von Sophie Reyer
Ja, Heilige und Prophetin ist sie, diese besondere Frau. Und siehe: sie schreibt. Und komponiert. Und das damals schon – durchaus kein leichtes Unterfangen. Denn wir sprechen von einem Venedig des Jahres 1364. Und dass eine Nonne zu dieser Zeit sowohl Schriftstellerin als auch Philosophin ist, ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, ehrlich!
Wen wundert es da, dass die Philosophin die erste französische Schrifstellerin ist, die von ihrem Werk auch leben konnte? Besonders spannend und inspiriend ist Christine Pisans Werk „Das Buch von der Stadt der Frauen“, bei dessen Titel man schmunzeln und gleich an Fredirico Fellinis pompös-ironisches Filmwerk denken muss, oder?
Doch die Schrift der Nonne, die vermutlich um 1429 in Poissy ihr Leben liess, ist alles andere als witzig, wenn es auch einiger humorvoller Momente nicht entbehrt. Aus heutiger Sicht jedenfalls kann diese allegorisch aufgeladene und in Versmaß verfasste Schrift als eines der feministischen Ur-Werke Europas gelesen werden – und es diente demnach auch als Auslöser für einige hitzige historische Debatten wie in etwa die Querelle des Femmes.
Doch zurück zu dem Lebenslauf dieser besonderen Frau. Die Sterne mögen es von Anfang an gut gemeint haben mit der guten Christine de Pizan, oder?
Geboren in Venedig als Tochter des Astrologen und Arztes Tommaso da Pizzano war der Himmel ihr offenbar freundlich gesinnt. So kam die Tochter des Gelehrten bereits als vierjähriges Mädchen in die Metropole Paris, da ihr Vater zum Astrologen und Leibarzt von König Karl V. berufen wurde. Dass die Männer es trotz der damalig schwierigen Umstände nicht schlecht mit diesem Mädchen meinten, zeigt die Vaterbeziehung: Ihren Wurzeln zufolge genoss Christine de Pizan bereits früh herausragenden Unterricht in den Fächern Latein, Geometrie und Arithmetik.
Doch das Mädchen scheint wohl auch sehr neugierig gewesen zu sein. So verstärkt Christine de Pizan ihre Bildung noch durch die selbst auferlegte umfangreiche Lektüre älterer und zeitgenössischer theologischer und profaner Literatur in französischer und lateinischer Sprache. Im Alter von 15 Jahren schließlich ehelicht Christine den kleinadeligen königlichen Sekretär Étienne du Castel, der bis 1390 lebte – und schenkte ihm drei Kinder.
Doch das Leben schlug bald schon zu: Nach dem Tod ihres geliebten Vaters, dem bald schon das Ableben des Gatten folgt, hat Chrsitine mit den daraus resultierenden finanziellen Problemen zu kämpfen. Nun galt es den Umständen entsprechend die Hosen anzuhaben! Neben ihren Kindern musste Christine de Pizan in diesen Tagen nämlich nun auch noch ihre Mutter und zwei jugendliche Brüder versorgen. Ein Umstand, der es der besonderen Intellektuellen nicht unbedingt leicht machte, an Wiederverheiratung zu denken.
So jedoch hatte die damals noch junge Frau die Möglichkeit, den Fokus auf ihr Wort-Werk zu legen, das demnach auch schon bald florierte. Mehr und mehr gelang es Christine de Pizan ob der Umstände, sich auf ihr dichterisches Werk zu fokussieren. Die Schreibende fokussiert sich auf ihr dichterisches Potenzial und setzt sich intensiv mit dem Dichter Deschamps auseinander. Spannend ist auch der Aspekt des Ineinander-Verwobenseins von Alltag und literarischem Schaffen. So schreibt de Pizan bereits früh ein Erziehungsbuch, genannt „Buch der Klugheit“, für ihre Kinder, das neben ihren Balladen spielerisch und leicht entstand. Dieses widmete die schlaue Frau Philipp dem Kühnen, dem damaligen Herzog von Burgund, einem Sohn des französischen Königs Johann II, der dafür – zum Glück – auch etwas „springen lässt“.
Hausfrau, Genie, Gelehrte und Prophetin – insofern enspricht die gute Christine de Pizan einem Frauenbild, das heute im Besonderen aktuell zu sein scheint – und das sage und schreibe bereits im Jahre 1400! Doch damit nicht genug: Bald schon las Christine de Pizan, die nun längst die Hosen anhatte, vor einer Männergruppe, die sich bald schon als zahlungskräftig erweist. Es enstehen weitere Widmungen – und Christines Aufträge beginnen zu florieren. So zählen bald schon die französische Königin Isabeau de Bavière und die ebenfalls zur königlichen Familie gehörenden Herzöge Johann von Berry, Ludwig von Orléans und Johann Ohnefurcht von Burgund, der Nachfolger Philipps des Kühnen, zu ihren Mäzenen.
