Otto Schenk mit Mirella Freni und Peter Dvorský bei den Proben zu »Manon Lescaut« 1986 © Axel Zeininger
Am 9. Januar, oder Jänner, wie man in Österreich sagt, ist der Schauspieler, Autor und Regisseur Otto Schenk mit 94 Jahren in seinem Haus am oberösterreichischen Irrsee gestorben. Kaum ein Medium, dass diesen Tod bei aller Erwartbarkeit unkommentiert ließ. Schenk verfügte über so viele Talente, Facetten und eine so starke, positive Persönlichkeit, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll, ihn zu würdigen.
von Peter Sommeregger
Ich will mich auf das beschränken, was in meinen Augen seine größte Stärke war: die Opernregie. Seine ersten Arbeiten für die Wiener Staatsoper fielen in eine Zeit, da eine Ablösung des Plüschsofa-Regiestils der Nachkriegsjahre unausweichlich wurde. Der geniale Wieland Wagner hatte in Neu-Bayreuth eine Türe aufgestoßen, sein zu früher Tod setzte aber leider einen Schlusspunkt hinter seine Pionierarbeit.
Schenks Zugang zum Musiktheater war ein gänzlich unterschiedlicher, er zielte auf die Wahrhaftigkeit seiner Charaktere ab, formte Persönlichkeiten auf der Bühne und machte so die oft banalen Stoffe der Opern erst glaubwürdig.
Unvergesslich ist mir seine „Jenůfa“ von 1964, die er mit Sena Jurinac und Waldemar Kmentt zu einem Triumph und einer Renaissance Janáčeks führte. 1965 inszenierte er Strawinskys „Rake’s Progress“ ganz im Stil der Stiche Hogarths in glanzvoller Besetzung – bedauerlich, dass diese Modellinszenierung nur zwei Aufführungen erlebte. Alban Bergs „Lulu“ überführte er mit der fulminanten Anja Silja 1968 endgültig in das klassische Repertoire.
Im gleichen Jahr hatte sein prächtiger „Rosenkavalier“ Premiere. Diese optisch opulente Inszenierung ist bis heute auf dem Spielplan und genießt ähnlich der „Tosca“ Margarita Wallmanns Kultstatus. Ihr Erfolg veranlasste die Bayerische Staatsoper in München, Otto Schenk 1971 ebenfalls mit einer Neuinszenierung zu beauftragen, die sich nahezu 50 Jahre auf dem Spielplan hielt.
In Wien wie in München machten seine Inszenierungen der „Fledermaus“ mit subtilem Humor ebenfalls Furore, die Wiener Version ist bis heute im Spielplan. Die Paraderolle des Frosch hatte Schenk von 1963 bis 1992 nicht weniger als 54 mal verkörpert. Beethovens „Fidelio“ inszenierte er 1970 zum 200. Geburtstag des Komponisten im historischen Theater an der Wien, die Aufführung wurde später in das Haus am Ring übernommen.
Etwa 30 Inszenierungen hat Otto Schenk für die Wiener Staatsoper geschaffen, seine letzte war 2014 Janáčeks „Schlaues Füchslein“, womit sich für ihn nach 50 Jahren ein Kreis schloss. Er deckte mit seinen Arbeiten ein großes Spektrum des Werkekanons ab, auch die Uraufführungen von zwei Opern Gottfried von Einems wurden durch seine Regie geprägt, „Der Besuch der alten Dame“ mit Christa Ludwig 1971, und „Kabale und Liebe“ mit Anja Silja 1976.
Bewahrt hat er eine ganze Generation von jungen Stehplatzbesuchern, die wie ich erst die Welt der Oper für sich entdeckten, vor alten Zöpfen einerseits, und allzu schrägen Neu- und Umdeutungen späterer Generationen von Regisseuren.
Es konnte nicht ausbleiben, dass auch andere Opernhäuser Otto Schenk für sich entdeckten und ihn einluden, die Metropolitan Opera in New York brachte es über die Jahre auf nicht weniger als 16 Inszenierungen des Wieners.
Eine Sonderstellung nimmt dabei Wagners „Ring des Nibelungen“ ein, die Wagners Regieanweisungen bis ins Detail befolgt und sich so gegen den allgemeinen Trend der Verfremdung bis zur Unkenntlichkeit stellte. Dieser Ring ist auf DVD dokumentiert und kann zu Studienzwecken jederzeit herangezogen werden. Ein paar weitere Schenk-Inszenierungen haben es auf Bildträger geschafft, keine will einem auch nach vielen Jahren altmodisch erscheinen.
Vielleicht wäre seine spezielle Musiktheater-Ästhetik heute nicht mehr vermittelbar, bei meiner Generation sieht das anders aus.
Ruhe in Frieden, Otti! Und danke, dass Du uns die Oper zur Herzenssache gemacht hast.
Peter Sommeregger, 13. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at