Banditen-Galopp mit Schuss: Auch die philharmonische Pflichtpension kann Rainer Küchls stürmische Strauss-Begeisterung nicht bremsen

Wiener Ring-Ensemble, Silvesterkonzert  Musikverein Wien, Brahms-Saal, 30. Dezember 2024

Brahmssaal © Wolf- Dieter Grabner

Vielleicht war’s die Entdeckung schlechthin des alten Jahres: Wenige Meter vom Goldenen Saal stürzt das Wiener Ring-Ensemble um Altphilharmoniker Rainer Küchl den Musikverein in den Drive dieser lebendigen Strauss-Kunst. Dieser wunderbare Wiener-Walzer-Abend im Schrammelmusikstil samt philharmonischer Musikexzellenz steht dem weit begehrteren Neujahrskonzert um nichts nach!

Ehrlich gesagt, wenn ich einer Touristin raten würde, „Wo gibt’s guten Strauss?“, die logische Antwort wäre: „Beim Küchl!“  

Musikverein Wien, Brahms-Saal, 30. Dezember 2024

Wiener Ring-Ensemble

Rainer Küchl, Violine
Daniel Froschauer, Violine
Heinrich Koll, Viola
Stefan Gartmayer, Violoncello
Michael Bladerer, Kontrabass
Karl-Heinz Schütz, Flöte
Alex Ladstätter, Klarinette
Johann Hindler, Klarinette
Ronald Janezic, Horn

Werke von Johann Strauss (Sohn), Josef Strauss, Johann Strauss (Vater) und Eduard Strauss


von Johannes Karl Fischer

In der Neujahrskonzert-Kartenlotterie leer ausgegangen? Kein Problem! Nein, der goldene Saal am 1. Jänner wird’s nicht werden, stattdessen dieses eigentlich viel wienerischere Silvesterkonzert des Wiener-Ring-Ensembles im gleichsam wunderbaren, mit Blumen und Bändern fein geputzten Brahms-Saal. Jenseits der Touristenmengen schwingen hier die Strauss-Walzer wie in einer feinen Kaffeehaus-Atmosphäre mit brummendem Bass und passionierter Solo-Geige durch den Saal. Nun ja, selbst die Pflichtpension kann die mit Herzblut in dieser Musik lebenden (Alt)-Philharmoniker nicht bremsen…

Rainer Küchl, genau, der langjährige Philharmoniker-Konzertmeister, war schon eine Wiener Institution, da waren meine Eltern noch Stehplatz-Besucher. Ein bisschen, naja, rauh schmettert er die Melodien von den Saiten, stürzt damit den Saal im stürmischen Tanz in die Polkas und Quadrillen. Mit leichter U-Musik-Infusion schwingt der Drive dieser wunderbar wienerischen Kunst so lebendig wie zu Strauss-Zeiten!

„Neue Melodien-Quadrille“, da fliegt einem gleich der Rigoletto-Ball-Klang um die Ohren. Moment, das gab’s doch gestern erst in der Staatsoper? Richtig, Punktlandung, so soll’s sein. Statt Meisterwerke der hohen Tonkunst im unterhaltsamen Tanzstil kommen hier die trendigsten Opernmelodien im altphilharmonischen Saus und Braus zum Klingen! Fehlt nur noch die Melange…

Locker leben auch die Walzer, bei den „Morgenblättern“ oder den „Wiener Bonbons“ wird die eine oder der andere vielleicht die Melodie mitsummen können. Stören wird’s sicher auch nicht, gehört alles dazu. Im Café Dommayer hät’s wohl auch kaum jemand gemerkt. Die Holzstühle des Brahms-Saals fangen schon fast an im Dreivierteltakt mitzutanzen, so bekommt man den Geist dieser Tanzmusik in der Seele zu spüren!

Zum Highlight des Abends gehören natürlich auch Michael Rots Arrangements der nicht in ihrer Urfassung aufgeführten Werke. Urfassung, was heißt das hier eigentlich? Ein Symphonieorchester wird in den Strauss’schen Kaffeehäusern sicher nicht gesessen haben und die meisten seiner Walzer wurden auch nicht im Konzertsaal erstaufgeführt… Egal, zwei Geigen, eine Bratsche, eine Flöte, zwei Klarinetten, dazu noch Cello, Horn und Kontrabass, nemma einfach des, was grod do is, so muss es sein!

A bisserl Improvisations-Charakter hat’s schon, wenn bei der wunderbar fetzigen Schlager-Polka „Ohne Sorgen“ plötzlich der Kontrabass den im Ohr klingenden Paukenschlag übernimmt. Eigentlich lebt diese Musik von solchen musikalischen Insider-Scherzen! Und natürlich von der Konfetti-Kanone, die am Ende der Zugabe das alte Jahr festlich verabschiedet.

Habe ich im goldenen Saal auch schon länger nicht mehr gesehen. Könnte man hier nicht im „Banditen-Galopp“ auch die knallenden Platzpatronen – früher musikalischer Stammwitz bei den Philharmonikern –zurückbringen? Musikalisch hatte das mindesten genauso viel Schuss wie Abbado, der hat’s ja gleich mehrmals krachen lassen.

Natürlich steht hier ein bisschen ein Schlager nach dem nächsten auf dem Programm. Warum? Weil’s gute Musik ist, nicht sonst. Im Sperl-Gallopp scheint das Café-Sperl schon fast in den Saal zu tanzen, die Schnellpolkas am Ende des Programms bringen einen Hauch spaßige Hausmusikstimmung in den Saal.

Kaum Promis, kein Fernsehen, einfach nur Strauss. Wenn ich eine Bitte hätte: A bisserl Carl Michael Ziehrer oder Constanze Geiger würde dem Programm auch nicht schaden! Ehrlich gesagt, wenn ich einer Touristin raten würde, „Wo gibt’s guten Strauss?“, die logische Antwort wäre: „Beim Küchl!“  

Johannes Karl Fischer, 31. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wiener Ring-Ensemble
Rainer Küchl, Violine
Daniel Froschauer, Violine
Heinrich Koll, Viola
Stefan Gartmayer, Violoncello
Michael Bladerer, Kontrabass
Karl-Heinz Schütz, Flöte
Alex Ladstätter, Klarinette
Johann Hindler, Klarinette
Ronald Janezic, Horn

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert