Auch im Musikverein fesselt Viotti mit einem originellen Programm das Publikum

Viotti und die WSY  Musikverein Wien, 17. Juni 2025

Lorenzo Viotti, Wiener Symphoniker © Julia Wesely

Viotti und die Wiener Symphoniker sind wieder am Werk, und diesmal ist auch der Singverein dabei. Ein bejubelter Auftritt mit einer spätromantischen Rarität und Bruckners wichtigster Messe.

Alexander Zemlinsky
Frühlingsbegräbnis. Für Soli, Chor und Orchester
Text von Paul Heyse

Revidierte Fassung 1903

Anton Bruckner
Messe f-moll. Für Soli, Chor und Orchester

Christina Gansch, Sopran
Rachael Wilson, Mezzosopran
Andrew Staples, Tenor
Derek Welton, Bassbariton

Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Johannes Prinz, künstlerische Leitung

Wiener Symphoniker
Lorenzo Viotti, Dirigent

Musikverein Wien, Großer Saal, 17. Juni 2025

von Dr. Rudi Frühwirth

Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche stand Lorenzo Viotti  am Pult der Wiener Symphoniker, diesmal noch ergänzt durch den Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.
Vor wenigen Tagen setzte er ein frühes Orchesterwerk von Anton Webern an den Beginn des Programms; diesmal kam Alexander Zemlinsky mit dem Frühlingsbegräbnis zu Wort, zuerst aufgeführt im Gesellschafts-Concert des Musikvereins am 11. Februar 1900, unter der Leitung des Komponisten. Trotz des großen Erfolges erarbeitete Zemlinsky im Jahr 1903 eine revidierte, erweiterte Fassung, die nun im Saal der Uraufführung zu hören war.

Zemlinsky Frühlingsbegräbnis ist die Vertonung des gleichnamigen Gedichts von Paul Heyse. Es schildert den Tod des Frühlings unter der unbarmherzigen Sonnenglut, seine Grablegung, die Grabrede des Spechts mit der Verheißung der Wiederauferstehung nach dem harten Winter, und schließlich ein Gewitter, das die Trauergemeinde aus Elfen und Tieren zerstreut. Dem Komponisten muss Heyses Gedicht ungewöhnlich gut gefallen haben; sonst hätte er sich wohl kaum an eine ausgedehnte, raffinierte Vertonung gewagt, die überdies an die Ausführenden höchste Ansprüche stellt.

Ich bin wohl nicht der Einzige, der das Sujet reichlich gesucht und Heyses Lyrik mäßig gelungen findet. An der Qualität der Musik kann hingegen kein Zweifel bestehen, und erst recht nicht an der Wiedergabe durch Viotti und seine Mitstreiter auf dem Podium.

Ganz zart erzeugten die bestens disponierten Holzbläser der Symphoniker den sanften Klang, der am Beginn des Gedichts heraufbeschworen wird, es gesellten sich die Streicher, dann die Hörner dazu. Schon an dieser Stelle wird die unvergleichliche Kunst der Orchestrierung hörbar, die Zemlinsky auszeichnet.

Lorenzo Viotti, Wiener Symphoniker © Julia Wesely

Dann tritt bald der Chor hinzu, der im Frühlingsbegräbnis gemeinsam mit dem Orchester das Werk trägt. Der Singverein war von Johannes Prinz bestens vorbereitet und bewältigte die lyrischen Stellen wie auch die dramatischen Stellen makellos, wie etwa den mächtigen Ausbruch im Trauermarsch der dritten Stophe.

Die Soli werden im Vergleich zum Chor eher stiefmütterlich behandelt. Dem Bariton sind die wenigen erzählenden Passagen überlassen, die nicht der Chor vorträgt. Bassbariton Derek Welton gefiel mir in den ihm zugedachten Solostellen außerordentlich gut. Sichere Höhe, beeindruckendes Volumen und lyrisches Ausdrucksvermögen vereinten sich zu einer gelungenen Darbietung.

Der Sopranistin sind vor allem die Worte der Anteilnahme zugedacht, die die Erzählung gelegentlich auflockern. Christina Gansch hatte also nicht allzu viel zu tun;  stimmlich konnte sie mich nicht ganz überzeugen. An ihrer Intonation war nichts zu bemängeln, jedoch fand ich ihr Vibrato für einen lyrischen Sopran zu ausgeprägt.

