Măcelaru und Co lassen selten gehörte Werke glänzen

WDR Sinfonieorchester, Cristian Măcelaru, Kian Soltani  Kölner Philharmonie, 20. Oktober 2023

Kian Soltani© Marco Borggreve

Edward Elgar – Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85, 1919

Sergej Rachmaninow – Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 44, 1936

Zugaben:

Robert Schumann – Wiegenlied
Sergej Rachmaninow – Vocalise op. 34/14

WDR Sinfonieorchester

Cristian Măcelaru, Dirigent
Kian Soltani, Violoncello

Kölner Philharmonie, 20. Oktober 2023

von Daniel Janz

Man muss den Mut vom WDR Sinfonieorchester und seinem Chefdirigenten Cristian Măcelaru (43) anerkennen, so ein Programm zu spielen! Edward Elgars Cellokonzert und Sergej Rachmaninows dritte Sinfonie sind zwei Stücke, die es von Beginn an schwer hatten und bis heute selten gespielt werden. So heißt es zur Uraufführung von Elgars Cellokonzert unter dem London Symphony Orchestra, dass wohl (Zitat) „noch nie ein so bedeutendes Orchester eine so jämmerliche Selbstdarstellung abgegeben“ haben soll. Und auch mit Rachmaninows dritter Sinfonie taten sich die Kritiker schwer, weil sie gänzlich aus der Zeit gefallen zu sein schien. So kann man diesen Abend getrost auch unter das Motto stellen: Stimmen verkannter Klassiker.

Tatsächlich markierten beide Werke jeweils einen biografischen Wendepunkt. Elgas Cellokonzert ist das letzte Stück, das er komponierte – ein Werk im Schatten des ersten Weltkriegs, in dem er die schwere – und ein Jahr später tödlich verlaufene – Lungenerkrankung seiner Frau verarbeitet haben soll. Und Rachmaninows romantisierende und tonale Sinfonie – die letzte, die er schrieb – wurde 1936 von den amerikanischen Kritikern der Avantgarde zurückgewiesen, worauf er laut Quellen zwar gelassen reagierte, danach aber sieben Jahre lang nichts mehr komponierte. Beide Stücke standen also an persönlichen Tiefpunkten der Komponisten.

WDR Sinfonieorchester Köln (WSO), aufgenommen in der Philharmonie Köln © WDR/Clüsserath

Kommen wir damit auch zum Tiefpunkt des Abends: Der Konzerteinführung. Die Qualität dieser Veranstaltungen ist immer ein Glücksspiel. Aber heute bewegt sie sich am untersten Ende des Negativspektrums. Eine Überinterpretation nach der anderen, kaum ein Wort zu den Werken, kein Ansatz eine Bedeutung zu vermitteln, dafür aber Überdramatisierung der Rezeptionsgeschichte als Versuch den roten Faden zu geben, Schleichwerbung für das neue Album des Solisten und endlose Lobhudelei an das Orchester. Erkenntnisgewinn: Fast null! Den Vogel schießt diese Anti-Vermittlung aber ab, als behauptet wird, Sinfonien hätten immer vier Sätze und Rachmaninows Werk wäre mit seinen drei Sätzen eine besondere Ausnahme. Dass die ursprüngliche Sinfonia dreiteilig angelegt war, wird einfach unterschlagen. Auch Bach, Haydn und Mozart – alles wohl nie gewesen, wenn man diesem Vortrag glauben soll!

Zum Glück enden damit die Ausfälle an diesem Abend. Denn auch, wenn es sich bei den beiden Hauptwerken um selten gespielte, weil kompositorisch unausgereifte Werke handelt, haben sie doch ihre Momente. Damit diese gelingen, braucht es ein Orchester mit Dirigenten – und bei Elgar mit Solist –, die ihr Handwerk verstehen.

Den Anfang macht Kian Soltani, (31), Sohn einer nach Österreich ausgewanderten persischen Familie. Was der preisgekrönte Solist aus seinem Cello herausholt, ist ein ganz eigenes Strahlen. Bereits beim direkten Einstieg in das Werk ergreift er mit Tiefe und viel Gefühl, während die Holzbläser dazu verhaltene musikalische Lichtblicke einwerfen. Das durch Soltani klar eingebrachte Hauptthema pflanzt sich daraufhin wie eine Ranke im Blumengarten der Instrumente fort. Mal bringt er sein Cello zum Singen, mal zupft es, mal rast er über dessen Saiten. Die daraus entstehende Mischung aus Feierlichkeit und Sehnsucht endet in einem prächtigen Tutti.

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Es sind Momente wie dieser, die das Können der Musiker veranschaulichen. Die effektvolle Art, wie hier das Soloinstrument präsentiert wird, ist bei so einem großen Orchester im Hintergrund schon eine Leistung. Fabelhaft ist Soltanis Solokadenz, die er zu intimen Einwürfen des ersten Horns zelebriert, bevor er und das volle Orchester in ein rasendes Satzende ausleiteten. Auch sein balladenartiges Spiel im zweiten Satz zu den restlichen, von Cristian Măcelaru säuberlich angeleiteten Streichern begeistert.

