„Die Walküre“ von Richard Wagner
Staatsoper im Schiller Theater, Berlin, Samstag, 12. Juni 2016
„Die Walküre“, der erste Tag des Bühnenfestspieles „Der Ring des Nibelungen“, beginnt mit einem Gewitter. Da grollt der Donner, da knallt der Blitz. Runzlig und rau klingt die Staatskapelle Berlin unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim von Anfang an. „Es sind verwitterte Klänge von seltsamer Schönheit, Musik aus Kies und Rinde in den tiefen Streichern von den Bratschen abwärts, kaum verschmelzend mit den Bläsern. Jedes Register behält seine knorrige Eigenart, ohne grob zu werden“, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Premiere der „Walküre“ in der Staatsoper im Schiller Theater.
Die meisten Opernfreunde empfinden „Die Walküre“ als das Aufregendste und Zwingendste in der „Ring“-Tetralogie: Siegmunds Winterstürme wichen dem Wonnemond im ersten Aufzug, Brünnhildes Todesverkündung im zweiten Aufzug, der Walkürenritt sowie Wotans Abschied und Feuerzauber im dritten Aufzug gehören zu den Höhepunkten von Wagners 15-stündigem Opus magnum. In der „Walküre“ agieren nicht nur Götter, Riesen und Zwerge, sondern liebende und leidende Menschen: die Geschwister Siegmund und Sieglinde, die Kinder des Göttervaters Wotan mit einer Menschenfrau, und Sieglindes Mann Hunding. Mitten im prüd-bürgerlichen 19. Jahrhundert bietet Wagner starken Tobak: eine Geschwisterliebe mit blühendem Wälsungenblut, Ehebruch, Inzest, Ungehorsam, Wahnsinn.
Für Angela Spelsberg, 55, und Ulrich Keil, 73, aus Münster ist es an diesem Abend der zweite „Ring“ im Schiller Theater und der vierte insgesamt. „2013 hat die Aufführung schon einen überwältigen Eindruck bei uns hinterlassen“, sagt Angela Spelsberg. „Die Staatskapelle Berlin ist für uns das beste Wagner-Orchester in Deutschland. Daniel Barenboim hat sich sehr intensiv mit Wagner auseinandergesetzt. Von der Musik bis zur Inszenierung: Alles passt im Schiller Theater zusammen für dieses Gesamtkunstwerk.“ Das Paar hört sich auch daheim in Münster den „Ring“ immer wieder an. „Wir schätzen vor allem die Einspielung von Karl Böhm sowie die Aufnahmen von Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin und den Berliner Philharmonikern“, sagt Ulrich Keil.
Aus Plymouth in Südwestengland ist Hildegard Stevens, 71, für ihren vierten „Ring“ nach Berlin gereist, den sie gemeinsam mit ihrer Berliner Freundin Renate Bussinger, 71, besucht. „Wir sind Wagner-Fans, in England sagt man ‚Wagnerians’“, sagt Hildegard Stevens. Simon O’Neill als Siegmund gefällt ihr am besten. „Er singt wirklich phantastisch und ist ein Siegmund, wie Wagner ihn sich nur wünschen kann. Ich freue mich schon auf meinen nächsten „Ring“, den letzten ‚Götz-Friedrich-Ring’ an der Deutschen Oper Berlin im April 2017.“
Die Sopranistin Anja Kampe als Sieglinde bekommt nach vier Stunden Walküre noch ein wenig mehr Applaus als Simon O’Neill. „Sie erweist sich als wahrhaft genialische Interpretin, die feinste jedenfalls, die diese Aufführung zu bieten hat“, schreibt die Berliner Morgenpost zur Premiere. Anja Kampe singt die Partie mit wundervoll ausgeglichener Stimme, bald lyrisch bewegt, bald hochdramatisch angriffsfroh. „Ihr Singen ist durchgehend auf den Idealklang geeicht. Das hört man selten.“
Iréne Theorin als Walküre Brünnhilde besitzt einen durchdringenden, hochdramatischen Sopran. Lieblichere Klänge vermag sie kaum zu entlocken. „Mit Lyrik steht sie offenkundig auf dem Kriegsfuß. Doch sonst kann sie mit ihrer wohllautenden Stimmkraft Eindruck machen“, so die Berliner Morgenpost. Den hinterlässt auch ihre Gegenspielerin Fricka, Wotans Gattin, verkörpert von Ekaterina Gubanova, ein Mezzosopran der Extraklasse.
Iain Paterson bietet als Wotan eine passable Leistung an diesem Abend, kurz vor Ende des dritten Aufzuges geht ihm ein wenig die Kraft aus. Dem „Ring“-Besucher Wilfried Feldhusen, 55, aus dem niedersächsischen Wingst selbst Bass in drei Laien-Chören, gefällt an diesem Abend die Wortverständlichkeit und die Sprachdisziplin der Sänger. Daniel Barenboims junge Staatskapelle empfindet er als „exellent, vor allem das geschmeidige, technisch brilliante Dahingleiten der Streicher. Auch die Bläsergruppe ist toll abgestimmt“. Nur einmal bläst ein Fagott im dritten Aufzug arg daneben. „Dies zu monieren“, sagt Wilfried Feldhusen, „wäre aber so, als wenn man kritisieren würde, dass der Kaffee in einem Fünf-Sterne-Hotel einen Grad zu kalt ist.“
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Andreas Schmidt, 13. Juni 2016