von Sophie Reyer
Setzt man sich mit dem Werk des als Genie propagierten und zweifellos überaus begnadeten – sei es durch die Umstände, den Druck des Vaters, sei es durch neuronale Veranlagung – Mozart auseinander, so fällt im Besonderen ein überaus breit gefächertes Männerbild auf, was die Protagonisten in den Opern des Komponisten betrifft. Oder?
In diesem Kontext ist es spannend, sich mit einem Aufsatz des Philosophen Kierkegaard auseinanderzusetzen. Ja, denn dieser hat Papageno, Don Giovanni und auch die Figuren aus Cosi fan tutte einmal unter die Lupe genommen und im Spiegel seiner Zeit betrachtet – und das im Hinblick auf das Thema Sexualität. Der Philosoph widmet sich hier in seinen Papieren im Abschnitt A des Textes den „unmittelbaren erotischen Stadien oder das Musikalisch – Erotische“ … den möglichen Formen der Sexualität im Kontext der Mozart’schen Musik – und kommt so zu der Auffassung, dass es im sexuellen Erleben eines Menschen drei unterschiedliche Stadien gäbe.
Als erste Form seiner Abhandlung über diese Charakteristika bezeichnet Kierkegaard das Stadium eins, während die zweite Trias-Stadium zwei und die dritte Stadium drei genannt werden. So weit so gut. Neugierig macht jedoch, dass Kierkegaard jedem dieser Spezifika eine Figur aus dem Mozartschen Schaffen zu Grunde legt. So darf der zarte Cherubino aus „Le Nozze die Figaro“ das erste Stadium vertreten. Kierkegaard nennt diese Entwicklungsstufe die des Träumens, in der Sexualität noch nicht ganz erwacht, Begierde bloss erahnt und in Form von Schwärmereien abgetastet wird. Das geschieht in einer Art Spiel. Wen wundert es also, dass die Partie des süßen Pagen – der ja eigentlich männlich ist – auch als wie Kierkegaard es betitelt „Frauenzimmerstimme“ angelegt ist? Genau, niemanden. Noch sitzen, ähnlich wie bei Pflanzen, Männliches und Weibliches in ein und derselben Blüte, lesen wir hier. Welch ein Glück: Begehren und Begierde fallen in diesem Stadium zusammen, und wie man sieht, fällt dies überaus inspirierend für die anderen Frauen aus, die Cherubino umgeben. Oder? Für Kierkegaard ist dieses Begehren unerwachsen und „unnatürlich“ -eine Haltung, die homosexuelle Neigungen in Frage stellt und ihrer Zeit geschuldet sein mag.
Doch weiter zum nächsten Abschnitt: Für das zweite Stadium muss nun Papageno, der Held meiner Kindheit und lustiger Vogel – Protagonist der „Zauberflöte“, herhalten. Hier ist alles im Sinne des Aufbruchs gestaltet. Denn unser Papageno geht, ganz im Sinne der klassischen Heldenreise, auf Entdeckungs-Trip und lotet so seine Grenzen aus. Die Musik scheint förmlich zu sprudeln vor Entdeckerlust und Heiterkeit, einer Freude auf der Suche nach dem Unbekannten, wenn es da heißt:
„Der Vogelfänger bin ich ja
Stets lustig heissa hoppsassa
Ich Vogelfänger bin bekannt
Bei alt und jung im ganzen Land“
Und dergestalt vogelfrei ist auch Papagenos Handeln: Er schwirrt umher und nimmt, was kommt. Die Frau ist hier eine Art Beute, die – als Metapher dafür dient der Vogelkäfig, den Papageno stets brav mit sich führt – eingefangen und für sich beansprucht wird. Gezeichnet von gigantischer, dennoch immer frohgemuter Begierde ist der Forschungsdrang, dem sich unser Vagabund aussetzt. Dergestalt wird auch jedes Mädchen, sei es Pamina, seien es die drei Damen, sofort verklärt und idealisiert. Das Begehren kennt noch kein Ziel, muss sich erst einer Art „Feuerprobe“, ausgelöst durch die vor Wut geifernde Königin der Nacht, aussetzen.
