gedanken zu „Sommereggers Klassikwelt 243: Die Zahl der Tristan- Interpreten ist in Neu-Bayreuth auch nach über 70 Jahren noch überschaubar
klassik-begeistert.de, 16. Juli 2024“

  1. Der Vollständigkeit halber (weil es komischerweise auch nicht auf der Homepage der Festspiele steht): Am 24. August 2018 sang Vincent Wolfsteiner den 3. Aufzug von der Seite, während Gould stumm die Vorstellung zu Ende spielte.

    Felix Groll

  2. Ich darf noch einen weiteren Tristan erwähnen. Als junger Student verfiel ich Wagners Musik, und so bewarb ich mich früh erfolgreich für die Premiere des Tristan im Mai oder Juni 1963 in Düsseldorf. Es war die erste Operninszenierung von Jean Pierre Ponnelle, der nebenan bei Karl-Heinz Stroux (dem Nachfolger Gustav Gründgens) Chef-Bühnenbildner war und zunehmend dort auch inszenierte.
    Astrid Varnay sang die Isolde, Grace Hofmann die Brangäne, und als Tristan war Hans Hopf vorgesehen, der jedoch passte, und dann bekamen wir Set Svanholm, mit damals 58 noch auf dem Höhepunkt, es war unvorstellbar gut. Leider verstarb er im folgenden Jahr. Viele Szenen habe ich heute, 60 Jahre später, noch gut in Erinnerung.
    Der Dirigent war Alberto Erede, der an der Rheinoper über 1.200 Vorstellungen dirigierte, regelmäßig aber auch an der Net und mit Lohengrin auch in Bayreuth. Sein Assistent, der gern selbst dirigiert hätte, war Carlos Kleiber, sieben Jahre an der Rheinoper, zunächst als „Studienleiter“, dann zunehmend und schon damals Aufsehen erregend als „Kapellmeister“. Ich erlebte ihn u.a. mit einem wunderbaren Freischütz, die märchenhafte Inszenierung war von Bohumil Herlischka.
    Genug: ich wollte auch nur Set Svanholm hinzufügen!

    J. Capriolo

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