Norma © Bernd Uhlig
In seiner Inszenierung der Oper “Norma” von Vincenzo Bellini an der Berliner Staatsoper verrennt sich Regisseur Vasily Barkhatov total. Bellini wollte mit dieser Oper das Publikum zum Weinen bringen, Barkhatov bringt es mit Momenten zum Lachen. Doch auch von der musikalischen Seite gibt es an diesem Abend nicht viel Positives zu berichten. Unter der Leitung von Francesco Lanzillotta plätschert die wunderbare Musik von Bellini einfach so dahin: Belcanto als emotionsloser Schöngesang!
Vincenzo Bellini (1801-1835)
NORMA
Oper in drei Akten (Libretto Felice Romani)
Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta
Inszenierung: Vasily Barkhatov
Bühnenbild: Zinovy Margolin
Kostüme: Olga Shaishmelashvili
Staatskapelle Berlin
Staatsopernchor (Einstudierung: Dani Juris)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 16. April 2025
von Jean-Nico Schambourg
Die “Norma” von Vincenzo Bellini, die man momentan an der Staatsoper Berlin erleben kann, ist eine gemeinsame Produktion mit dem Theater an der Wien, wo sie vor einigen Wochen zuerst aufgeführt wurde und dort kontrovers vom Publikum aufgenommen worden war. Der Besucher wusste demnach, auf was er sich einlässt. Leider gibt es keine positive Überraschung, weder bei der szenischen noch bei der musikalischen Leitung und man erlebt einen emotionslosen Abend.
Dem Regisseur Vasily Barkhatov geht es, wie er im Programmheft erklärt, vornehmlich um die Gestaltung der Dreiecksgeschichte Norma-Pollione-Adalgisa in Zeiten politischer Umwälzungen. Bei ihm spielt die Geschichte nicht im von den Römern besetzten Gallien. Zeit und Land sind zwar nicht genau definiert, lassen aber aufgrund von Ausstattung (Bühne von Zinovy Margolin, sowie Kostüme von Olga Shaishmelashvili) an eine Militärdiktatur im 20. Jahrhundert schließen. Das Bühnenbild zeigt eine Keramikfabrik, in der die Arbeiter gezwungen werden, Büsten des militärischen Herrschers herzustellen.

Keine Römer, keine Gallier, keine Druiden, keine Priesterinnen! Norma ist die Vorarbeiterin, Pollione ist der Chef der Fabrik, die Gallier sind die Arbeiter. Besser man liest die Übertitel nicht, denn die erzählen eine andere Geschichte. Teilweise wird der Text der Übertitel auch einfach umgeschrieben oder weggelassen, wahrscheinlich damit der Unterschied mit dem Bühnengeschehen nicht zu offensichtlich wird.
Es geht also nicht mehr um eine Liebesgeschichte zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Religionen. Nein, die Handlung versickert zu einem Zickenkrieg zwischen zwei Frauen, die denselben Mann, Pollione, lieben. Dieser bevorzugt inzwischen die jüngere Adalgisa, obschon er heimlich seit 10 Jahren zwei Kinder mit Norma hat. Als dieses Geheimnis auffliegt, soll Norma am Ende der Oper im Keramikofen ihr Ende finden. Aber keine Angst: Auch hier greift Barkhatov entscheidend in die Handlung ein und es gibt ein Happy End!
Bellini wollte das Publikum mit dieser Oper zum Weinen bringen, Barkhatov bringt es mit Momenten zum Lachen mit haarsträubenden Ideen und Personenführung. So zum Beispiel im ersten Akt, wenn Adalgisa mehrmals durch die Zimmertür verschwindet, um dann mit einer neuen Idee gleich wieder hereinzukommen. Bei ihrem nächsten Herauslaufen steht dann plötzlich Pollione vor der Tür, am Ende des Aktes der ganze Chor. Norma als Komödie, und das alles ohne Asterix und Obelix!