Als drittes Stadium schließlich wird Don Giovanni genannt. Paradoxer Weise bleibt dieser jedoch, liest man Kierkegaards Schriften, nichts als eine Art Folie. Zum übermenschlichen Verführer hochstilisiert wird Giovanni hier die Metapher schlechthin für ein Individuum, das sich nur in der Relation zu Frauen zu manifestieren weiß. Zwar ist Don Giovanni die Quelle des Begehrens, dennoch: er ernährt sich, gleichsam Zombie oder Vampir, einzig durch sie. Was wäre der Schürzenjäger denn ohne seine Gespielinnen? Ja, die Liebe zur Frau hat hier – ganz und gar nicht im Sinne von Papagenos Verspieltheit und Verschmitztheit – eine ganz andere Form der Dringlichkeit, oder?
So ist Don Giovannis gesamtes Dasein ohne Frauen sinnlos, ja, jeder Atemzug scheint aufgebaut auf Bestätigung von einem femininen Außen. Giovanni hat ohne Frauen keinen Sinn, er ist nicht ohne sie. Insofern definiert Giovanni diesen Protagonisten auch als einen, der das Begehren selbst darstellt. Leerer Trieb scheint der Protagonist zu sein – und darunter auch zu leiden, wie die um einiges dunkler und trauriger gestaltete Musik dieser Oper zu beweisen weiß, oder? Kein Wunder, dass da auch der (un)-tote Vater als eine Art Deus ex machina im letzten Akt auftauchen muss, oder?
Spannend ist hier der Aspekt, dass Kierkegaard Begehren immer als etwas Gerichtetes auffasst. Während Cherubini etwas in sich selbst zum Gegenstand seiner Begierde hat, oszilliert Papageno zwischen den Welten, sucht indes Don Giovanni die Bestätigung nur in der äußeren Wirklichkeit.
Sophie Reyer, 23. Juli 2020, für
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Sophie Reyer (hier im Bild mit ihrer Mutter Eva Reyer), geboren 1984 in Wien, lebt als Schriftstellerin und Komponistin im 17. Gemeindebezirk Hernals der österreichischen Hauptstadt. 2013 “käfersucht” bei S. Fischer. 2013 Preis „Nah dran!“ für das Kindertheaterstück „Anna und der Wulian“, 2014 Uraufführung „Anna und der Wulian“ an der badischen Landesbühne. Seit 2016 Doktor der Philosophie (Universität für Angewandte Kunst Wien). Sophie Reyer hat mit 35 60 Romane, Theaterstücke und Sachbücher geschrieben – Rekord im deutschsprachigen Raum. Auch Prosa und Lyrik sind ihr Metier. Sie leitet Lehrgänge für Film-, Medien- und Theaterwissenschaft an der Universität Wien und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich in Baden. Die Liebe zur Musik begleitet sie seid frühester Kindheit; mit sechs begann Sophie Reyer Klavier zu spielen – und sie studierte Komposition in Graz. „Was mich von jeher fasziniert hat war das Zusammenspiel von Sprache und Klang“, sagt Sophie. „Als Kind konnte ich stundenlang das Wort „parallel“ wiederholen, ich ließ es mir auf der Zunge zergehen, fand es witzig, ohne zu wissen, was es meinte, bekam komische Bilder im Kopf. Sprache hat mich von Anfang an unglaublich fasziniert. Diese Faszination lag vor allem in ihrer Phonetik und nicht in ihrer Semantik: Par. All. Lalla. Rap. Paralell. Prall alle. Palle. Rar. Parle. Para. Laller. (…) Der Weg blieb derselbe: Die Suche nach einer Sprache jenseits herkömmlicher Strukturen.“