Riccardo Muti © Julia Wesely
So exquisit wie an diesem Abend habe ich Dvořáks Neunte noch nie gehört. Wieder einmal bewegten sich Dirigent und Orchester auf gleicher Welle, waltete beim Musizieren eine große Sensibilität wie in der Kammermusik, und davon profitiert freilich ein Werk, das von so vielen Soli in den Holzbläsern durchdrungen ist wie dieses.
Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie KV 551 „Jupiter“
Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 9 op. 95 „Aus der Neuen Welt“
Wiener Philharmoniker
Musikalische Leitung: Riccardo Muti
Musikverein, Wien, 18. Februar 2025
von Kirsten Liese
Als Berliner kann man die Wiener einfach nur beneiden! Allein in einem Monat dirigiert Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker sechs Konzerte mit drei unterschiedlichen Programmen, man könnte schon fast von einem Muti-Festival reden.
In Berlin gastiert der Maestro in der ganzen Spielzeit nicht ein einziges Mal, das einzige Konzert, zu dem ihn die Berliner Philharmoniker offenbar eingeladen haben, ist das diesjährige Europakonzert am 1. Mai 2025, aber das ereignet sich in Bari.
Nach drei umjubelten Abenden mit Schuberts „Tragischer“ und Bruckners Siebter, die mir diesmal leider nicht vergönnt waren, standen in dem von mir besuchten Konzert Mozarts Jupiter-Sinfonie und Dvořáks Neunte „Aus der Neuen Welt“ an, und letztere darf freilich auf der anstehenden gemeinsamen Konzertreise nach New York, wo alle drei Programme in der Carnegie Hall noch einmal geboten werden, nicht fehlen.
Prächtiger Mozart-Klang
Aber zunächst zum Mozart, den die meisten heutigen Dirigenten ja bevorzugt im Gewand der historisch informierten Aufführungspraxis darbieten, was dann zwar oftmals der Phrasierung, stimmlichen Transparenz und Klangrede zu Gute kommt, klanglich aber tönt diese Form des Musizierens doch oft sehr bauchig, mitunter auch überzogen ruppig, zumal bei überhetzten Tempi.
Mutis Mozart tönt freilich ganz anders, voller, saturierter, strahlender und kantabler, wie es freilich schon alleine unter Einsatz ventilloser Naturhörner kaum möglich wäre. Unter ihm spielen die Wiener wunderbare Linien im besten Legato. Und geben dem majestätischen Stolz, der die ersten Takte des Kopfsatzes bestimmt, gebührend Raum.
Die abrupten dynamischen Wechsel von Forte zu Piano, wie sie sich von den ersten acht Takten an durch die Sinfonie ziehen, zeigt der Maestro sehr plastisch an, an einer exponierten Stelle sogar einmal mit vertikalen Armbewegungen von oben nach weit unten bis in die Hocke. Wunderbar leichtfüßig und elegant dann das tänzerische Seitenthema in den ersten Violinen, das so simpel anmutet, in der zärtlichen Konsistenz aber selten zu haben ist.

Plastische Dirigierbewegungen
Ansonsten dirigiert Muti wie gewohnt sparsam und unaufwendig. Dabei fasziniert es stets ein aufs andere Mal, was Muti den Musikern anzeigt. Nicht einmal habe ich ihn den Takt schlagen sehen, was zumal bei einem Spitzenorchester wie den Wienern auch nicht vonnöten erscheint, an manchen Stellen senkt er gar die Arme, lässt die Musik laufen. Seine Klasse zeigt sich vielmehr darin, wie plastisch er die Musik formt, Akzente mit einem nach oben gerichteten Zeigefinger exponiert, mit schnellen, kreiselnden Fingerbewegungen einen Triller imaginiert oder energisch wie mit einem unsichtbaren Bogen durch die Luft streicht, wenn zweite Violinen und Bratschen kräftiger mit ihren Mittelstimmen hervortreten sollen.
Vor allem aber kommuniziert er über vielsagende Blicke, mal freudvoll, mal schelmisch, mit den Musikern. Und das durch alle Sätze hindurch im idealen Zeitmaß, so dass auch die kleinsten musikalischen Einheiten wie die drei kurzen Achtnoten nach der chromatischen Abwärtslinie im Menuett nicht untergehen.
Dvořáks Neunte
Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ habe ich zuletzt im Oktober 2020 in Bologna unter Muti gehört, weiland in einer sehr berührenden Wiedergabe mit seinem Orchestra Giovanile Luigi Cherubini – nur wegen Corona und Abstandsregeln in einer hässlichen, viel zu großen Sporthalle.
Im Musikverein mit seiner erstklassigen Akustik lassen sich die exzellenten Qualitäten freilich noch ganz anders ermessen.
So exquisit wie an diesem Abend habe ich sie – trotz eines kleinen, kaum erwähnenswerten Patzers im Horn – noch nie gehört. Denn wieder einmal bewegten sich Dirigent und Orchester auf gleicher Welle, waltete beim Musizieren eine große Sensibilität wie in der Kammermusik, und davon profitiert freilich ein Werk, das von so vielen Soli in den Holzbläsern durchdrungen ist wie diese Neunte.
Natürlich betrifft das allen voran die sehnsüchtige, zu Herz gehende, vom Englischhorn gespielte Melodie im Largo, die dank Wolfgang Plank zutiefst berührte, der sie so inniglich und wehmutsvoll anstimmte wie nur denkbar.

Mit weiteren trefflichen Einzelleistungen empfahlen sich Flötist Karl-Heinz Schütz, schon im ersten Satz mit einer fröhlichen Melodie im Rampenlicht und mit seiner schönen Tongebung eine besondere Empfehlung, sowie in den folgenden Sätzen Paul Blüml (Oboe) und Matthias Schorn (Klarinette).
Emotionale Wechselbäder wie in einem Kneipp-Bad
Wie zuvor in der Mozartsinfonie ist die Spielfreude jedes Einzelnen groß, dies freilich auch unter dem Eindruck der zahlreichen herrlichen fernöstlichen und volkstümlichen Klänge, die sich durch Dvořáks bekanntestes Werk ziehen. Jedes Instrument bis hin zu Triangel und Pauke hat seinen Auftritt, bis in kleinste Motive und Überleitungen hinein ziselieren Muti und die Wiener alles filigran aus. Dabei geht es einem wie einem Kneippbad zwischen wechselnden heißen und kalten Gewässern, fühlt man sich mal aufgewühlt in Momenten höchster Dramatik, dann wieder geborgen wie in Abrahams Schoß unter dem Eindruck von Trost, Zärtlichkeit und Hoffnung.
Allein schon von solchen Programmen, wie Muti und die Wiener sie für ihre Tournee zusammengestellt haben, kann man in Berlin nur träumen, bevorzugen die Orchester hier doch eher kleinteilige Programme mit überwiegend weniger bekannten Werken, abseits „ausgetretener Pfade“ wie es oft heißt.
Dagegen beweisen Konzerte wie dieses unter Muti, dass sich geniale Musik nicht abnutzt, egal wie oft sie reproduziert wird. Es kommt darauf an, wie lebendig sie erlebt wird, wie stark die Musizierenden einen Zugang zu ihrem Herzen finden, um die Stücke gefühlsintensiv zu durchleben.
Das gilt freilich auch für Schuberts große C-Dur Sinfonie, die in den letzten drei Muti-Konzerten den Hauptblock des Abends bildet.
Kirsten Liese, 20. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Asmik Grigorian, Richard Strauss, Vier letzte Lieder Musikverein Wien, 18. Jänner 2025