Lise Davidsens Elisabeth beherrscht auch die Lindenoper

Tannhäuser  Musik und Libretto von Richard Wagner  Staatsoper Unter den Linden, 30. April 2023

Fotos: Bernd Uhlig

Die teure Halle der Lindenoper bebt, wenn Lise Davidsen auf die Bühne tritt! Mit ihrem schier unermüdlichen Sopran triumphiert die norwegische Ausnahme-Sopranistin wie eine musikalische Olympiasiegerin. Jeder Ton ihrer Stimme erschüttert einen in Emotionen, reißt jede Seele mitten in die Tränen ihres Flehens für den unschuldigen Tannhäuser.

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 30. April 2023

Tannhäuser
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Johannes Karl Fischer

Mit Lise Davidsens Elisabeth hat die Sopran-Fraktion endgültig eine Antwort auf den furchtlosen Heldentenor Andreas Schager. Doch während der Bäume entwurzelnde Siegfried-Tenor alle anderen mit seiner Stahlkraft-Stimme regelrecht nieder ballert, behält diese sopranistische Sonnengöttin ihren kühlen musikalischen Kopf und findet sich im richtigen Moment in einer zerfließenden Magie der endlosen Tannhäuser-Tutti zu recht.

Stehende Ovationen sind die einzig verdiente Folge. Wann kommt bitte Brünnhilde? Moment, dazu bräuchte man ja erstmal einen ihr ebenbürtigen Wotan. Der ist im Moment nicht in Sicht…

Lise Davidsen © Ray Burmiston

In wortwörtlicher Sicht ist an diesem Abend jedoch ein meisterliches Werk der hohen Regiekunst. Schon im Venusberg verschmilzt vor mattweißem Bühnenbild eine lustvolle Tanzkunst mit den verzaubernden Leitmotiven. Das ist mal das Reich der Liebe ganz nach Wagners Visionen… und wie es damals wahrscheinlich alle Bühnen dieser Erde sofort verbannt hätten.

Ganz radikal packt Regisseurin Sasha Waltz den 3. Akt an, nämlich gänzlich ohne Szenerie. Die Geschichte nur noch mit Personen, vielleicht noch ein paar Lichteinfällen, erzählen. Nur mit Regie eben. „Oh, du mein holder Abendstern“: Ein Mann, Andrè Schuen, und eine Bühne. Sonst nichts. Naja, Musik eben. Ein voller Triumph für die Welt des Musiktheaters!

Ganz innerlich also betet Wolfram von Eschenbach seine geliebte Elisabeth an, und das mit einer grandiosen, farbenfrohen Baritonstimme. Voller Lyrik, ganz zurückhaltend, selig wie das Mondlicht.

Aber Andrè Schuen kann auch anders: Mit starkem Selbstbewusstsein und leicht röhrender Stimme tritt er den Sängerkrieg auf der Wartburg an, steht dabei stets im Mittelpunkt. Das ist gerade mal sein Rollendebüt… und schon entdeckt der Ladiner völlig neue Seiten des sonst charakterlich eher flach dargestellten Dichters!

Dagegen muss sein größter Rivale, Tannhäuser, kräftig kämpfen. Das tut er auch, und wie! Kaum aus dem Reich der Venus geflüchtet, wird Vincent Wolfsteiners mächtiger, teilweise auch etwas schriller Tenor aus allen Ecken ordentlich gefordert. Am Ende ist er völlig kaputt von dieser Welt, sein Tannhäuser stirbt anscheinend aus Erschöpfung. Aber er gibt sich wacker geschlagen. Stimmlich zu Mindestens…

Wäre da nicht auch noch Wagners selbst gedichteter Text. An zahlreichen Stellen scheint der Titeltenor diesen zu vergessen, zu verdrehen oder gar zu improvisieren. Natürlich gibt es nicht umsonst immer eine Soufflage. Manche Profi-SängerInnen von Weltklasse sollen sogar schon mit Teleprompter gesungen haben. Aber sind nicht eigentlich solche Hilfsmittel gerade dazu da, damit ein Tannhäuser eben nicht an Schlüsselstellen – die jeder zweite Zuhörer im Schlaf kennt – ins Stocken geriet?

Fotos: Bernd Uhlig

Egal, er ist trotzdem ein toller Tannhäuser. Und was für eine grandiose Göttin der Liebe hat er mit seiner Stimme gewonnen! Marina Prudenskayas fesselnder, tiefer Mezzo umschwärmt nicht nur ihren Geliebten, sondern stimmlich auch alle im Saal. Da möchte man fast selbst auf die Bühne rennen, um dieser Stimme näher zu kommen. Mit einer prächtigen Bühnenpräsenz schwebt sie über die Schultern ihrer Untertanen, herrscht unangefochten in ihrem Zauberreich der Minne.

So ein zauberhafter Venusberg wäre ohne ein meisterhaft spielendes Orchester nicht möglich. Ein feingeschliffener, edler Klang strömt aus dem Graben und befriedigt seidensanft das Gehör. Wie in einer warmen Badewanne gehen die Ohren in dieser Leitmotiv-Magie baden… direkt vor dem Venusberg! Auch auf der Wartburg spielt Dirigent Sebastian Weigle die volle Breite der Halle brillant aus. Mehr als verdient gibt es donnernden Applaus.

Fotos: Bernd Uhlig

Den bekommt auch für Siyabonga Maqungos Walter von der Vogelweide. Wie ein auf der Lauer liegenden Stolzing schwebt seine Stimme mühelos über den anderen Minnesängern… und das ganz ohne einen Hauch des Pressens. Diesem jungen Tenor steht hoffentlich noch eine ganz große Karriere bevor!

Strahlend wie die holden Auen verbreitet auch Regina Koncz mit ihrem Hirtensolo viel Freude, kann ihren hell leuchtenden  Sopran bestens entfalten. Grigory Shkarupa donnert wie ein fürstlicher Herrscher durch die Partie des Landgrafs, befehlsartig kommandiert er die holde Kunst zur Tat. Etwas verwunderlich, dass er nicht mehr Macht über die Edlen seines Landes ausübt. Ein stimmstarker Chor komplettiert die rundum exzellente Gesangsbesetzung. Selig wie das Amen in der Kirche bringen sie die heiligen Pilgergesänge zum Klingen.

Die Lindenoper zeigt sich am zweiten Abend in Folge in fliegender Höchstform. So einen einfallsreichen und stimmlich brillanten Tannhäuser wird man so schnell nicht wieder erleben. Ein absolutes Muss für alle Opern-Fans, nicht nur wegen Lise Davidsen!

Johannes Karl Fischer, 1. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart, Idomeneo Staatsoper Unter den Linden, Premiere 19. März 2023

CD Rezension: Lise Davidsen, Leif Ove Andsnes, Edvard Grieg, klassik-begeistert.de

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