Beim Duett im letzten Akt (“In mia man’ alfin tu sei”) sitzen Norma und Pollione wie ein altes Ehepaar beisammen und rauchen noch schnell mal eine gemeinsame Zigarette, wahrscheinlich als Hinweis auf den Feuertod, den Bellini ihnen am Schluss der Oper eigentlich vorgesehen hat. Auch hier gibt es kein Auflodern der Gefühle, keinen echten Streit, wo es doch um das Ende ihrer Beziehung geht.

Normalerweise würde ich sagen: Augen schließen und sich der Musik genüsslich hingeben! Aber leider ist auch hier tote Hose! Aus dem Orchestergraben sprüht ebenfalls keine Revolution, kein Feuer. Die Musik plätschert den ganzen Abend einfach so dahin. Damit passt das musikalische Erlebnis zwar zum seichten Bühnengeschehen, aber passt es auch zu Bellinis Vorstellungen? Die Tempi, die der Dirigent Francesco Lanzillotta wählt, sind langsam, schleppend, was den Sängern auf der Bühne ihre Arbeit sicherlich nicht erleichtert. Spielt das Orchester auch technisch perfekt, so kann es jedoch keine Emotionen übermitteln.
Den Sängern kann man nichts Negatives vorwerfen. Rachel Willis-Sørensen singt in Berlin ihre erste Norma. Sie hat den vorgeschriebenen Stimmumfang dafür, ohne Bruch zwischen den einzelnen Registern. In der berühmten Arie “Casta Diva” singt sie die langen Phrasen mit weicher Stimme und gutem Legato. Als betrogene Ehefrau lässt sie mit Momenten mit imposantem Stimmvolumen und gut kontrollierter Höhe aufhorchen.
Elmina Hasan ist ihr als Adalgisa ebenbürtig. Sie zeigt, dass ihr Mezzosopran diese Rolle, die Bellini eigentlich für eine Sopranstimme komponiert hat, total bewältigt und das Publikum von Anfang an stimmlich fesseln kann. In ihren Duetten verschmelzen die Stimmen der beiden Sängerinnen harmonisch zusammen, so wie man es sich in der Musik des Belcanto vorstellt.
Auch Dmitri Korchak zeigt seine stimmlichen Fähigkeiten für dieses Repertoire. Er klingt in seiner Arie am Anfang der Oper sehr heroisch, erweist sich dann in den Ensembles mit den Damen als gefühlvoller Gesangspartner.
Riccardo Fassi wird als Oroveso von der Regie vom Vater Normas zum Mitarbeiter degradiert. Junho Hwang als Flavio und Maria Kokareva als Clotilde vervollständigen die Besetzung.
Der Staatsopernchor (Einstudierung: Dani Juris) singt auf gewohnt gutem Niveau und bringt als einziger an diesem Abend einen Anflug von Feuer auf die Bühne.
Allgemein scheint es dem Publikum trotzdem zu gefallen oder ist es einfach nur froh, dass es am Ende keine Toten gibt? Es spendet braven, aber nicht überschäumenden Applaus.
So endet ein in allen Belangen sehr emotionsloser Opernabend. Und das ist eigentlich der schlimmste Vorwurf, den man einer Opernaufführung machen kann!
Jean-Nico Schambourg, 17. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Vincenzo Bellini, Norma Wiener Staatsoper, 22. Februar 2025 (Premiere)
Klein beleuchtet kurz Nr 16: Norma in Hamburg Staatsoper Hamburg, 22. Februar 2024
Ich habe diese Inszenierung am Theater an der Wien gesehen und war davon sehr angetan. Der Stoff wurde meiner Ansicht nach überzeugend auf das Szenario eines Aufstandes gegen ein faschistisches Regime projiziert, wobei es der Wiener Norma (Asmik Grigorian) sogar gelungen ist, den wichtigen spirituellen Aspekt ihrer Figur zu erhalten. Das dortige Publikum, zumindest das im Hause, hat nicht kontrovers sondern mit großer Begeisterung reagiert.
Mathias Brust