Foto: © Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper, 17. Juni 2021
Verdi, „Macbeth“
von Jürgen Pathy
Dunkel, düster und eintönig. Willkommen in Barrie Koskys Traumwelt. Der deutsch-australische Starregisseur, der seit dieser Saison vermehrt an der Wiener Staatsoper aktiv ist und sein wird, verliert sich in seiner Fantasie. Dass Verdis „Macbeth“ die dunkelste Oper des italienischen Komponisten ist, steht außer Zweifel. Ebenso, dass diese Oper wenig bietet. Zumindest, wenn man eingängige Arien, melodisch geschwungene Bögen oder schmissige Melodien sucht. Im Mittelpunkt dieser 1865 überarbeiteten Vorlage nach Shakespeares Tragödie steht das Theater, das Schauspiel.
Wenn dann die Inszenierung kaum für Abwechslung sorgt, wird es zäh. Kosky lässt Macbeth und seine Lady auf einer dunklen Bühne aufmarschieren. Weit und breit kaum etwas anderes als gähnendes Schwarz. Einziger Lichtblick: eine Lampe, die an der Rampe der Bühne eine ca. vier mal zwei Meter große Fläche erhellt. Dort platziert Kosky die beiden Hauptprotagonisten, überwiegend auf zwei einfachen Holzstühlen. Draufgabe: Die Hexen erscheinen als Konglomerat aus Männern, Weibern und Zwittergestalten, die ihr Geschlechtsteil zur Schau tragen. Damit erfüllt sich zwar Koskys Wunsch, die Oper als 2-Personen-Show aufzuziehen. Ebenso seine Idealvorstellung, das Publikum möge sich unwohl fühlen, nachdem es die Vorstellung verlässt – mehr allerdings nicht.
Wahnsinn à la Anna Netrebko
Zum Glück stehen der Wiener „Neuproduktion“, die bereits in Zürich gespielt wurde, große Sänger zur Verfügung. Allen voran das Zugpferd dieser Wiener Produktion: Anna Netrebko. Die Russin mit österreichischem Pass, für viele die „Primadonna assoluta“ unserer Zeit, ist sicherlich der Hauptgrund, warum alle Vorstellungen dieser Serie innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren. In Zeiten wie diesen keine Selbstverständlichkeit – nicht einmal an der Wiener Staatsoper. Aber zu Recht.
Waren die vereinzelten Szenenapplause noch relativ verhalten, am Ende tobt das Haus. Denn zumindest musikalisch wird an diesem lauen Sommerabend geboten, wonach man sucht: Anna Netrebko verkörpert die machtgierige Lady, die ihren Gatten zum mehrfachen Mord treibt, in beeindruckender Manier. Ihre Mittellage ist ein Genuss, voller Farben und der Rolle entsprechend schön abgedunkelt. Die tiefe Lage ebenso. Das Schauspiel der Russin, das früher öfters bemängelt wurde, wirkt mittlerweile genauso ausgereift wie ihre Stimme. Die Deklamation der „Wahnsinnsarie“, von der Verdi selbst meinte, die Lady dürfe keine schöne Stimme haben, wirkt äußerst glaubwürdig.
Unübertroffen und ergreifend strömt allerdings ihr einzigartiges Timbre, wenn die Königin im samtweichen mezza voce deklamiert. Selbst die Koloraturen, die sie in dieser Partie zu bewältigen hat, meistert die Netrebko noch immer elegant und beweglich. Problematisch: nur die Höhen. Dass da gleich nach ihrem ersten Erscheinen auf der Bühne etwas in Schieflage gerät, ist allerdings kein Wunder. Hat Verdi seiner Lady Macbeth doch gleich zu Beginn ziemlich hohe Noten verpasst. Danach wirkt es, als würde sie ganz im Stile einer klugen Künstlerin bei den Höhen etwas herausnehmen. In Summe ist das allerdings ziemlich beeindruckend.
Der heimliche Star des Abends
Wer mich am meisten beeindruckt hat, ist allerdings Philippe Jordan. Der Schweizer, der zu Beginn der Saison als Musikdirektor ans Haus geholt wurde, hatte bislang wenig Raum für Jubel geboten. Bei Verdi oder zumindest bei „Macbeth“ scheint das anders. Obwohl bei dieser Oper nur wenige Melodien zu finden sind, die Melancholie und großen Zauber vermitteln können – aus diesen saugen Jordan und das hervorragend disponierte Staatsopernorchester das Maximum an Fülle und Intensität heraus. Wie dieses Orchester es schafft, dass selbst die schwersten Legatobögen, die vor Sentimentalität nur so triefen, gleichzeitig noch federleicht schweben, ist und bleibt das Geheimnis dieser außergewöhnlichen Musiker. Gänsehaut pur. Oper und Musiktheater, wie ich mir das vorstelle.
Unglaublich auch, was sie aus dem Rest der Partitur herausholen. Aus den Teilen, die vor allem intellektuelle Qualitäten eines Maestros erfordern. Das hat Jordan drauf.
Luca Salsi als Macbeth und Roberto Tagliavini als Banco vervollständigen das hervorragende Gespann an Künstlern. Salsi, der in den Aufzeichnungen gestöbert hat und vieles entdeckt hat, variiert zwar nicht derart vielfältig wie andere Verdi-Baritone unserer Zeit, beeindruckt aber durch seine intensive Darstellung. Tagliavini sollte man im Auge behalten. Mit seinem kräftigen aber klaren Bass knüpft der Italiener an einen jungen Sänger an, der seit dieser Saison leider vom Spielplan der Wiener Staatsoper verschwunden ist.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 18. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at