Mark Twains „Tom & Huck“ angeln noch in der Komischen Oper

Kurt Weill, Tom Sawyer  Komische Oper im Schillertheater, 20. Mai 2025

Tom Sawyer/Kurt Weill © Barbara Braun

Ein schauriger Mord erschüttert die kleine Gemeinde am Mississippi. Ein bekannter Trunkenbold wird schnell als Täter beschuldigt. Zwei Lieblinge der Jugendliteratur sorgen für Gerechtigkeit. Schade nur, dass Kurt Weill die Umsetzung seiner musikalischen Idee nicht mehr erleben durfte.

TOM SAWYER
Kinderoper in 2 Akten mit Musik von Kurt Weill

Arrangement und Musikalische Leitung: Kai Tietje
Orchester der Komischen Oper Berlin

Libretto: John von Düffel
Liedtexte: John von Düffel und Kai Tietje

Inszenierung: Tobias Ribitzki

Uraufführung an der Komischen Oper Berlin am 18. Februar 2023

Komische Oper im Schillertheater, 20. Mai 2025

von Ralf Krüger

Mitten im 2. Akt, während der Arie des Muff Potter, fängt das junge Publikum plötzlich an rhythmisch zu klatschen. Einfach so. Keiner versteht den Text mehr, die Musik ist fröhlich und einladend, aber wieso wird geklatscht?

Die Mädchen und Jungen, die mit ihren Schulklassen die Vorstellung besuchen, haben Muff Potter zu ihrem Sympathieträger erklärt. Der lustige Kauz, der den beiden Freunden, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, die besten Plätze zum Angeln gezeigt hatte, sitzt im Gefängnis. Er wurde von den Erwachsenen der Gemeinde wegen seines Alkoholproblems recht schnell und einfach zum Mörder erklärt. Doch die Kinder wissen, der Mörder ist ein anderer, ist Killer-Joe. Tom und Huck waren heimlich dabei, als Doktor Robinson von ihm mit dem Messer erstochen wurde. Sie wollen Muff Potter, dem zu Unrecht Gedemütigten, zeigen, dass sie das alles wissen und dass sie auf seiner Seite sind.

Tom Sawyer/Kurt Weill © Barbara Braun

Kinder halten sich nicht unbedingt an den Theater-Knigge. Sie zeigen ihre Begeisterung, wann immer es ihnen passt. Selbst die Stimme aus dem OFF, die vor dem ersten Vorhang Jung und Alt begrüßt und die Gäste bittet, die Handys auszuschalten, wird von ihnen leidenschaftlich beklatscht.

Bei der Vorbereitung auf diesen Theatertag fallen mir immer wieder zwei Jahreszahlen auf, die von der Komischen Oper in ihren Ankündigungen genannt werden: 1950 und 2020. Sie müssen mit der Entstehungsgeschichte des Werks im Zusammenhang stehen und die beginnt wirklich sehr traurig.

Die Kurt Weill Foundation for Music in New York City dokumentiert 5 Songs, die der Komponist zum Zeitpunkt seines frühen Todes im April 1950 skizziert hatte. Es plante zu Beginn des Jahres eine Musicalversion von Mark Twains Huckleberry Finn mit einem Text von Maxwell Anderson. Doch der „Mann mit der Sense“ kam dazwischen.

Auf Basis des vorhandenen Materials und anderer Lieder Kurt Weills entwickelte der Schriftsteller und Dramaturg John von Düffel über 60 Jahre später eine Schauspielfassung mit Musik. Sie wurde im Oktober 2014 in Göttingen als Tom Sawyer und Huckleberry Finn uraufgeführt. Für die aktuelle Produktion an der Komischen Oper Berlin, die von 2020 an unter Leitung von Ulrich Lenz (heute Intendant der Oper Graz) konzipiert wurde, schrieb John von Düffel erneut das Libretto.

Wie hätte Kurt Weill diese entzückende Umsetzung seiner musikalischen Idee wohl gefallen? Wir werden es leider nie erfahren.

Für mich ist Tom Sawyer ein herrlich buntes Familien-Musical, das die Höhepunkte des Buch-Klassikers im Schnelldurchlauf erzählt. Besonders gelungen ist die durch die Pause entstandene Brücke zwischen dem 1. und dem 2. Akt. Tom flieht mit Huck und dem Muttersöhnchen Ben Harper aus Angst vor Killer-Joe auf eine Insel im Mississippi. Zuhause werden die drei Jungs betrauert und bald für tot erklärt. Tom und seine Freunde tauchen dann gerade rechtzeitig zu ihrer eigenen Trauerfeier wieder auf und erhalten die Liebe ihrer Nächsten, die sie vorher nicht hatten. Das ist sehr originell in Solo-Parts und Ensemble-Szenen mit einschmeichelnder Musik und kindgerechten Bühneneinfällen dargestellt.

Tom Sawyer/Kurt Weill © Barbara Braun

Tom Schimon gibt einen sportlichen, aber auch ängstlichen und später verliebten Titelhelden mit kräftiger Stimme in Wort und Gesang. Michael Heller spielt Huckleberry Finn als sympathischen Loser, der nicht zur Schule, aber voller Stolz barfuß durchs Leben geht.

Was macht man am Mississippi, wenn man nicht gerade nach dem nächsten Abenteuer sucht, oder einen Mörder jagt, oder verliebt ist? – Ja, man angelt! Und wenn sie nicht gestorben sind, so heißt es im Märchen, so angeln sie noch heute: Tom mit seiner Freundin Becky, und der gute Huck.

Auf der Bühne der Komischen Oper – noch bis 8. Juni. Dann ist Schluss.

Ralf Krüger, 21. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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