Foto: Rollenbildnis als ‚Italienische Sängerin‘ in der Oper „Capriccio“ von Richard Strauss. Aufführung im Festspielhaus bei den Salzburger Festspielen 1950 VIII 12 © de.wikipedia.org
Dieser silberne Klang der Stimme, dieses unverwechselbare Timbre, dieser Farbenreichtum wie ein Sommerblumenstrauss!
von Peter Sommeregger
Die am 26. April 1925 in Wien geborene Wilma Lipp erhielt bereits mit 11 Jahren ersten Gesangsunterricht, im Alter von 17 Jahren debütierte sie als Rosina in einer Freilichtaufführung des „Barbier von Sevilla“. Ihre Verpflichtung als Elevin an die Wiener Staatsoper 1945 war der nächste, entscheidende Schritt ihrer Karriere.
Nachdem sie sich in kleinen und kleinsten Rollen bewährt hatte, wurde sie schließlich reguläres Ensemblemitglied. Mit nur 23 Jahren sang sie ihre erste Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“, die schnell so etwas wie ihre signature role werden sollte. Herbert von Karajan holte sie dafür 1950 sogar ins Schallplattenstudio.
Wilma Lipp beschränkte sich aber keineswegs auf das Fach des Koloratursoprans, kontinuierlich erweiterte sie ihr Repertoire um Partien des lyrischen Faches, übernahm aber sogar einige Rollen, die deutlich darüber hinausgingen, wie z.B. die Eva in Wagners „Meistersingern von Nürnberg“. Meine persönliche stärkste Erinnerung an sie ist Gounods Marguerite, die sie 1963 unter Georges Prêtre an der Wiener Staatsoper sang, und die ich vom Stehplatz aus erlebte.
Bereits 1953 war sie in Wien zur jüngsten Kammersängerin der Geschichte ernannt worden, 1982 wurde sie Ehrenmitglied des Institutes. Im Laufe ihrer Karriere gastierte die Sängerin an zahlreichen europäischen Opernhäusern, auch San Francisco und das Teatro Colón in Buenos Aires erlebten die Sängerin in mehreren Rollen. Neben ihren Opernpartien war Lipp auch eine große Interpretin der Wiener Operette, mit der sie große Erfolge feiern konnte.
Es würde jeden Rahmen sprengen, alle von ihr gesungenen Rollen aufzuführen, auf Schallplatten ist ihre Stimme in vielen Partien zu hören, sogar als Marianne Leitmetzerin im „Rosenkavalier“, die sie 1981 als letzte Partie unter Karajan sang. Nachdem sie sich Anfang der 1980er Jahre von der Bühne zurückgezogen hatte, unterrichtete sie noch bis 1998 am Salzburger Mozarteum Gesang.

Lipps erster Ehemann war der zeitweilige Direktor der Wiener Staatsoper, Rudolf Gamsjäger. Die Ehe wurde geschieden, mit ihrem späteren, zweiten Ehemann lebte sie bis zu ihrem Tod am 26. Januar 2019 am bayerischen Ammersee. Bestattet ist Wilma Lipp in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Während ihrer gesamten Karriere galt sie als Inbegriff des „Wiener Mädels“, ihr Charme und ihr gutes Aussehen unterstützten noch die Wirkung ihres Gesanges. Jeder regelmäßige Besucher der Wiener Staatsoper hat sie unzählige Male auf der Bühne erlebt, für eine ganze Generation war „die Lipp“ einfach eine Institution. Wenn sie ihren 100. Geburtstag auch nicht mehr erlebt hat, ist er doch eine gute Gelegenheit, sich ihrer dankbar zu erinnern.
Peter Sommeregger, 30. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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