Christian Thielemann öffnet die musikalische Schatzkiste

Staatskapelle Wien, Thielemann  Musikverein Wien, 27. Juni 2025

Christian Thielemann, Copyright © Dieter Nagl

So lässt sich eine Konzertsaison beenden. Mit dem Gastspiel der Staatskapelle Berlin bewies Christian Thielemann (fast erwartungsgemäß), dass er heute auf der einsamen Spitze der Dirigenten steht. Es begann mit einem wahrhaft unvergleichlichen Richard Strauss mit einer Zugabe als Neuentdeckung und eine absolut traumhafte Sechste von Anton Bruckner.

Musikverein Wien, 27. Juni 2025

Richard Strauss: 7 Lieder

Ständchen, op. 17/2 (Orchestrierung von Felix Mottl)
Meinem Kinde, op. 37/3
Mein Auge, op. 37/4
Das Bächlein, op. 88/1
Freundliche Vision, op. 48/1
Amor, op. 48/5
Zueignung, op. 10/1


Anton Bruckner: Symphonie Nr. 6 in A-Dur

Erin Morley, Sopran

Staatskapelle Berlin
Christian Thielemann, Dirigent

von Herbert Hiess

Christian Thielemann, Generalmusikdirektor der Staatsoper unter den Linden, widmet sich zukünftig vorrangig Berlin (und dem phantastischen Orchester), was natürlich in Wien in der Saison 2025/26 schmerzhaft zu spüren sein wird.

Nun hatte er mit der Staatskapelle Berlin (also dem Orchester der Staatsoper unter den Linden) seinen mehr als bravourösen Einstieg in den Konzertreigen – und das mit seinen kompositorischen Favoriten Richard Strauss und Anton Bruckner.

Mit der Solistin Erin Morley zelebrierte er sieben Orchesterlieder und eine ganz spezielle Zugabe. Ob der amerikanische Koloratursopran für alle Strauss-Lieder geeignet ist, ist Geschmackssache. Sie verfügt über eine wunderschöne und interessante Sopranstimme, der es leider (wie bei vielen Koloratursopranen) beträchtlich in der Mittellage fehlt. Und leider sang sie des öfteren wortundeutlich. Das für sie am besten (und phantastisch interpretiert!) geeignete Lied war „Amor“, das für die Zerbinetta aus der Oper „Ariadne auf Naxos“ geschrieben hätte sein können.
Unglaublich, mit welcher Bravour und Leichtigkeit sie alle möglichen und unmöglichen Koloraturen und Höhen bewältigte.

Was sie im Koloraturbereich bewältigte, das fehlte ihr bei den getragenen und elegischen Liedern wie zum Beispiel „Meinem Kinde“.

Dafür schuf Thielemann mit den Berlinern ein Klanggemälde nach dem anderen. Bewundernswert, wie er einen riesigen Orchesterapparat auf kammermusikalische Dimensionen reduzierte. Einfach souverän und superb alle Instrumentengruppen; allen voran der Konzertmeister, der mit seinem silbernen Ton einfach nur begeisterte.

Nach den offiziellen sieben Liedern gingen Frau Morley und Herr Thielemann aufs Podium und er nahm das Mikrophon zur Hand. Er verkündete, dass das Orchester und Frau Morley nun das Lied „Nacht“ (und nicht DIE Nacht) spielen werden. Das Lied wurde von Thomas Hennig aufgrund eines kompletten Particells orchestriert.

Ein wunderschönes, spätromantisches Lied – äußerst professionell instrumentiert. Da hört man das komplette Oeuvre von Richard Strauss. In einigen Takten zitierte er sich selbst; nämlich das berührende Violinsolo aus dem Lied „Beim Schlafengehen“.

Man muss dankbar sein, dass man dieses Lied in so einer Aufführung hören hat können; schon dieses Liedes wegen war es wert dieses Konzertes zu besuchen.

Und Bruckners 6. danach war ein Abenteuer für sich.
Man hatte das Gefühl, als ob Thielemann mit dem Orchester schon Jahrzehnte dirigieren würde. Sie reagieren auf kleinste Fingerzeige von ihm und setzen seine hohen Qualitätsansprüche bestens um.

Schon der Beginn mit den punktierten Streicherfiguren in fast unhörbarem Pianissimo und dazu ebenso das Hauptthema durch die Kontrabässe (gewürzt mit subtilen Akzenten) war schon eine Klasse für sich.

Man könnte viele Punkte herausnehmen; aber total beeindruckend und berührend der Dialog Horn und Trompete in der Coda des ersten Satzes und im mahlerhaften Adagio gegen Schluss ein unvergesslicher, fast gehauchter Einsatz der Oboe.

Und trotzdem scheute sich Thielemann nicht davor, es „ordentlich krachen“ zu lassen. Herausragend auch der Paukist, der im ersten Satz die punktierten Noten mit gewaltigem (jedoch nicht schmerzhaftem) Fortissimo spielte und er das Orchester gemeinsam mit dem Maestro so richtig antrieb.

Alles in allem ein spezielles Konzert: Es gab quasi eine Art Uraufführung im Musikverein, Thielemann kam mit der Staatskapelle Berlin!

Da konnte man getrost die Hitze draußen vergessen; viel eindrucksvoller waren die inneren Feuerwerke, die Thielemann und die Berliner auslösten.

Herbert Hiess, 28. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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