Lorenzo Viotti, Wiener Symphoniker © Julia Wesely

Viotti zeigte auch an diesem Abend wieder, das er auf dem besten Weg zu einem Großen seines Fachs ist. Seine ungemein suggestive Gestik – er dirigierte diesen Abend ohne Stab – kann dem Orchester und dem Chor die feinsten Nuancen wie auch die überschwänglichste Lautstärke entlocken. In der Grablegung der vorletzten Strophe vermeinte ich, eine Orgel zu hören, ein faszinierender Beweis für Zemlinskys Orchestrierung wie für Viottis Kunst der Klangregie. Die Dynamik schließlich, mit der er Symphoniker und Singverein vom Gewitter bis zur strahlenden Schlussapotheose führte, war höchst beeindruckend. Die Begeisterung des Publikums entlud sich in lautstarkem Beifall.

Lorenzo Viotti, Wiener Symphoniker © Julia Wesely

Nach der Pause stand Bruckners Große Messe in f-Moll auf dem Programm. Inhaltlich wie musikalisch war also Kontrast angesagt. Während Heyses Gedicht heidnisch-religiöse Züge hat, ist Bruckners Messvertonung in seiner ausgeprägten christlich-katholischen Grundhaltung verankert. Das Werk ist von bemerkenswerter musikalischer Einheit. Das absteigende Viertonmotiv, mit dem das erste Kyrie beginnt, erklingt unverändert wieder im letzten Takt des Agnus Dei. Es taucht auch zwischendurch immer wieder auf, sei es in der Originalform, sei es in der Umkehrung wie im ersten Kyrie.  Eine Besonderheit der Messe sind die a-cappella geforderten Chorstellen. In diesen konnte der Singverein sein Können wieder eindrucksvoll beweisen.

Lorenzo Viotti, Solisten, Chor und Orchester. Foto: privat

Die Instrumentierung ist noch nicht so klar entwickelt wie in den später entstanden Symphonien, obwohl in etlichen Passagen der typische “Brucknerklang” schon vorauszuahnen ist. Die Symphoniker legten auf jeden Fall eine solide orchestrale Grundlage für Solisten und Chor. Die Messe verlangt vier Solisten; zu Christina Gansch und Derek Welton gesellten sich noch die Mezzospranistin Rachael Wilson und der Tenor Andrew Staples. Wilsons in der Tiefe bemerkenswert klangvolle Stimme und Staples’ geschmeidiger, in der Höhe unangestrengter Tenor, ergänzten das Soloquartett ideal. Das von Staples gesungene Incarnatus est, begleitet von der Solovioline, war einer der schönsten Stellen des an musikalischen Einfällen so reichen Credo.

Viotti war auch in der Messe ein überragender Gesamtleiter, der das Ensemble vom zartesten Ausdruck bis zu höchstem Glanz zu steuern wusste. Besonder augen- und ohrenfällig war das im Gloria, das in strahlendem C-Dur beginnt, im Qui tollis und Miserere klagend absinkt, und schließlich in einer mächtigen Chorfuge endet. Bruckners kontrapunktische Meisterschaft und sein tiefer Glaube werden auch im abschließenden Fugato des Credo offensichtlich, in dem der Text Et vitam venturi saeculi, der die Hoffnung auf ein ewiges Leben artikuliert, immer wieder von lauten Credo!-Rufen des Chors unterbrochen wird.

Lorenzo Viotti, Wiener Symphoniker © Julia Wesely

Am Ende des Agnus Dei brach nach kurzer ergiffener Pause stürmischer Beifall los, hochverdiente Belohnung für einen gelungenen Konzertabend.

Dr. Rudi Frühwirth, 19. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

WSY Lorenzo Viotti/Sol Gabetta Wiener Konzerthaus, 12. Juni 2025

Wiener Symphoniker/Sol Gabetta, Cello, Lorenzo Viotti, Dirigent Wiener Konzerthaus, 12. Juni 2025

Gürzenich-Orchester Köln, Kölner Bürgerchor, Lorenzo Viotti Kölner Philharmonie, 7. September 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert