Teodor Currentzis ist ein Dirigent, der tänzelt, der tanzt, der mit den Füßen trippelt. Er ist ein Taktgeber ohne Taktstock – auch in einem der schönsten Konzertsäle der Welt.
Wiener Konzerthaus, 12. September 2021
SWR Symphonieorchester
Yulianna Avdeeva, Klavier
Teodor Currentzis, Dirigent
Sergej Prokofjew
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 C-Dur op. 26
Symphonie Nr. 5 B-Dur op. 100
Zugabe: „Tanz der Ritter“ aus dem Ballett „Romeo und Julia“
von Andreas Schmidt (Text und Fotos)
Er ist einer der meistdiskutierten Interpreten im aktuellen Klassikbetrieb: Teodor Currentzis. Der Ausnahmekünstler lebt und arbeitet getreu seinem Leitsatz: »Musik ist eine Mission, kein Beruf.« Seit Currentzis das SWR Symphonieorchester 2018 übernommen hat, kennt die Begeisterung von Orchestermitgliedern und Publikum keine Grenzen. Nun gastierte der Klassik-Superstar mit seinem süddeutschen Orchester, im Gepäck: Ein reines Prokofjew-Programm!
»Dirigent des Jahres«, »Ausnahmekünstler«, »revolutionärer Geist« – an Superlativen mangelt es nicht, wenn es um Teodor Currentzis geht. »Schon als Kind hat mich die Magie der russischen Musik unglaublich berührt. Viele russische Orchester und Ballettkompanien haben in Athen gastiert und ich habe diesen ganz anderen Klang gehört, viel rauer und zugleich viel poetischer« erinnert sich Currentzis, der 1972 in Athen geboren wurde und sich schon früh entschloss, zum Studium nach Russland zu gehen, wo auch seine kometenhafte Karriere ihren Anfang nahm.
Die russische Pianistin Yulianna Avdeeva erhielt internationale Anerkennung, als sie im Jahr 2010 den renommierten Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann. Avdeeva ist die vierte weibliche Gewinnerin dieses Preises – vor ihr errang ihn auch Martha Argerich.
Beide Konzerthälften gerieten am Sonntagabend im Wiener Konzerthaus zu Manifestationen der Extraklasse. Das Orchester hatte alle Nuancen drauf – vom dreifachen p bis zum dreifachen f. Alle Orchesterteile glänzten durch absolute Präzision, Hingabe und Klangkultur. Die Musiker waren atemberaubend gut mit der Pianistin abgestimmt – auch bei rhythmisch sehr anspruchsvollen Passagen.
Dieser Klangkörper gehört zweifelsohne zu den führenden (Rundfunk)-Orchestern Europas – Bravo!
Sehr viel Brava erhielt die Pianistin Yulianna Avdeeva. Jederzeit souverän und einfühlsam, wenn nötig mit sehr viel Ausdruck und Power, in anderen Passagen sehr zart, elegant und fließend – und immer erbauend und erhebend. Dieser Künstlerin gehört die Zukunft!
Teodor Currentzis, der neue Pult-Star mit griechisch-russischen Wurzeln, war indes der unbestrittene König des Abends. Er ist ein Dirigent, der tänzelt, der tanzt, der mit den Füßen trippelt. Er ist ein Taktgeber ohne Taktstock, der auch im wahrsten Sinne des Wortes in das Orchester hineingeht, den Pult verlässt und im Klangkörper weiterdirigiert, gerne mit weit ausladenden Armbewegungen, wenn es lauter werden soll.
Auch Pianissimi sind „Teo“ heilig: Hier hält er immer wieder den rechten Zeigefinger vor die Lippen und weist die Musiker an, noch leiser zu spielen. Das Ergebnis ist dann ein wunderbar sanft-flirrender Klangteppich.
Zum Oberhammer geriet die 5. Sinfonie Prokofjews. Hier holte Currentzis in allen vier Sätzen maximal alles aus seinem Orchester heraus. So packend, so tiefgründig, so hingebungsvoll spielten die Musiker, dass die 40 Minuten scheinbar wie in 40 Sekunden vergingen.
Dieser „Teo“ lebt Musik.
Er lehrt Musik.
Er liebt Musik.
Der Meister und seine Musiker ließen Prokofjew mit diesem Meisterwerk rocken.
Leider gab es in einem der schönsten Konzertsäle der Welt immer wieder tumbe Claqueure, die meinten, ihr Geklatsche zwischen den Variationen und Sätzen erbaue die anderen Zuhörer, den Dirigenten und die Musiker.
Folks: Hallo, aufwachen! Dem ist NICHT so!
Nach der Zugabe „Tanz der Ritter“, manchmal auch Montague und Capulet (nach den verfeindeten Adelsfamilien der Shakespeare-Tragödie) genannt, tobte der Saal vollends. Das weltbekannte Stück ist aus dem Ballett Romeo und Julia aus dem Jahr 1935. Der Tanz erscheint im ersten Akt als 13. Stück in der Ballszene, die zur Karnevalszeit im Haus der Familie Capulet stattfindet.
Ein zweifelsohne großer Abend, ich schließe mich der Currentzis-Analyse des klassik-begeistert-Autoren Ulrich Poser an: „Dieser Rockstar unter den Dirigenten ist anders als andere Dirigenten. Zum einen sieht er aus wie ein Mitglied der Band The Cure; groß, schlank, in Schwarz gekleidet und mit einer unkonventionell-modernen Frisur. Er dirigiert zielgerichtet unter großem körperlichen Einsatz, der gelegentlich an die untauglichen Flugversuche eines schwarzen Schwanenkükens erinnert. Das ist ebenso sehenswert wie die einstudierte und choreographierte gemeinsame Verbeugungszeremonie am Schluss. Dirigent und Orchester präsentieren sich auch insoweit als künstlerisches Gemeinschaftsprojekt, das an einem Strang zieht. Bravo!“
Andreas Schmidt, 12. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
SWR Symphonieorchester, Teodor Currentzis Konzerthaus Wien, 28. Februar 2020
Teodor Currentzis, SWR Symphonieorchester, Wiener Konzerthaus, 16. Dezember 2019
Teodor Currentzis, MusicAeterna, Nuria Rial, Paula Murrihy, Wiener Konzerthaus