von Sophie Reyer
Wien: Ein glänzendes Gewebe aus Gegensätzen, das an die Begriffe „Traum und Wirklichkeit“ sowie „Tod und Eros“ erinnert – und auch an große Namen der europäischen Kulturgeschichte. Denn kaum in einer Weltstadt florierten und florieren Kunst und Kultur ähnlich wie in der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt. Man denke hier nur an die Weimarer Klassik. Doch auch am Beginn des 19. Jahrhunderts konzentrierten sich in dem Zentrum Wien Höchstleistungen der Literatur, Malerei, Architektur und Musik in einer Dichte, die ihresgleichen sucht.
Wen wundert es also, dass mich die Welt der Klassik früh erreichen konnte? Bereits als Vierjährige besuchte ich eine Aufführung von „Peter und der Wolf“ – und mein erstes Bilderbuch, das ich mir wünschte, war eines, das die Geschichte von Mozarts „Zauberflöte“ wiedergab. Ich erinnere mich: damals konnte ich noch nicht lesen, doch die Musik – mein Vater hat mir, die ich noch im Kindergarten gewesen bin, einige Arien vorgespielt – hat es mir sofort angetan. Beim Auspacken des Geschenkes jedoch war ich ein wenig enttäuscht: „Ich dachte, das ist ein großes dickes Buch!“ sage ich dementsprechend auf dem Super-8-Video, auf dem ich mit meinem „Zauberflöte“-Bildband, den ich noch heute manchmal ansehe, abgelichtet bin. Wie auch immer: So jedenfalls begann eine große Liebesgeschichte.
Ein viel einfacheres, volksliedhaftes Musikstück jedoch hat mich auch im Besonderen geprägt. Es heißt „Zwei Königskinder.“ Ich habe das Lied das erste Mal als Kind gehört. Ich weiß noch: Ich bin auf dem Wohnzimmerboden gesessen. Ja, ganz genau erinnere ich mich: Der grüne Teppich. Meine kleinen Füße. Die großen Hände der Mutter und eine Musikkassette. Alles ist sehr klar und einfach gewesen damals.
„Was ist mit denen?“ habe ich gefragt.
„Die ertrinken“, ist die rasche Antwort gewesen. Sie kam ein wenig rau.
„Warum?“
„Sie lieben sich“, hat meine Mutter gemurmelt, die etwas gestresst war und eigentlich nicht mit mir reden wollte
„Aha“, habe ich geantwortet.
Ich weiß noch: Ich hörte die Kassette mit dem Lied „Zwei Königskinder“ mit meinem Bruder gemeinsam an. Irgendwie passte das zu der Stadt Wien, in der ich aufwuchs und in der in jeder Ecke ein Toter zu lauern schien. Ich weiß noch: Als Kind bin ich süchtig nach den Klängen gewesen, habe wiederholt auf „Play“ gedrückt. Bald schon eierte die Kassette und dann riss das Band. Was für ein spannender Anblick! Dachte ich, als die Schlaufen sich im Kassettenrekorder verfingen. Wie Schlangen sahen sie aus! Schließlich rissen sie entzwei. Ich weiß noch: Auch in mir ist etwas gerissen, immer wieder, bei jedem erneuten Hören. Viel später schrieb ich den Roman „Zwei Königskinder“, der diese Volksweise verarbeitete. Doch damit nicht genug. Auch das Lied selbst habe ich nachgedichtet wie folgt:
Königskinder (remixed)
Zwei die
ein Wasser teilte
trotz Liebe
zu tief
Könntest schwimmen
ich mach Licht
dir aus Liebe leuchten
so tief
Wer bläst da
die Kerzen aus
einer ertrinkt
in Tiefe
wohin
Fisch ihn mir
ich küss die Lippen
ich krank an der Trauer
mach die Augen auf
und spring
aus Liebe
trotz Liebe
in Liebe
tief
Sophie Reyer, 8. Juni 2020, für
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Sophie Reyer (hier im Bild mit ihrer Mutter Eva Reyer), geboren 1984 in Wien, lebt als Schriftstellerin und Komponistin im 17. Gemeindebezirk der österreichischen Hauptstadt. 2013 “käfersucht” bei S. Fischer. 2013 Preis „Nah dran!“ für das Kindertheaterstück „Anna und der Wulian“, 2014 Uraufführung „Anna und der Wulian“ an der badischen Landesbühne. Seit 2016 Doktor der Philosophie (Universität für Angewandte Kunst Wien). Sophie Reyer hat 60 Romane, Theaterstücke und Sachbücher geschrieben. Auch Prosa und Lyrik sind ihr Metier. Sie leitet Lehrgänge für Film-, Medien- und Theaterwissenschaft an der Universität Wien und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich in Baden. Die Liebe zur Musik begleitet sie seid frühester Kindheit; mit sechs begann Sophie Reyer Klavier zu spielen – und sie studierte Komposition in Graz. „Was mich von jeher fasziniert hat war das Zusammenspiel von Sprache und Klang“, sagt Sophie. „Als Kind konnte ich stundenlang das Wort „parallel“ wiederholen, ich ließ es mir auf der Zunge zergehen, fand es witzig, ohne zu wissen, was es meinte, bekam komische Bilder im Kopf. Sprache hat mich von Anfang an unglaublich fasziniert. Diese Faszination lag vor allem in ihrer Phonetik und nicht in ihrer Semantik: Par. All. Lalla. Rap. Paralell. Prall alle. Palle. Rar. Parle. Para. Laller. (…) Der Weg blieb derselbe: Die Suche nach einer Sprache jenseits herkömmlicher Strukturen.“
Mit Begeisterung habe ich Ihre Geschichte gelesen. Es freut mich immer wieder, Menschen kennen zu lernen, die in der Welt der Sprache, der Kunst und der Musik zu Hause sind. Die Bilder, die Stephan Kenner-Otto veröffentlicht, faszinieren mich so sehr, dass ich sie mit meinen Worten kommentiere.
Ich muss dazu sagen, dass ich ein Autodidakt in allen Gebieten und mit 90 Jahren nicht mehr die Jüngste bin.
Hier meine Homepage:www.helga-rikken.com
Herzliche Grüße …… Helga Rikken