Lebendig und beseelt – die Wiedereröffnung der Elbphilharmonie Hamburg vor Live-Publikum
Elbphilharmonie Hamburg, 31. Mai 2021
Foto © Maxim Schulz
„Damit sich am Ende alle zusammenfinden können“
von Andreas Schmidt (klassik-begeistert.de) und
Patrik Klein (IOCO Kultur im Netz)
Manchmal liegt es nahe, wenn zwei Medien, die mit leicht unterschiedlicher Philosophie aber sehr ähnlichen Vorlieben unterwegs sind, auch einmal ein Stück des Weges gemeinsam gehen. So wurde an diesem Freudentag der Wiedereröffnung der Elbphilharmonie Hamburg und dem vorherigen Besuch der Pressekonferenz der Staatsoper Hamburg, bei der das neue attraktive Programm der kommenden Saison vorgestellt wurde, ein gemeinsamer Abend im Block K des Hauses nebeneinander sitzend und miteinander plaudernd und gebannt zuhörend verbracht.
Der Intendant der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, begrüßte dann auch die rund 700 Gäste voller Emotionen und brachte zum Ausdruck, dass er sich besonders darüber freue, dass denn nun dieses ungewöhnliche Programm an diesem Abend pandemiebedingt zum Wiedereröffnungsabend nach sieben Monaten wurde. „Herzlich willkommen in der Elbphilharmonie – das habe ich schon lange nicht mehr gesagt“, sagte der gebürtige Wiener.
Seit vielen Jahren beschäftigt sich der durch Lied- und Operngesang weltweit bekannte Bariton Thomas Hampson mit dem Projekt „Song of America“, das sich dem vielfältigen amerikanischen Liedgut widmet.
Die Elbphilharmonie Hamburg plante im Angesicht der Pandemie ein dreiteiliges Live Stream Festival mit in Europa wenig bekannten afroamerikanischen Künstlern vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. So lag es denn nunmehr für die Veranstalter nahe, bei sinkenden Inzidenzen und ersten Öffnungsschritten in der Kultur, gerade mit diesem vernachlässigten Genre den Großen Saal des Hauses wieder zu eröffnen.
Bild: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Foto Daniel Dittus
Kern des Projektes von Thomas Hampson mit der Sopranistin und Hochschulprofessorin Louise Toppin aus Michigan ist es, eine kritische Auseinandersetzung mit der amerikanischen Vergangenheit aus künstlerischer Sicht und ohne Fingerzeig musikalisch zu festigen. Man setzt sich ein für eine gemeinsame amerikanische Kultur, die es schafft, dass sich am Ende alle zusammenfinden können. Afroamerikanische Musik soll als amerikanische Musik endlich anerkannt werden.
Das Programm des dreiteiligen Festivals fokussiert Werke bedeutender afroamerikanischer KomponistInnen, die von Mut, Hoffnung, Abschied und Neubeginn erzählen.
Neben Thomas Hampson und Louise Toppin (Sopran) wurden die amerikanische Sopranistin Leah Hawkins und der Startenor Lawrence Brownlee, der in der Vergangenheit auch an der Staatsoper Hamburg sein Können unter Beweis stellte, engagiert. Unter der Leitung von Roderick Cox stand zudem ein Spitzenorchester aus der deutschen Musikszene auf dem Podium der Elbphilharmonie Hamburg, die „Deutsche Kammerphilharmonie Bremen“.
Das Spiritual von William Levi Dawson „Hope in the Night“ war das Motto des Wiedereröffnungsabends mit Musik der KomponistInnen Valerie Coleman, William Grant Still, George Walker, Hale Smith, Margaret Bonds und William Levi Dawson, die das Thema Hoffnung, Stärke und Widerstandskraft musikalisch verarbeiteten.
