Die Vögel © Stephan Walzl ‐ Aksel Daveyan (Wiedehopf), im Hintergrund Opernchor
Walter Braunfels Oper „Die Vögel“ in großartiger musikalischer Wiedergabe am Oldenburgischen Staatstheater. Die Inszenierung überzeugte allerdings nur bedingt.
Was passiert, wenn jemand versucht, andere zu beeinflussen, ihnen in manipulativer Absicht angebliche Tatsachen vorgaukelt, damit sie ihm folgen? Wann wird aus angeblichem Miteinander eine Diktatur? Was bleibt, wenn dann das so entstandene Regime vernichtet wird? Was macht es mit den Übriggebliebenen? Alles Fragen, die Walter Braunfels in seiner Oper „Die Vögel“, uraufgeführt 1920 in München, aufgreift. Und sie sind aktuell, heute wie damals. Die Inszenierung in Oldenburg stellt sich diesen Fragen nicht, überzeugt aber durch die hervorragende musikalische Interpretation.
Die Vögel
Lyrisch-phantastisches Spiel in zwei Aufzügen
nach Aristophanes
Text und Musik von Walter Braunfels
Oldenburgisches Staatsorchester
Musikalische Leitung: Hendrik Vestmann
Inszenierung: Holger Potocki
Oldenburgisches Staatstheater, 25 Januar 2025, Premiere
von Axel Wuttke
Zugegeben, das Stück ist nicht leicht zu fassen. Da gehen zwei vom Alltag gelangweilte Menschen, der sensible Hoffegut und der draufgängerische Ratefreund, zu den Vögeln. Ratefreund macht sie sich zu Untertanen, wird ihr Führer und stachelt sie zum Kampf gegen die Götter auf. Die Katastrophe ist unabwendbar.
Das lässt viele Deutungen zu, die Inszenierung von Holger Potocki ist eine davon, vereinfacht das Stück aber sehr. Was im Interview mit dem Regisseur im Programmheft zu lesen ist, verspricht Spannendes und eine ausführliche Beschäftigung mit den Aussagen dieser Oper, in der Braunfels deutlich aufzeigt, wohin totalitäre Regime führen. In Potockis Inszenierung stellt sich das Ganze als Traum eines einsamen, unglücklichen Büroangestellten (Hoffegut) dar. In dieser Lesart einleuchtend, dass aus dem Freund (Ratefreund) hier das Alter Ego wird; Liebe und Hass in einer Person gebündelt. Im Traum ist alles möglich. Das ist stringent durchgearbeitet, greift gedanklich aber etwas kurz.
Erschreckend aktuelle Bedeutung
Braunfels (1982 bis 1954), der die Arbeit an der Oper 1913 begann, wurde 1915 eingezogen und kehrte erst zum Ende des 1. Weltkrieges in seine Heimatstadt zurück. Im von Braunfels selbst verfassten Libretto, basierend auf der antiken Vorlage von Aristophanes, wird aus dessen Komödie eine Tragödie. Die erlebten Zeitumstände fließen mit ein. Vor allem die für viele Menschen nicht vorstellbare Niederlage des 1. Weltkriegs und die damit einhergehenden Folgen und politischen Wirren. Sehr deutlich zeigt er auf, wohin Diktaturen führen und wie schnell sie entstehen können, was gerade in der heutigen Zeit von erschreckend aktueller Bedeutung ist.
Die gut anzusehende Inszenierung mit ihrer phantasievollen Ausstattung und klarer Personenführung erleichtert den Einstieg in das Werk, weil sie über die Doppelbödigkeit der Handlung hinweggeht.
Dies ist etwas bedauerlich, da der überwältigende musikalische Einfallsreichtum, die Klangsinnlichkeit und die Dramatik der Musik zu wenig adäquate Entsprechung auf der Bühne finden.
Spätromantisch-phantastische Klänge
Ausgezeichnet die musikalische Realisation dieser komplexen und mitreißenden Oper. GMD Hendrik Vestmann führte sein Orchester, den Opern- und Extrachor sowie die Solisten mit großer Umsicht durch die, sicherlich für die meisten Beteiligten, unbekannte Partitur. Mit feinem Gespür für das ganz eigene Idiom von Braunfels Musik, realisierte er hier eine wunderbar klare Wiedergabe. Sowohl die an die Meistersinger erinnernde Leichtigkeit des ersten Aktes, das geheimnisvoll Schwebende zu Beginn des 2. Aktes als auch die bis an den Rand der Tonalität reichen Ausmahlung des Krieges zwischen Vögeln und Göttern, werden klangsinnlich herausgearbeitet.
Großartig auch das Solistenensemble. Jason Kim verleiht dem einsamen, schwärmerischen Hoffegut mit seiner lyrisch grundierten Stimme und heldentenoralen Spitzentönen, eine große Beseeltheit und Ausdrucksstärke. Sein Alter Ego, Ratefreund, wird von Arthur Bruce mit klarem, helltimbriertem Bariton gestaltet. Ebenso ausdrucksvoll der Wiedehopf von Aksel Daveyan.
Eine bezaubernde Nachtigall, mit nur in der extremen Höhe etwas flackriger Stimmgebung, gestaltete Penelope Kendros. Ihr Duett mit Jason Kim am Anfang des zweiten Aktes bildete einen der großen Höhepunkte des Abends.
Besonders aufhorchen ließ außerdem Juhyeon Kim. Der junge Bass lieferte eine beeindruckende Erzählung des von Zeus gestraften Prometheus ab, in der sowohl die profunde Tiefe als auch die heldische Höhe, zusammen mit der klangschönen Mittellage, beeindruckten. Die übrigen Partien waren mehr als nur rollendeckend besetzt.
Hervorzuheben ist noch die bei allen Beteiligten ausgesprochen gute und klare Diktion!
Der Opern- und Extrachor überzeugte mit Homogenität und kraftvoller Attacke. Schön auch die große Spielfreudigkeit der einzelnen Mitglieder.
Am Ende langer Applaus mit vielen Bravo-Rufen für alle Beteiligten.
Bei der Premierenfeier richtete der Enkel von Walter Braunfels, Stephan Braunfels, das Wort ans Publikum. Er ist sehr interessiert an der Belebung der Werke seines Großvaters und dankte dem Staatstheater Oldenburg dafür, die „Die Vögel“ erneut zur Diskussion zu stellen. Gezeitigt betonte er den geschichtlichen Hintergrund der Oper und die heute wie damals gültigen Zeitbezüge des Stückes.
Schon aufgrund der musikalischen Qualität des Stückes und deren Umsetzung unbedingt erlebenswert.
Axel Wuttke, 27. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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