Wenn Wien in Frankfurt aufschlägt: Ein Abend zwischen Glanz, Grübeln und echten Klangmomenten

Wiener Symphoniker, Petr Popelka, Leitung, Lukas Sternath, Klavier  Alte Oper Frankfurt, 4. November 2025

Foto © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 1 D-Dur „Der Titan“

Lukas Sternath, Klavier

Wiener Symphoniker
Petr Popelka, musikalische Leitung

Alte Oper Frankfurt, 4. November 2025

von Dirk Schauß

Manchmal kündigt sich ein Konzert so an, als könne gar nichts schiefgehen: Wiener Symphoniker, Wiener Pianist, Wiener Programm. Beethoven und Mahler – mehr Wien geht kaum.

Am 4. November in der Alten Oper Frankfurt schien also alles angerichtet für einen musikalischen Heimvorteil. Das Orchester feiert sein 125-jähriges Bestehen, der junge Lukas Sternath gilt als spannender Pianist seiner Generation, und Petr Popelka, dieser hellwache, analytische Dirigent, hält die Fäden in der Hand. Und ja – es wurde ein besonderer Abend. Nur nicht ganz so, wie man vielleicht gehofft hatte.

Der Saal war gut besucht, die Stimmung neugierig. Lukas Sternath kam ganz ruhig auf die Bühne, kein großer Auftritt, kein Pathos. Ein kurzer Gruß, ein Blick zu Popelka – und dann: Beethoven.

Beethovens erstes Klavierkonzert ist kein leichtes Stück, aber es trägt ein Lächeln im Kern, dieses jugendlich ungestüme, das noch mehr tanzt als grübelt. Sternath aber spielte es mit pedantischer Genauigkeit und technisch jederzeit souverän. Jeder Ton saß, der Anschlag war fehlerfrei, die Läufe perlten wie in einem gut geölten Mechanismus – nur das Herz blieb draußen vor der Tür.

Im ersten Satz fehlte somit der Schalk, dieses Aufblitzen von Schrulligkeit im Wechsel der Gefühle, das Beethoven immer wieder hineinschreibt. Sternath schien zu sehr auf Kontrolle bedacht, zu wenig auf einen kontrastreichen Dialog mit dem Orchester. Petr Popelka hielt die Wiener Symphoniker straff, manchmal zu straff – die rhythmische Elastizität, die diese Musik braucht, blieb auf der Strecke. Alles war schön, ja, aber dadurch auch fad und dabei immer wieder rhythmisch vage.

Lukas Sternath, Wiener Symphoniker © Andreas Etter

Der zweite Satz, das Largo, hätte eine kleine Welt aus Träumen und Fragen öffnen können. Stattdessen: kühle Schönheit. Es entstand ein Eindruck, Sternath wolle um jeden Preis Distanz wahren, als dürfe kein Gefühl den Klang trüben. Nein, dieser Vortrag, so makellos er gespielt wurde, wärmte die Seele nicht. Und das Finale – das Rondo, das doch eigentlich funkelt und scherzt – klang brav und glatt. Von Beethovens aufbrausendem Humor war nichts zu hören, was bedauerlich war. Auch die Wiener Symphoniker agierten allzu gedämpft und wieder an der kurzen Leine geführt.

Nach reichlichem Applaus spielte Lukas Sternath als Zugabe Schubert, das Impromptu Nr. 3 Ges-Dur op. 90. Auch hier technisch sicher, aber ohne jene Innigkeit, die Schubert so sehr braucht. Alles war richtig. Nur richtig ist nicht immer bewegend. Und wenn die Dynamik und die Artikulation eher die Einförmigkeit kultivieren, dann bekommt die Musik eine nicht beabsichtigte Freudlosigkeit, die sich sogleich auch im reduzierten Applaus des Publikums zeigte.

Lukas Sternath, Wiener Symphoniker © Andreas Etter

Nach der Pause dann Gustav Mahler. Und da änderte sich die Luft im Saal – schlagartig, geradezu greifbar. Petr Popelka, ein Dirigent mit klarer Handschrift, ließ seine Musiker erst einmal atmen. Die Eröffnung – dieses geheimnisvolle A in den vielen sinkenden Quarten, das wie aus weiter Ferne kommt – war fein gezeichnet und intim. Aber die Naturstimmungen, die Mahler so kunstvoll entwirft, blieben eher Skizze als Erleben. Erst mit dem großen Aufschwung, diesem Sonnenaufgang, nahm die Musik packende Gestalt an. Nun konnten und durften die Wiener Symphoniker auftrumpfen – und sie taten es mit einer Vehemenz, die den Beethoven-Teil wie eine ferne Erinnerung wirken ließ.

