Foto: Höhne (c)
Steve Reich, Electric Counterpoint, Nagoya Guitars, 2×5
Kalle Kalima und John Eckhardt, »Djupdalen«
Heiko Ossig E-Gitarre
Kalle Kalima E-Gitarre
John Eckhardt E-Bass
Ninon Gloger Keyboard
Jonathan Shapiro Schlagzeug
von Julian Bäder
Die „Minimal Music“ hatte schon immer eine riesig große Sogwirkung auf die Pop-Musik. Das lag vor allem an ihrer harmonischen Rückkehr zum Dur-Moll-System, aber auch an ihren generellen Eigenschaften: die Arbeit mit Repetitionen, Patterns und der starke Fokus auf den Rhythmus.
Dass sie damit verschiedenste Stile, von Disco bis Techno, beeinflusst hat beschreibt Steve Reich als „ausgleichende Gerechtigkeit“, schließlich hat er sich bei seinen Kompositionen auch von geschätzten Jazz- und Rock-Musikern beeinflussen lassen. Am plakativsten ist das bei seinen Kompositionen für elektronisch verstärkte Gitarre(n) zu erkennen. Einige davon werden an diesem Abend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie beim „Festivals Maximal minimal“ zur Aufführung gebracht.
Die Referenzaufnahme des Werkes Electronic Counterpoint hat 1987 kein geringerer als als die Jazz-Gitarren-Koryphäe Pat Metheny eingespielt. Für diesen Abend konnte mit dem Finnen Kalle Kalima, ebenfalls Jazz-Gitarrist, auch ein optimaler Interpret gefunden werden. Das Werk kann entweder in einem großen Gitarren-Ensemble aufgeführt werden oder mit einem Gitarristen und Tonband. Kalima präsentiert die zweite Variante. Der Gitarrist ist also ganz alleine auf der Bühne, die zusätzlichen zwei Bässe und sieben Gitarren kommen vom Band.
Man merkt Kalima zwar optisch an, dass er sich bei einer solchen Aufführung in einem klassischen Konzertsaal nicht zu 100 Prozent am richtigen Platz fühlt – immer wieder schaut er überkonzentriert auf seine Noten –, musikalisch ist eine Unsicherheit dagegen ganz und gar nicht zu erkennen. Er spielt Reichs Stück sicher und präzise und liefert auch die jazzig angehauchten Akkordpassagen im dritten Abschnitt mit der nötigen „Coolness“.
Das einzige Stück des Abends ohne elektronische Zuspielungen ist Nagoya Guitars aus dem Jahr 1994, eine Eigenbearbeitung von Reichs Stück Nagoya Marimbas. Dafür leistet der Konzertgitarrist Heiko Ossig Kalle Kalima Gesellschaft. Nagoya Guitars ist ein kurzes Stück von Reich – das ist charakteristisch für viele seiner Werke.
Die Arbeit mit Patterns und rhythmischen Verschiebungen kennt man schon aus vielen seiner früheren Kompositionen. Diese Stücke wirken, live aufgeführt, nur bei einer ultimativ beibehaltenen Synchronität. Der kleinste Fehler, ein einzelner Ton, der eine Millisekunde zu spät kommt, können das Stück zum Auseinanderbrechen führen – und von diesen Tönen gab es leider ein paar. Ein Phänomen, das immer wieder vorkommt, wenn man Reich in solchen Konzertabenden hört.
Das musikalische Material an sich ist für den Einzelnen nicht besonders schwer und stellt sicher auch für die beiden Gitarristen an diesem Abend kein Problem dar. Die Konzentration und Übung, die eine gute, von einer gelungenen Aufführung unterscheidet, wird aber meistens unterschätzt. Und so machen Ossig, der Konzertgitarrist, auf der einen Seite und Kalima, der Jazzer, auf der anderen Seite zwar einiges richtig, die Chemie stimmt aber irgendwie nicht ganz.
Mit „Reich goes Rock“ wurde der Abend auf plakativste Weise im Programmheft des „Festivals Maximal minimal“ betitelt. Das folgende Stück sollte diese Devise nun erfüllen. 2×5, ein Stück für zwei fünfköpfige Gruppen, bestehend aus zwei Gitarren, Bass, Klavier und Schlagzeug. Live aufgeführt wird es aber nur von einer Gruppe, die den zweiten Part vorher auf Band eingespielt hat. Zwar wird das große Rock-Versprechen nicht ganz eingelöst – Reich zitiert nicht etwa Led Zeppelin, sondern bleibt seinem Grundstil schon treu. Die klanglichen Kombinationen, die sich besonders durch die Hinzunahme von Bass, Klavier und Schlagzeug ergeben, sind auf jeden Fall sehr spannend und unbedingt hörenswert. Und das sogar, obwohl die Band-Aufnahme zuweilen durch zu geringe Lautstärke oft gar nicht wirklich wahrnehmbar ist.
Wirklich rockig wird es dann erst nach den drei Reich-Stücken. Djupdalen haben Gitarrist Kalle Kalima und Bassist John Eckhardt ihr nach strukturierter Improvisation klingendes Stück getauft. Dröhnende Feedback-Loops, kreischende Pinch-Harmonics und lärmende Bass-Effekte türmen sich hier zu einer eindrucksvollen Klangwalze auf. Aus diesem Wust an Geräuschen schießen die beiden immer wieder kurze Melodie-Licks und Riffs hervor. Der Bass fungiert dabei als tiefe Basis des Lärmteppichs, während die Gitarre immer wieder unterschiedliche Aspekte hinzufügt. Dabei erinnert das Stück an manchen Stellen an Pink Floyd, an anderen Stellen an den schweren Drone-Metal von Sunn O))). Einziges Problem: um wirklich wirken zu können, hätte es mindestens fünfmal so laut sein müssen.
Schade darum, aber man befindet sich halt immer noch in einem klassischen Konzertsaal, obwohl das musikalisch heute gar nicht wirklich aufgefallen wäre. Denn im Grunde hängt an diesem Abend irgendwie alles zusammen, oder, wie Steve Reich es sagen würde, ist es ja auch alles das Gleiche: Musik.
Julian Bäder, 13. Mai 2017 für
klassik-begeistert.de