Ingo Metzmacher, Conductor © SF/Marco Borrelli
WDR Sinfonieorchester
Ingo Metzmacher, Dirigent
Helen Grime – Near Midnight
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 7 e-Moll
Kölner Philharmonie, 26. September 2025
von Daniel Janz
Es wird unheimlich bis düster an diesem Freitagabend in der Philharmonie am Rhein. Mit zwei Werken nächtlicher Stimmung entführt das WDR Sinfonieorchester unter Ingo Metzmacher (67) das Publikum in eine Klangwelt zwischen Mitternacht, Träumen von besseren Welten, spukhaften Geisterspielen und nächtlichen Ständchen.
Zum einen ist da Gustav Mahlers siebte Sinfonie, ein für sich bereits abendfüllendes Werk, das in Mahlers Schaffen eine rätselhafte Komposition darstellt. Bis heute streiten sich Forscher über die Bedeutung dieser Sinfonie. Ihr voran geht mit „Near Midnight“ ein 2013 uraufgeführtes Stück der schottischen Komponistin Helen Grime, das die letzten Glockenschläge vor der mitternächtlichen Stille thematisieren will.
Warum tut man dem Publikum sowas an?
Leider stellt sich dieses erste Stück wieder einmal als eine jener charakterarmen Kompositionen heraus, die im Konzertsaal erklingen müssen, weil es irgendjemand in der Produktion bestimmt hat. Kaum jemand will so etwas hören, Großteile des Publikums werden durch solche Geräuschexperimente verprellt und im Anschluss bleibt die Frage, wofür man überhaupt sein Geld ausgegeben hat.
Dabei gibt sich die detaillierte Einführung Mühe, Struktur in dieses formlose Werk zu bringen und Bögen zu Mahler zu spannen. Was in Bezug auf Mahler zu viel des Guten ist, stellt in Bezug auf Grime eine große Hilfe dar! Aber die Musik löst das Versprechen der Einführung nicht ein. Wie für Geräusch-Klang-Kompositionen der Gegenwart typisch, ist alles ständig bewegt, aber ohne Wiedererkennungsmerkmal. Dazu wird eine Materialschlacht aufgefahren, die das Stück in seiner meist konfusen Gestaltung nicht rechtfertigt. Von Anfang an wird man dadurch so sehr mit Reizen überflutet, dass man längst mental abgeschaltet hat, als der Höhepunkt erreicht ist.
Dazu wird weder die in der Einführung erklärte Struktur, noch der Bezug zu dem zugrundeliegenden Gedicht von D.H. Lawrence erkennbar. Beim Hören von diesem in vier Sinnabteile unterteilten Klangchaos wähnt man sich noch im ersten Abschnitt, um dann zu erkennen, dass irgendwie bereits der dritte erreicht ist. Lobenswert bleibt, dass Ingo Metzmacher und dem WDR Sinfonieorchester ein allgemein runder Gesamtklang gelingt. Wäre das Stück nur besser komponiert, das hätte ein gutes Erlebnis sein können. Wenigstens ist das Chaos nach 10 Minuten vorbei.

Mahler 7 startet stark und lässt dann nach
Deutlich mehr kann der Einstieg in Mahlers siebte Sinfonie überzeugen. Der erste, von seinem Trauerrhythmus getragene Satz ergreift gut. Und das Tenorhorn, das hier einen seiner seltenen Orchestereinsätze zelebrieren kann, erklingt so prominent und sauber, wie es der Rezensent noch nie in einer Live-Aufführung erlebt hat. Auch der Rest gelingt, obwohl Metzmachers Akzentsetzung etwas unausgeglichen erscheint. Zwar überzeugt er mit Timing und geschicktem Einsatz kleiner Pausen. Andererseits sind Schlagzeug, Trompeten und Posaunen stellenweise doch arg zurückhaltend.
In den Sätzen 2 bis 4 kämpft das Orchester stattdessen gegen den Höreindruck der Langeweile an. Kein Wunder, immerhin gehören diese Sinfonie und in ihr besonders diese 3 Sätze zu den schwächsten, die Gustav Mahler jemals komponierte. Diese mal fratzenhaft, mal konfusen, mal infantil klingenden Teile mit Spannung zu füllen, ist eine schwierige Aufgabe, an der selbst großartige Orchester sich schwer tun.
Auch das WDR Sinfonieorchester zeigt damit heute Probleme. Der zweite Satz wird mit seinem grotesk tänzerischen Element zwar bewegt dargeboten, lässt es aber an Feinheit in den Details vermissen. Besonders die Holzbläser mit ihren Nebenmotiven oder kleinen Einwürfen werden von Metzmacher nicht gut herausgearbeitet. Da fehlt plötzlich die Schärfe im Gesamtklang, die das Orchester bei Grime noch hatte.

Der dritte Satz gelingt schaurig mit seinen an gespenstische Tänze erinnernden Motivfetzen, die sich nie recht entfalten wollen. Das mäßige Herausarbeiten von Details in den Holzbläsern schadet diesem Stückwerk aber so sehr, dass über weite Strecken die Langeweile überwiegt. Und im vierten Satz legt Metzmacher dann noch so sehr an Tempo zu, dass der intimen Stimmung eines Nachtständchens geschadet wird. Es wirkt eher gehetzt und stellenweise sogar hektisch. Immerhin – die Klänge von Mandoline und Gitarre sind prominent herausgearbeitet.
Hinter den Möglichkeiten zurück bleibt auch das Finale. Hier verlangt Mahler bereits zu Beginn einen bombastisch, donnernden Einsatz des Orchesters. Getragen wird dieser von majestätischen Signalen der Hörner und Trompeten – so jedenfalls die Partitur. In der Aufführung fehlt diesen aber fast durchgängig die Konsequenz. Was forte oder sogar fortefortissimo klingen soll, wirkt oft wie mezzoforte. Lautstärke, Kraft, Ausdruck – das alles lässt zu wünschen übrig. Es hilft auch nicht, dass das Schlagzeug hier über weite Strecken arg zurückhaltend erscheint. Hier setzt Ingo Metzmacher nach Meinung vom Rezensenten leider die falschen Schwerpunkte.
Für das Publikum reicht es, dieses Finale mit tosendem Applaus zu feiern. Sonderapplaus erhalten insbesondere die Hörner, Klarinetten und Streicher; letztere brachten über den Abend hinweg auch mit die beste Leistung. Und doch; es fehlte etwas. Mehr Konsequenz, Liebe fürs Detail und zum Ende hin auch mal Mut, bis an die Grenzen zu gehen, hätten hier sicher ein noch besseres Ergebnis erzielt. So blieb das Ganze insgesamt doch eher eine mittelmäßige Darbietung mit Luft nach oben.
Das Konzert wurde auch im Livestream übertragen und ist zum Nachhören online verfügbar:
https://www.youtube.com/watch?v=Oc5cd4ftEmk
Daniel Janz, 27. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
NDR Elbphilharmonie Orchester, Ingo Metzmacher, Elbphilharmonie Hamburg, 10. Februar 2019
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