Roderick Cox © roderickcox.com
WDR Happy Hour
WDR Sinfonieorchester
Roderick Cox, Dirigent
Jan Malte Andresen, Moderation/WDR 2
Samuel Barber – Symphony in One Movement op. 9 (1. Sinfonie)
Jean Sibelius – Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82
Kölner Philharmonie, 29. November 2024
von Daniel Janz
Gäste haben es in Köln mitunter nicht leicht
Es ist mal wieder so weit: Klassik um 7, die so genannte „Happy hour“ in Köln, die mit Moderation und Freibier auch klassikfernes Publikum in die Philharmonie lockt, um es mit einigen Juwelen der Orchesterkultur zu verwöhnen. Auch heute hat sich das WDR Sinfonieorchester dabei wieder zu einem besonderen Angebot hinreißen lassen und mit Roderick Cox (36) aus Macon, Georgia (USA) nicht nur einen internationalen Newcomer eingeladen. Mit Samuel Barbers ersten Sinfonie steht neben Sibelius fünfter Sinfonie auch ein äußerst seltenes Werk auf dem Programm.
Künstlerisch erste Liga – musikalisch eher unergiebig
Barber schrieb seine erste Sinfonie 1935/36 in Rom, wo er sie auch seinem Studienkollegen und späteren Liebhaber Gian Carlo Menotti widmete. Tatsächlich ist der Eindruck tonal und die Tonsprache leicht verständlich im Hollywood-Sound der 1920er Jahre gehalten. Einzig die Bezeichnung der – über den Abend sonst sehr unterhaltsamen – Moderation als „recht fröhlich“ verwundert. Ja, diese Sinfonie ist nicht so düster, wie Barbers inzwischen längst ausgelutschtes „Adagio for Strings“. Aber spätestens das Ende klingt doch sehr nach tiefem, tristem Moll.
Auch sonst überwiegen vor allem aufbrausende, dramatische Klänge, bei denen man vergeblich nach Eingängigkeit sucht. Diese etwa 20 Minuten lange Sinfonie zieht sich besonders zu Anfang. Denn sie hat zwar spannende Elemente und besticht durch Abwechslungsreichtum. Wiederkehrende Motive und ein roter Faden fehlen jedoch. Stattdessen sind es Details, die punktuell das Interesse wecken, wie die tonangebende Trompete, die Bratschen, die unisono mit dem Englischhorn durch eine rührselige Passage führen, das Surren der Streicher, das fast hektisch die Grundstimmung bestimmt oder ungewöhnliche Klangfarbenkombinationen, wie Harfe und Pauke.
Es verwundert, warum Barber diese Komposition in nur einen Satz niederschrieb, obwohl sie sich in 4 Abschnitte unterteilt. 3 von ihnen sind doch so charakteristisch, dass man sie auch klar zueinander abgrenzen kann, wobei die letzten beiden am meisten überzeugen. Der vorletzte startet auf einem Streicherteppich wie auf einer Blumenwiese an einem ruhigen, nächtlichen See und leitet über ein herrlich gespieltes Oboensolo in ein musikalisches Aufbäumen, das eigentlich den perfekten Schluss ausmacht. Schade, dass Barber hier abbricht und noch einmal von vorne ansetzt. Das zweite Auftürmen bis in den tatsächlichen Schluss wirkt doch schwächer.
Und dabei geben Musiker und Dirigent Roderick Cox hier wirklich alles. Ihnen merkt man den Spaß an, mit dem sie hier bei der Sache sind. Doch hat Cox es ihnen mit der Wahl dieses Stücks für die erste Hälfte des Konzerts nicht unbedingt leicht gemacht. Technisch gelingt diese nicht immer geradlinige Komposition unter seinen Händen zu einer Glanzleistung. Dirigent und Orchester müssen sich jedenfalls nicht vorwerfen lassen, dass sie Möglichkeiten liegengelassen hätten, diesem Werk ihren eigenen Anstrich zu verpassen. Musikalisch aber gibt es überzeugendere Stücke.