Bild: Roderick Cox mit den vier SolistInnen und dem Orchester aus Bremen, Foto Daniel Dittus
Musikalisch geriet der Abend zu einem Erlebnis. Besonders eindrucksvoll spielte das Orchester der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter dem jungen, aufstrebenden Star am Pult, dem Amerikaner Roderick Cox. Die vier SolistInnen, an sich starke Stimmen in der Lied- und Opernszene, hatten es trotz guter bis sehr guter individueller Intonation nicht leicht, sich gegen das stark auftrumpfende Orchester durchzusetzen. Zudem wurden sie an der vorderen Rampe positioniert mit Blick auf die niedrig eingestellten Notenlaptops, so dass ihre feinfühligen Vorträge mit nach unten gerichteten Köpfen singend gelegentlich kaum zu hören waren. Bei den leisen Orchesterpassagen konnte man hingegen die Vorzüge ihrer vortrefflichen Gestaltungskunst genießen.
Aber das Publikum war nach beiden Konzertteilen außer Rand und Band und bedankte sich bei allen Aufführungen frenetisch. Für eine Zugabe nach dem ersten Gesangsteil reichte es dennoch nicht – die Noten dafür lagen bereits auf den Pulten der Bremer Musiker. Sie waren in allen Orchesterteilen der Star des Abends – vor allem die Posaunisten und die Trompeter. So ein wahres Spitzenorchester würde auch der Freien und Hansestadt Hamburg guttun.
Der Dirigent Roderick Cox fiel durch unprätentiöse, sehr weiche und gefühlvolle Bewegungen auf. Ihm gehört die Zukunft. Bravo!
Umoja / Anthem for Unity (2019) von Valerie Coleman war ein wunderzarter Anfang aus der nahen fernen Neuen Welt. Die Bremer Streicher waren schon hier in Höchstform – wie auch beim zweiten Teil, der Negro Folk Symphony (1934 / 1952) von William Levi Dawson.
Der Tenor Lawrence Brownlee hatte es immer wieder schwer, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Er hat ein tolles Timbre mit großem Wiedererkennungswert, könnte aber noch ein wenig an einer selbstverständlichen Strahlkraft arbeiten.
Der Bariton Thomas Hampson, der exzellent Deutsch spricht, hat eine wunderbar viril-männliche Stimme, die in Ihrer Amerikanität vor allem im tiefsten Register voll und berührend zum Ausdruck kommt. Es präsentierte sich ein ausgeruhter Sänger mit unverwechselbarem Timbre, allerdings ist seit Jahren zu hören, dass Hampson mit den höchsten Tönen seines Fachs immer wieder ein klein wenig auf Kriegsfuß steht.
Bild: Roderick Cox und die Kammerphilharmonie Bremen; Foto Daniel Dittus
Die Sopranistin Louise Toppen hatte ihren stärksten Part, als sie mit ihrer Stimmenkollegin Leah Hawkins das geniale Duett „There is a Balm in Gilead“ (ca. 1990) von Hale Smith sang. Insgesamt sang sie an diesem Abend eine Spur zu defensiv. Mit ihrem Engagement setzt sich die US-Amerikanerin für Gleichberechtigung und Diversität ein. So sang sie etwa im US-Kapitol vor Barack Obama und dem Kongress anlässlich der 150-Jahr-Feier des 13. Zusatzartikels in der amerikanischen Verfassung, der das Ende der Sklaverei einläutete.
Leah Hawkins hat eine beeindruckend volle, weibliche Stimme. Ihr tiefstes Register ist für eine Sopranist atemberaubend und sucht seinesgleichen. Auch höchste Töne gibt sie sicher, schön und mit voller Inbrunst. Die aktuelle Saison eröffnete sie an der Bayerischen Staatsoper in der Partie der Desdemona in Marina Abramovićs „7 Deaths of Maria Callas“ – eine Rolle, die sie im September auch an die Opéra national de Paris führt.
Bild: Patrik Klein und Andreas Schmidt vor der Elbphilharmonie Hamburg,
Foto Patrik Klein
Patrik Klein und Andreas Schmidt berichteten gemeinsam aus der Elphi,
2. Juni 2021