Foto: © Olga Rumyova
Teodor Currentzis und musicAeterna of Perm Opera
mit Werken von Gustav Mahler, Philharmonie Berlin, 5. Dezember 2018
Theodor Currentzis
Anna Lucia Richter
Florian Boesch
MusicAeterna
Gustav Mahler Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ Symphonie Nr. 4 G-Dur
von Peter Sommeregger
Bereits zum zweiten Mal gastiert der inzwischen hoch gehandelte griechische Dirigent Teodor Currentzis mit seinem sibirischen Orchester MusicAeterna auf ausdrückliche Einladung der Berliner Philharmoniker im großen Saal der Philharmonie. Das Konzert ist ausverkauft, was den Prominenten-Status des eigenwilligen Dirigenten bestätigt.
Mit einer Auswahl aus den Wunderhorn-Liedern und der 4. Symphonie Gustav Mahlers belegt Currentzis, dass er keine Scheu vor Vergleichen mit großen Vorgängern hat. Vom ersten Takt an zeigt er eine charakteristische Handschrift, gestaltet die scheinbar so fröhlichen Lieder mit einer hintergründigen Dramaturgie, die schnellen Tempi und das Hervorheben einzelner Instrumentengruppen, speziell der Flöten, erzeugen einen ganz speziellen Mahler-Klang. Frisch, vorwärts drängend und ohne auch nur einen Hauch Sentimentalität werden die kleinen Dramen, um die es sich jeweils handelt, erzählt.
Das Manko dieser eigenwilligen Interpretation macht sich aber schnell bemerkbar: Currentzis räumt den beiden Gesangssolisten Anna Lucia Richter und Florian Boesch leider nur eine untergeordnete Rolle ein. Die manchmal fast schon überpointierte orchestrale Darbietung beraubt die Sänger der Möglichkeit, ihrerseits die textlichen wie musikalischen Pointen zu setzen. Beide erscheinen streckenweise zu leise, von Textverständlichkeit kann keine Rede sein.
Ungewohnt ist, das Duett „Verlorne Müh‘“ nur vom Sopran zu hören, dem die Einwürfe der Männerstimme naturgemäß nicht gelingen können. Dafür wird das sonst einem einzelnen Interpreten vorbehaltene „Wo die schönen Trompeten blasen“ im Wechselgesang interpretiert. Erst beim letzten der Lieder, „Revelge“ ,scheint sich Boesch richtig frei gesungen zu haben.
Nach der Pause wird die 4. Symphonie vom Orchester stehend gespielt, eine Idee, mit der Currentzis einmal mehr seine Exzentrik beweist. Es ist schwer zu beurteilen, welchen Einfluss diese Besonderheit auf die Qualität der Darbietung hat, in diesem Fall kann man aber von einer exemplarischen Interpretation sprechen. Schon der Schellenklang der ersten Takte lässt den Hörer tief in die Klangwelt von Mahlers Wunderhorn-Kompositionen eintauchen, deren krönenden Abschluss sie darstellt. Der Dirigent hat sich mit MusicAeterna im sibirischen Perm ein großartiges eigenes Orchester geschaffen, das inzwischen auch international gastiert. Currentzis schwelgt im Wohlklang, setzt aber auch immer wieder schroffe Akzente, so extrem ausmusiziert wie den dritten Satz hat man diese Symphonie kaum jemals gehört.
Mit dem lyrischen 4. Satz lässt Mahler die Symphonie unerwartet sanft ausklingen. Das Sopransolo mit dem makabren Lied „Wir genießen die himmlischen Freuden“ ist wieder Anna Lucia Richter anvertraut. Anders als zuvor in den Wunderhorn-Liedern kann sich die Sopranistin hier gut behaupten, auch den Text kann man hier besser verstehen. Currentzis lässt am Ende die Musik im Pianissimo ausklingen. Erst nach einer langen Pause senkt er die Hände, und erlaubt dem Publikum, dass die sensible Geste wohl verstanden hat, zu applaudieren.
Dieser Applaus fällt so begeistert aus, dass er noch eine Zugabe erzwingt. „Tanzaggregat“ des serbischen Komponisten Marko Nikodijevic eine ekstatisch zuckende Komposition, ist vielleicht nach einem großen Mahler-Abend nicht jedermanns Sache, aber „Paarungen“ dieser Art scheinen im internationalen Konzertleben Mode zu sein. Mahler muss diese Konkurrenz nicht fürchten.
Peter Sommeregger, 8.Dezember 2018
für klassik-begeistert.de