Sibelius: Gefährlich nahe an einer Routine-Nummer
Die Musik von Jean Sibelius ist dazu geradliniger, spricht aus ihren eigenen Themen. Der erste Satz seiner Fünften ergänzt sich gut mit dem gefühlt ziellosen Umherirren bei Barber. Und doch können einzelne Motive hier die Richtung so klar vorgeben, dass man sich weniger verloren fühlt. Das liegt auch an einer wahnsinnig plastischen Ausgestaltung durch Dirigent Cox. Spätestens hier zeigt sich, dass der Gewinner des „Sir Georg Solti Conducting Award 2018“ seiner Reputation mehr als gerecht wird.
Faszinieren können die Künstler besonders im zweiten Satz. Ob ins Forte oder ins leiseste Pianissimo; unter der klaren Körpersprache von Cox weben die wunderbar samtenen Streicher mit viel Gespür für den Moment ihre gezupften Motive zu einem Teppich aus Charme und Sensibilität zusammen. So gut hört man Sibelius selten!
Im letzten Satz wird dann aber offensichtlich, dass Sensibilität und Feingefühl sich nicht immer auch auf Dramatik übertragen lassen. Einerseits neigt dieser Satz dazu, sich in Motivfetzen aufzudröseln – manch ein Orchester verdrischt da schon mal die Phrasen oder zerstückelt die Motive. Das passiert heute glücklicherweise nicht, denn die klare Vision von Cox hält diesen Satz zusammen. Den Durchblick, mit dem er das Werk zu Beginn gestaltet hat, kann er auch bis zum letzten Ton aufrechterhalten.
Doch was fehlt, ist die Mitarbeit der Musiker. Cox muss gefühlt auf dem Pult sehr ackern, um dieses Orchester aus seinem Trott zu holen. So können die Hörner mit ihrem wohligen Edelklang zwar das Schwanenmotiv in bekannter Form einführen, bleiben an mancher Stelle aber doch etwas unsicher. Auch fehlt der Zug bis zu derselben Klanggewalt, die dieses Orchester bei Barber bereits offenbart hatte. Es wirkt, als wären sich gerade die Bläser in ihrer Stellung zu gemütlich, um noch die letzte Konsequenz an Kraft und Lautstärke aufzubringen.
Trotz durchweg überzeugender Arbeit der Streicher fehlt damit insgesamt doch etwas, um dieses Finale zum durchschlagenden Erfolg zu krönen. Würde da ein Dirigent von geringerem Format stehen, hätte das auch zur Wackelpartie werden können. Damit ist es auch dessen Verdienst, dass das Konzert schlussendlich zum gefeierten Erfolg wird. Das Publikum entlässt die Künstler jedenfalls zufrieden in den Feierabend. Für den Rezensenten ist aber klar: Gewinner des Abends ist für ihn der Gast aus Georgia. Und das, obwohl (oder gerade weil) er heute keine leichte Aufgabe hatte.
Daniel Janz, 30. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
30 Jahre Tetzlaff Quartett Kölner Philharmonie, 26. November 2024
Mahler, Sinfonie Nr. 3, WDR, Măcelaru Kölner Philharmonie, 1. November 2024
Luxembourg Philharmonic Orchestra, Gustavo Gimeno Kölner Philharmonie, 27. Oktober 2024
Ich habe Roderick Cox in der Volksoper Wien erlebt. Mit 98%-iger Wahrscheinlichkeit muss es Brahms gewesen sein. Seine erste Symphonie, die gleichzeitig seine mächtigste ist. Die restlichen drei stehen nicht unbedingt auf meiner Best-of-Liste. Dafür allerdings die Vorstellung, die er mit dem Orchester der Volksoper Wien geliefert hat. I’d never heard of the guy before but it was impressive.
Jürgen Pathy