Alain Altinoglu © HR Ben Knabe
Nicht viel mehr als zwei Stunden Dienst. Dirigent Alain Altinoglu und die Wiener Philharmoniker bleiben vieles schuldig. Die Momente, wo Berlioz’ „Symphonie fantastique“ glänzen könnte, lässt der Franzose liegen. Die Notwendigkeit zwei weitere Werke zu spielen, erschließt sich nicht: Bruno Hartls „Ballade für großes Orchester“ und André Jolivets Fagottkonzert. Solistin Sophie Dervaux lässt erst bei der Zugabe aufhorchen.
Wiener Philharmoniker
Alain Altinoglu, Dirigent
Sophie Dervaux Fagott
Bruno Hartl
April. Ballade für großes Orchester, op. 39
André Jolivet
Konzert für Fagott, Streicher, Harfe und Klavier
Hector Berlioz
Symphonie fantastique: „Épisode de la vie d’un artiste“, op. 14
Musikverein Wien, 24. November 2024
von Jürgen Pathy
„Du musst nicht bleiben“, meint meine Gesprächspartnerin. Am Telefon, 400 km von Wien entfernt. „Wenn es langweilig ist, kannst du ja schon früher gehen“. Nach der ersten Hälfte keimt aber noch Hoffnung auf. Hector Berlioz, Symphonie fantastique, Programmmusik vom Feinsten. Damit könnten Altinoglu und die Wiener Philharmoniker das Ruder noch herumreißen. Denkste! – weit gefehlt.
Fragwürdige Programmauswahl
Waren zu Beginn noch die Kompositionen etwas lähmend. Bruno Hartl, Gott hab ihn selig. Ex-Paukist der Wiener Philharmoniker, letztes Jahr ist er verstorben. Dem ist mit seiner „Ballade für großes Orchester“ nicht der große Clou gelungen. Französischer Impressionismus, eine Brise Richard Strauss, un peu Filmmusik. „Ja eh – und jetzt“, denkt man sich – ein Werk, das zwar abrupt in viele Richtungen abbiegt. Aber nichts Revolutionäres, nichts Besonderes, was nicht schon vorher da gewesen ist.
André Jolivets Fagottkonzert reißt auch nicht gerade vom Hocker. Sophie Dervaux, die meistert alles virtuos, gewiss. Aus den Reihen der Wiener Philharmoniker stammt auch die junge Französin, die sich dieser Herausforderung stellt. Musikalisches Highlight erlebt man nicht. Wie ein Saxophon, nur: no groove, no swing. Begleitmusik, die am Frühstückstisch ebenso laufen könnte.
Harte Worte, ich weiß. Überhaupt, wenn man vom weltbesten Orchester spricht. Aber: Mon Dieu, zieht sich dieses Abonnementkonzert! Mühsam, keine Highlights. Noch dazu, weil die Wiener Philharmoniker einfach nur Dienst nach Plan schieben. Kaum Differenzierungen, wenig Kontraste. Farben, Schattierungen, atmosphärische Unterschiede, sind bei der ganzen Matinee nicht zu vernehmen. Das liegt zum einen an Altinoglu – keine Frage. Zum anderen, das muss man beinhart klarstellen: an der Tagesform des für viele „weltbesten Orchesters“.
Altinoglu lässt alle Chancen aus
Selbst wenn die Philharmoniker ihm mal den Ball zu spielen. Zwei, drei große Chancen hätte es gegeben, nutzt Altinoglu sie nicht. Zum Ende des 1. Satzes der „Symphonie fantastique“ zum Beispiel. Endlich reißen sich die Primgeiger am Riemen, setzen zu harmonischer Klangeuphorie an, da fetzt Altinoglu drüber, als wäre dieser lange Streicherbogen in Dur irgendeine beiläufige Melodie. Kollegen hätten daraus ein Highlight geformt. So, als würde die Sonne im Konzertsaal aufgehen.
Oder im Adagio, 3. Satz, F-Dur, weitere Chancen. Breiter Atem, einige Anhaltspunkte, um die Stärken der Wiener Philharmoniker auszuspielen. Diesen zuckersüßen, feinen Klang, seidig, der auf derart viel Klangschönheit ausgelegt ist, wie bei kaum einem anderen Orchester. Leider wieder nicht genutzt. Komplette Irritation, Verwirrung teilweise auch im Orchester. 6/8 ist dieses Adagio notiert. Luftiger, mit weniger Gewicht MUSS das erklingen. Zumindest nach Wiener Klangstil, wie man ihn hier in Wien noch lehrt.
Die Wiener Philharmoniker können deutlich mehr
Eine Sonntagsmatinee, man muss es leider sagen: für die Würst. Radio Ö1 hat’s live übertragen. Kann man sicher nachhören. Sollte jemand Veto einlegen: Bitte, sehr gerne! Möchte nur zu Bedenken geben: Aufnahme und live sind zwei Paar Schuhe.
Dass die Wiener Philharmoniker Noten korrekt und sauber spielen können, steht nicht zur Debatte. Dass man aber mehr als ein lustlos runtergespultes Konzert erwarten darf, definitiv. Die Uhrzeit ist natürlich fatal: Sonntag, 11 Uhr morgens, da schläft der Großteil Wiens noch. Mehr als ein undifferenziertes Herunterspulen der Noten darf mann dennoch erwarten.
Bleibt somit nur ein Highlight, dass mir diesen Sonntag veredelt: das Hirschragout mit Semmelknödel. Im Hotel Restaurant „Zum Ochsenkopf“, am Rande der Stadt. Kann ich jedem nur ans Herz legen, der klassisch-österreichische Küche liebt. Und – pardon, beinahe wär’s untergegangen: Die Zugabe, bei der Fagottistin Sophie Dervaux zumindest aufhorchen lässt. Paganini /Liszt Etüde Nr. 6, bei der viele mitschwingen. Ein Gassenhauer – kennt man einfach.
Jürgen Pathy, 25. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Midori, Nelsons Wiener Konzerthaus, 18. Oktober 2024