Die Basis von Christines früher Lyrik ist recht leicht zusammen gefasst: Ja, um Liebestexte dreht es sich zunächst, wenn die dreifache Mutter vor allem die Trauer über den Tod ihres Mannes beklagt, wie es in den Ballades du veuvage und in Cent ballades d’amant et de dame der Fall ist. Doch damit nicht genug widmete sich Christine de Pizan bald darauf schon der Prosa und einem neuen Bereich: dem der Philosophie. So entstehen sowohl der Fürstenspiegel L’Épître d’Othéa (1400) als auch essayistisch angelegte Betrachtungen über das Wirken Fortunas in der Geschichte und in ihrem eigenen Leben in La Mutation de Fortune (1403).
Aber Christine de Pizan engagierte sich, als Mutter und Versorgerin der Familie stets um Bodenständigkeit bemüht, auch politisch. So nimmt sie sowohl auf die damaligen Bürgerkriege in Frankreich Bezug als auch auf die sogenannte Marionette des „umnachteten“ Königs Karl VI. (1380–1422), der stets nichts anderes als ein Spielball der verschiedene Personen und Parteien, insbesondere der „Bourguignons“ und „Armagnacs“, war.
Doch damit nicht genug. Christine de Pizan imaginiert sich nämlich bald schon die Gründung ihres eigenen Ordens, des sogenannten „Rosenordens“ herbei – und zwar in der 1401 von ihr verfassten Handschrift „Le Dit de la rose“.
Was bald schon folgt ist ihr Hauptwerk – eine Pariser Handschrift, die es in sich hat. Richtig, es handelt sich um das in der Einleitung bereits erwähnte Werk „Stadt der Frauen“, das aus unserer Perskeptive zweifellos das spannendste Ouevre der prophetischen Dame darstellt. Was Pizan hier schafft ist eine fiktive Welt, die sich am Kanon herausragender Frauenbiographien entlanghangelt. Ja: De Pizan weist am Beispiel bedeutsamer Frauengestalten aus der biblischen und profanen Geschichte, auf die verkannten Fähigkeiten der Frau hin und baut so, Steinchen für Steinchen gleichsam ein literarisches Mosaik erschaffend, das Bild einer utopischen Gesellschaft, in der den Frauen gleiche Rechte gewährt werden sollen.
Dort heißt es: „Diejenigen, die Frauen aus Missgunst verleumdet haben, sind Kleingeister!“
Sophie Reyer, 27. August 2020, für
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Sophie Reyer (hier im Bild mit ihrer Mutter Eva Reyer), geboren 1984 in Wien, lebt als Schriftstellerin und Komponistin im 17. Gemeindebezirk Hernals der österreichischen Hauptstadt. 2013 “käfersucht” bei S. Fischer. 2013 Preis „Nah dran!“ für das Kindertheaterstück „Anna und der Wulian“, 2014 Uraufführung „Anna und der Wulian“ an der badischen Landesbühne. Seit 2016 Doktor der Philosophie (Universität für Angewandte Kunst Wien). Sophie Reyer hat mit 35 Jahren 60 Romane, Theaterstücke und Sachbücher geschrieben – Rekord im deutschsprachigen Raum. Auch Prosa und Lyrik sind ihr Metier. Sie leitet Lehrgänge für Film-, Medien- und Theaterwissenschaft an der Universität Wien und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich in Baden. Die Liebe zur Musik begleitet sie seid frühester Kindheit; mit sechs begann Sophie Reyer Klavier zu spielen – und sie studierte Komposition in Graz. „Was mich von jeher fasziniert hat war das Zusammenspiel von Sprache und Klang“, sagt Sophie. „Als Kind konnte ich stundenlang das Wort „parallel“ wiederholen, ich ließ es mir auf der Zunge zergehen, fand es witzig, ohne zu wissen, was es meinte, bekam komische Bilder im Kopf. Sprache hat mich von Anfang an unglaublich fasziniert. Diese Faszination lag vor allem in ihrer Phonetik und nicht in ihrer Semantik: Par. All. Lalla. Rap. Paralell. Prall alle. Palle. Rar. Parle. Para. Laller. (…) Der Weg blieb derselbe: Die Suche nach einer Sprache jenseits herkömmlicher Strukturen.“