Ein großartiger Solist, ein Stück dunkle Musikgeschichte und italienische Sommerfrische: „Tragik und Dolce Vita“ in der Hamburger Laeiszhalle

Laeiszhalle, Hamburg, 13. Oktober 2017
Symphoniker Hamburg
Ion Marin, Dirigent
Sergey Khachatryan, Violine
Richard Wagner, Ouvertüre zur Oper Rienzi, der letzte der Tribunen
Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur op. 61
Felix Mendelssohn Bartholdy, Symphonie Nr. 4 op. 90 – „Italienische“

von Ricarda Ott

Ein glänzender Konzertabend in der (bis auf den 2. Rang) voll besetzten Hamburger Laeiszhalle, bei dem die Symphoniker Hamburg unter der Leitung ihres Ersten Gastdirigenten Ion Marin mit fast kantenlosem Programm eine solide Leistung abgaben.

Höhepunkt des Konzertabends blieb dabei eindeutig Ludwig van Beethovens (1770-1827) Violinkonzert, aufgeführt von dem großen Talent aus Armenien, Sergey Khachatryan (*1985). Dieses etwa 40-minütige und somit ungewöhnlich lange Solokonzert ist ungemein reichhaltig, die drei Sätze sind ergiebig und wandelbar. Schade, dass uns Beethoven lediglich dieses eine Konzert vollständig hinterließ.

Khachatryans Spiel ist von Beginn an durchzogen von einer durchdringenden Sensibilität. Wie er seine Violine hält, wie er seinen Kopf beim Spielen an sie schmiegt. Die Klänge kommen drängend, warm und sicher intoniert, jeden Melodiebogen satt auskostend. Technisch zum Teil höchst anspruchsvolle Passagen durchschreitet er sicher, kraftvoll zeigt er in teils freien, teils auskomponierten Kadenzen sein Können und das seines Instrumentes. Manchmal scheint es fast, als stünde er dort oben auf der Bühne alleine, vom Orchester enthoben mit diesen fabelhaften Klängen.

Aber selbstverständlich sind die begleitenden Musiker Teil des Ganzen, vervollständigen und umspülen die herrlichen Solopassagen. Ion Marin führt das Orchester meist präzise an den Solisten heran. Hin und wieder fehlt die genaue Abstimmung, aber die Atmosphäre ist gut und es gelingt, die kompositorischen Essenzen hervorzubringen: jene sauber und meisterlich durchdachten Haupt- und Nebenthemen im 1. Satz, den zarten, fast kammermusikalischen und somit wunderbar kontrastierenden langsamen Mittelsatz und den fragmentierten, stets vorwärts modulierenden Rondo-Satz.

Simpel, ja fast plakativ dagegen der Beginn der bekannten „Italienischen“ Symphonie von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Tänzelnde, repetitive Achtel-Päckchen der Holzbläser und Hörner, und schon ist man mitten im Geschehen. Italienische Lebensfreude pur durch das energische Signalmotiv der Violinen, und man möchte am liebsten beschwingt mitsummen.

Doch die 1833 von Mendelssohn selbst in London uraufgeführte Symphonie zeigt durchaus Tiefe. Während seiner Italienreise (1830-31) erlebte der junge Komponist eben nicht nur jene stereotype südländische Lebendigkeit, sondern auch italienische Morbidität, elegische Verschlafenheit und einst herrschaftliche, nun verstaubte Pracht. Das schlägt sich in der viersätzigen Symphonie deutlich nieder, und die Musik wird zum eleganten, aber stets leichten Vergnügen.

Programmatisch blieb die „Italienische“ an diesem Abend also das seichteste Werk. Daran ändert auch die erneut solide Leistung des Orchesters nichts, die dieses zwar zufriedenstellend, aber dennoch ein wenig uninspiriert und vorhersehbar interpretierte.

Es hätte ein netter, aalglatter Konzertabend werden können, aber da war ja noch der Wagner.

Der Komponist selbst beschrieb seinen Rienzi, uraufgeführt 1842 in Dresden, als „Jugendsünde“. Als er Jahrzehnte später sein Festspielhaus in Bayreuth errichtete, wollte er das Werk (und seine anderen Frühopern) dort nicht aufgeführt wissen. Heutzutage gilt das vom Meister selbst verachtete Stück als faszinierendes Beispiel nicht nur für die reifende Entwicklung eines Komponisten, sondern auch für politische Instrumentalisierung von Musik.

Die circa 4-stündige Oper gilt als eine der Lieblingsopern Adolf Hitlers. Sie erklang bei wichtigen Feierlichkeiten des nationalsozialistischen Regimes; die Ouvertüre wurde zusammen mit militärischen Märschen beim Reichsparteitag 1929 in Nürnberg gespielt. Propagiert werden sollte damit die deutsche Kultur, nationaler Heldenmut am Beispiel des tragischen Tribunen Cola di Rienzo, genannt Rienzi, und nicht zuletzt ist die kraftvolle, mitreißende Musik als mentales Aufputschmittel für die Masse missbraucht worden.

Wie gehen nun Musikhistoriker, Dramaturgen und Zuhörer mit solch kontaminierter Musik um, von der es selbstverständlich noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele gibt?

Es wird geforscht, erklärt und aufgeklärt und sie wird selbstverständlich aufgeführt, immerhin ist das Stück gut 100 Jahre früher entstanden. Die Musik muss aufgeführt werden, denn erst beim Hören scheint sich die ganze Tragik dieses Missbrauchs zu entfalten und führt zu einem ganz eigenartigen Konzerterleben.

Die Musik ist sinnlich mit wunderschön weitläufigen Melodien, die Bandbreite eines großen romantischen Orchesters ausnutzend und kraftvoll abwechslungsreich. Es sind ursprünglich unschuldige Klänge, die später von Verbrechern mitgepfiffen wurden, und auch uns ergreifen. Das ist ein verstörendes und ganz wichtiges Paradox, denn es fasst die musikgeschichtliche Dimension zusammen und lässt sie im Konzertsaal erfahrbar werden.

Die Symphoniker Hamburg eröffnen in fein intoniertem Zusammenspiel mit flottem Drive, präsentieren das erste herrschaftliche Hauptthema dann jedoch überraschend zäh und dick. In dichtem Abstand reihen sich Themen und melodisches Material der Oper strudelartig wie in einer Wundertüte aneinander. Blechbläser-Fanfaren, Trommelwirbel, zarte Bläsersätze und das immer wiederkehrende schmalzige Hauptthema: es ist eine schmissige Potpourrie-Ouvertüre, die von den Symphonikern – bis auf einzelne eigenartig anmutende Interpretationen, was Tempi und Dynamiken betrifft – überzeugend gespielt wird.

Und so beinhaltet ein glänzend sinfonisches Konzertprogramm, das auf Anhieb wohl jedem Abonnenten gefallen wird, eine kantige, durchaus tiefgründige Dimension für denjenigen, der sich darauf einlässt. Die geschichtsträchtige Ouvertüre fordert das bequeme Publikum, der heroische Beethoven wird durch einen feinfühligen Solisten nahbar und die „Italienische“, nun, die unterhält dann doch ganz unprätentiös. Ein schöner Konzertabend!

Ricarda Ott, 13. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

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