Musikverein Wien: Kammermusikabend mit Brahms’ Geist überzeugt

Wiener Brahms Trio,  Musikverein Wien, Brahms-Saal

Foto: Musikverein Wien / Müller
Musikverein Wien,
Brahms-Saal, 5. April 2018
Wiener Brahms Trio

Gustav Mahler, Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello a-Moll (Fragment)
Johannes Brahms, Quintett für Klavier, zwei Violinen, Viola und Violoncello f-Moll, op. 34
César Franck, Quintett für Klavier, zwei Violinen, Viola und Violoncello f-Moll

von Thomas Genser

Dass das Wiener Brahms Trio im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins Brahms spielt, erscheint zunächst sehr stimmig. Anderen mag dies als verspäteter Aprilscherz erscheinen. Die Leistung des Trios um Violinist Boris Kuschnir und der geladenen Gastmusiker überzeugt an diesem Frühlingsabend – wenn auch mit Makeln und einer unglücklichen Panne.

Der Reihe nach. Neben Kuschnir und Cellist Orfeo Mandozzi betreten außerdem Itamar Golan (Klavier) und Lawrence Power (Viola) die Bühne. Ersterer stammt aus Israel und übernimmt den Klavierpart der leider verhinderten Doris Stančul, letzterer ist Engländer und regelmäßig als Solist mit führenden Orchestern im angelsächsischen Raum zu hören. Mit leichter Verspätung beginnt das gut besuchte Konzert.

Den Anfang machen die vier Musiker mit dem einzigen erhaltenen kammermusikalischen Werk von Gustav Mahler. Das Quartett für Klavier, Violine, Viola und Cello a-Moll zählt zu Mahlers Jugendwerken und ist selten im Konzertsaal zu hören. Nach einem dialogartigen, vielstimmigen Beginn wird das markante Thema immer aufs Neue in kraftvollem unisono dargeboten. Die Musik ist dunkel, getrieben, schmerzvoll.

Im Mittelpunkt steht Boris Kuschnir, der seine Solopassage auf das Vollste auskostet, wobei das großzügig eingesetzte Vibrato eher entbehrlich ist. Nun handelt es sich hierbei sicherlich um eine Geschmacksfrage. Doch ist die Intensität, mit der der ukrainische Geiger seine Finger beben lässt, sogar für dieses ausdrucksvolle Stück fast zu pathetisch. Dem Publikum aber gefällt es: Auf den kurzen, unerwarteten pizzicato-Schluss folgt langer Applaus.

Im Anschluss an die kurze Umbaupause nimmt als fünfter Mann der gebürtige Litauer Julian Rachlin mit seiner Geige am vorderen Bühnenrand Platz. Schließlich kommt ein Werk des Namensgebers des Trios zum Klingen. Brahms konzipierte sein Klavierquintett f-Moll op. 34 ursprünglich als Streichquintett, über einen Umweg als Sonate für zwei Klaviere fand das Werk 1864 zu seiner heutigen Form. Das Stück ist hochkomplex und fordert den Musikern sichtlich große technische Anforderungen  und rasch wechselnde Ausdruckscharaktere ab, was sie auch meistern.

Der Einfluss des Volksliedes, der bei Brahms bekanntlich sehr stark war, ist im zweiten Satz eindeutig zu hören. In starkem Kontrast zum Kopfsatz erwachen hier Assoziationen zum Wiener Walzer, zur Heurigenmusik. Dagegen können auch die gelegentlichen Moll-Eintrübungen nichts ausrichten. Die Spielfreude in diesem Satz sieht man allen an, besonders Cellist Madozzi. Während sich Golan, Kuschnir und Power sich zurückhalten, spielt Rachlin mit ganzem Körpereinsatz.

Ebenso körperbetont geht es im Scherzo zu. Anfangs meditativ, dann fanfarenartig, später diabolisch-feurig federt die Musik. Zum Höhepunkt, Rachlin spielt in allerhöchster Lage, reißt ihm die E-Saite seiner Stradivari. Kurzes Entsetzen. Stille. Nach einer Entschuldigung, höflichem Applaus und einem Wechsel der Geige beginnt der Satz von Neuem. Der Geist von Brahms schwebt aber immer noch über der Bühne: Rachlins Instrument will sich nicht recht in den Klangkörper einfügen. Er muss mehrmals nachstimmen, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Im Finale aber fällt dann jegliche Nervosität weg, der Applaus zur Pause ist lautstark. Neben Standing Ovations und Bravo-Rufen gehen auch einige Smartphones in die Höhe.

Nach der Pause wechselt man nach Frankreich. Mit dem dreisätzigen Klavierquintett f-Moll von César Franck steht eines der frühesten französischen Klavierquintette des 19. Jahrhunderts auf dem Programm. Dem dramatisch-passionierten Anfangsthema der Streicher werden sanfte Zwischenspiele vom Klavier gegenübergestellt. Golan am Klavier wird präsenter. Stand er zuvor noch mehr im Hintergrund, brilliert er nun in den lyrischen Episoden des Satzes. Dass dies nicht immer leicht fällt, liegt aber in der Natur des Werkes.

Selbst der Pianist der Uraufführung, niemand geringerer als Camille Saint-Saëns, übte starke Kritik an dieser Komposition. Harmonische Kühnheiten und die blockartige Satzweise, die an Orgelregister erinnert, tragen dazu bei. Der klagende zweite Satz wird con molto sentimento vorgetragen, stellenweise schimmert aber versöhnliche Romantik durch. Häufige Wechsel zwischen Dur und Moll hinterlassen einen bittersüßen Nachgeschmack. Großes Lob hierbei an den Pianisten Golan.

Im Finale überschlagen sich die Streichertremoli wie Wellen, während das Klavier den einzig sicheren Fels in der Brandung darstellt. Die überirdische Stimmung des Satzes wird spürbar, auch wenn den Linien ein wenig Klarheit fehlt. Trotzdem: Applaus, Jubel und Zugaben! Und Brahms’ Geist kann beruhigt in seine Büste am linken Rand des Saales zurückkehren.

Thomas Genser, 6. April 2018, für
klassik-begeistert.at

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