Schade nur, dass es kompositorisch so spannungsarm ist. Der Rezensent fühlt sich stellenweise trotz Höchstleistung auf der Bühne leider gelangweilt.

Der dritte Satz schließt dann ein Werk ab, bei dem man als Zuhörer unschlüssig zurückbleibt. Wollte der Komponist auf ein Moment der Hoffnung hinarbeiten? Oder in einer dramatischen Wendung enden? Zu neuen Höhen aufschwingen oder ganz der Verlustangst zuwenden? Beantworten lässt sich diese Frage heute nicht so richtig.

Dafür steht aber fest, dass alle Beteiligten diese erste Konzerthälfte mit Bravour absolviert haben. Allen voran Soltani, dem man die Freude am Spiel wirklich ansieht. Auch seine Zugabe mit den restlichen Streichern gelingt sehr bewegend. Dafür dürfen sich die Künstler vom Publikum zurecht feiern lassen. Dass dieser Applaus dem Rezensenten etwas verhalten vorkommt, muss sicher im Werk begründet sein: Elgars Solokonzert hat zwar einen eigenen Charme, hinterlässt aber keine Langzeitwirkung.

Rachmaninows dritte Sinfonie steht diesem zwischen Sehnsucht und Hoffnung schwelgenden Werk stark entgegen. In einer Zeit geschrieben, als neue Klangräume und Kompositionsweisen den kulturellen Diskurs bestimmten, überrascht dieses Werk mit vielen tonalen und harmonischen Elementen. Die Einführung stellte es so dar, dass es deshalb auch bei den Kritikern zu Unrecht durchfiel. Aber selbst wenn diese neue Klangideologie damals der vorgeschobene Grund war, muss man dieses Werk nicht unbedingt vergöttern. Trotz vieler schöner Elemente ist es nämlich doch ungelenkt und unbestimmt, stellenweise gar chaotisch.

Cristian Măcelaru © Sorin Popa

Der erste Satz ist dafür symptomatisch. Rachmaninows Sinfonie lädt hier zum Schwelgen ein, immer wieder erklingen neue Eindrücke und prächtig inszenierte Passagen. Glänzen dürfen heute unter einen sehr bestimmten und auch sensiblen Dirigat die Streicher und Holzbläser. Auch vom Schlagzeug kommen scharf pointierte Einwürfe und Harfen mit Celesta sorgen für ätherische Klänge. Was das Orchester angeht, dürfte das heute eine der besten Aufführungen der letzten 3 Jahre sein, die der Rezensent miterlebt.

Kompositorisch wirkt das alles aber unmotiviert. Der Ideenreichtum beeindruckt und jede musikalische Idee birgt für sich viel Schönheit. Aber in dieser Vielfalt und ohne Wiederholung empfindet der Rezensent das Werk als überfrachtet. Es fehlen die Orientierungspunkte, sodass man spätestens zur Mitte des ersten Satzes den Faden verliert. Das Ganze präsentiert sich eher als impressionistisches Klangfarbenbad, denn als formal durchkomponierte Sinfonie. Einziges Thema mit einem Aha-Effekt ist das Eingangsmotiv, das zum Ende des ersten und zweiten Satzes neu erklingt.

Was bleibt sind die erwähnenswerten Gesamt- sowie Einzelleistungen der Musiker: In Satz 1 können beispielsweise die Klarinetten begeistern. Und im zweiten Satz brilliert das Horn in seinem Solo zu den lieblichen Harfenklängen. Auch die Solovioline lädt bei einem sensiblen Orchesterflirren richtig zum Schmachten ein. Die Soli von Flöte und Englischhorn lassen einen schwelgen. Und immer wieder brechen aus dem Schlagwerk explosive Elemente hervor, die zwar völlig unvorbereitet wirken, aber immer für eine Überraschung gut sind.

WDR Sinfonieorchester © Tillmann Franzen

So stellt auch das Ende der Sinfonie noch einmal ein explosives Auftönen inklusive – für Rachmaninow obligatorischem – „Dies Irae“-Thema dar. Und das Publikum des nahezu ausverkauften Saals bedankt sich für diese Aufführung auch mit anhaltendem Applaus, einige wenige Zuhörer stehen sogar auf. Für die Musiker ist dies Ansporn genug, um den Abend mit der rührenden Vocalise op. 34 – ebenfalls von Rachmaninow – ausklingen zu lassen. Wie eine warme Dusche breitet sich diese sehnsuchtsvolle, mit romantischen Holzbläsereinwürfen gespickte Komposition aus. Und am Ende steht fest: Dirigent Măcelaru und das WDR Sinfonieorchester finden selbst bei schwierigen Kompositionen am Ende doch zu einer versöhnlichen Note.

Das Konzert kann noch 30 Tage lang im Konzertplayer des WDR Sinfonieorchesters angehört werden:

https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-konzert/konzertplayer-wdr-sinfonieorchester-kian-soltani-100.html

Daniel Janz, 23. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wiener Philharmoniker, Frank Peter Zimmermann (Violine), Daniel Harding Kölner Philharmonie, 6. Oktober 2023

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 2 in c-Moll Kölner Philharmonie, 11. September 2023

Boston Symphony Orchestra, Andris Nelsons, Dirigent Kölner Philharmonie, 3. September 2023

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