Besonders das Schlagzeug, das Mahler so wichtig war und das oft genug gedämpft wird, ließ Popelka hier krachen. Die drei Beckenschläge im ersten Satz hatten genau den sonnigen Glanz, der Mahler vorgeschwebt haben dürfte – hell, strahlend, fast schon grell in ihrer Präsenz. Sie rissen den Saal aus der Zurückhaltung und markierten den Moment, in dem Mahler endgültig die Oberhand gewann.

Im zweiten Satz legte das Orchester dann richtig los: der Ländler mit Schmackes, rustikal, beinahe schon trotzig und vor allem derb. Hier zeigte sich, was die Wiener Symphoniker können – diese erdige Klangfülle, das Tänzerische, das nie manieriert wirkt. Das Trio, das Herzstück, war dagegen weich und innig – endlich klang da etwas nach echter Emotion, nach Wärme.

Lukas Sternath, Wiener Symphoniker © Andreas Etter

Der dritte Satz wurde zum Höhepunkt des Abends. Das berühmte Kontrabass-Solo, trocken wie ein alter Witz, hinreißend in der Tongebung, eröffnete einen Trauermarsch, der zwischen Komik und Verzweiflung pendelte. Die Holzbläser, mit herrlich schrägem Charme, ließen ihre Klezmer-Anklänge funkeln. Da war plötzlich Leben, Witz, Seele – all das, was vorher gefehlt hatte. Als dann noch die böhmische Blaskapelle plump aufspielte, war dieses vielschichtige Bild, was Mahler ausbreitet, ideal getroffen. Mit feiner Lyrik führten die Streicher in die Welt seiner Lieder, gipfelnd in den tief traurigen Motiven der „zwei blauen Augen“.

Im Finale dann ein tönender Orkan. Popelka peitschte seine Musiker voran, manchmal zu sehr. Es war beeindruckend, keine Frage, aber auch ein bisschen überdreht, sodass die vorgeschriebene Luftpause beinahe überrannt wirkte. Das finale Accelerando wirkte dann auch arg aufgesetzt, als wolle man den Applaus unbedingt erzwingen. Die Blechbläser mussten zuweilen kämpfen, das Schlagzeug tobte sich berauschend aus, und am Ende stand eine Klangwand, die das Publikum überrollte. Spektakulär, aber nicht wirklich berührend.

Man ging mit dem Gefühl hinaus, eine großartige Leistung erlebt zu haben – und trotzdem fehlte das Geheimnis. Mahler, dieser Meister des Dazwischen, blieb diesmal zu sehr auf der Erde. Kein Blick hinter die Schleier, keine metaphysische Frage, nur ein sehr gut gespielter Mahler. Immerhin.

Und dann – die charmanteste Geste des Abends: Als Zugabe nach all dem Pathos eine Polka. Johann Strauss, „Unter Donner und Blitz“. Der große Meister des Leichten, in diesem Jahr wird sein 200. Geburtstag gefeiert, musste bei einem Wiener Orchester natürlich kommen. Wie ein Augenzwinkern nach dem großen Drama. Hier waren die Wiener Symphoniker ganz sie selbst – spritzig, präzise, witzig. Man merkte sofort: Das ist ihre Sprache, das ist ihr Puls.

Lukas Sternath, Wiener Symphoniker © Andreas Etter

Am Ende viel Applaus und Bravorufe, glückliche Gesichter. Und doch blieb bei manchen im Publikum dieser kleine Nachhall von „fast“. Fast groß, fast berührend… Vielleicht gerade das macht diesen Abend so echt: dass er nicht vollends gelungen war.

Denn was die Wiener mitgebracht haben, war weniger ein glänzendes Denkmal, sondern ein Stück lebendige Musikkultur – mit all ihren Brüchen, Eigenheiten, Temperamenten. Lukas Sternath, der noch auf der Suche nach seiner inneren Stimme scheint, und Petr Popelka, der alles im Griff hat, waren wie zwei Seiten derselben Münze: Struktur und Emotion, Kontrolle und Wagnis. „So klingt Wien“ hieß der Abend – und ja, so klang es: mal groß, mal leise, mal zu genau, mal zu schnell… Aber immer ehrlich.

Dirk Schauß, 04. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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