von Peter Sommeregger
… diesen etwas lockeren Spruch oder „Sager“, wie man das in Wien nennt, über den Wiener Zentralfriedhof werden trauernde Menschen vielleicht unpassend finden. Nähert man sich aber dieser Nekropole als neugieriger Besucher, so kann man die zu Stein gewordene menschliche Eitel- und Geschmacklosigkeit auch von der amüsanten Seite sehen. Pompöse Grabmale machen genau so wenig unsterblich, wie inflationär häufig vergebene Ehrengräber der Stadt Wien. Dafür ist ein Mozart, dessen Grabstelle man nicht kennt, wahrhaftig unsterblich geworden.
Steht der mittlere Hauptteil des Friedhofs, den man über das Tor 2 betritt, allen Konfessionen offen, so gibt es aber auch eine so genannte Israelitische Abteilung bei Tor 1, die zeitgleich mit dem Rest der Friedhofsanlage 1874 in Betrieb genommen wurde. Bezeichnend ist, dass deren Grenze zum Rest des Friedhofs nicht klar erkennbar ist. Zur Zeit der Habsburger-Monarchie waren Juden in Wien wohl gelitten, solche Israelitische Abteilungen gibt es praktisch auf allen Wiener Friedhöfen des 19. Jahrhunderts. Auffällig aber auch hier die „eingefrorene“ Zeit, liest man die Grabinschriften. In fast allen Fällen reißt hier der verbindende Faden zur gegenwärtigen, bzw. vorletzten Generation. Dieser Bruch ist unumkehrbar, obwohl es in Wien wieder vermehrt jüdisches Leben und eine wachsende Gemeinde gibt. Eine schmerzhafte Leerstelle ist im Eingangsbereich jener Platz, an dem die prächtige Zeremonienhalle stand, die in der Reichskristallnacht dem nationalsozialistischen Mob zum Opfer fiel.
Auch hier finden sich neben den zum Teil aufwändig gestalteten Grabmalen, die wie ein Who’s who des assimilierten Wiener Judentums des 19. Jahrhunderts wirken, Ehrengräber bedeutender Persönlichkeiten.
Zu den älteren gehören die Grabstätten von Maximilian Steiner, dem legendären Direktors des Theaters an der Wien, Wegbereiter des goldenen Zeitalters der Wiener Operette, er starb bereits 1880. Der aus Ungarn gebürtige Komponist Karl Goldmark, bis heute durch seine große Oper „Die Königin von Saba“ bekannt, fand 1915 hier seine letzte Ruhe. Der vielleicht prominenteste Tote ist der Schriftsteller und Dramatiker Arthur Schnitzler, in seinem Brotberuf Arzt, und bis heute ein Fixstern am österreichischen literarischen Himmel. Er wurde 1931 bestattet, später wurde auch sein Sohn Heinrich in dem Grab beigesetzt. Der erst 1979 verstorbene erfolgreiche Schriftsteller Friedrich Torberg (Pseudonym für Kantor-Berg) hatte seinen größten Erfolg mit dem Buch „Die Tante Jolesch“, einer Schilderung des untergegangenen jüdischen Lebens in Wien, erhielt sein „Wunschplatz“ nahe dem verehrten Arthur Schnitzler. Auch der Kabarettist Gerhard Bronner, der als Jugendlicher vor den Nazis flüchten musste, nach seiner Rückkehr aber zu einem Star der Wiener Kabarettszene avancierte, fand hier 2007 seinen endgültigen Frieden.
Auch dieses große Areal reichte eines Tages nicht mehr aus, da jüdische Gräber traditionsgemäß nicht eingeebnet werden dürfen. Bereits seit der Zeit des ersten Weltkrieges wurde auf einem weiter westlich gelegenen Grundstück, hinter dem Tor 4 der so genannte Neue Israelitische Friedhof angelegt, der eine eigene Zeremonienhalle erhielt. Auch hier kann man die Grabstätten bedeutender Persönlichkeiten finden, so z.B. jene des Opernsängers Emanuel List, der speziell als Wagnersänger eine Internationale Karriere machte, die ihn bis an die New Yorker Met führte. Aus dem Exil nach Wien zurückgekehrt , fand er hier 1967 seine letzte Ruhe.
Auch mit diesem Beitrag ist erst der kleinste Teil der unerschöpflichen Geschichten über die wienerische Lust am pomp funebre erzählt. Fortsetzung folgt!
Peter Sommeregger, 30. September 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt 54: Unvergesslich! Die Wiener Erinnerungskultur klassik-begeistert.de
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.