Das Frühlingsopfer Ensemble © S. Gherciu
Was vereinen für mich die Choreografien Bella Figura, Faun und Das Frühlingsopfer? Zartheit, Zerbrechlichkeit, Unschuld, Natürlichkeit. Mein Eindruck der Verletzlichkeit, der anrührenden Unschuld schwingt am Folgemorgen stark nach.
Wings of Memory
Jiří Kylián Bella Figura
Sidi Larbi Cherkaoui Faun
Pina Bausch Das Frühlingsopfer
Bayerisches Staatsballett
Nationaltheater, München, 10. April 2025
von Frank Heublein
An diesem Abend wird die Ballettwoche des Bayerischen Staatsballetts eingeläutet. Wings of Memory umfasst die drei Choreografien Bella Figura, Faun und Das Frühlingsopfer. Was vereint für mich die drei Stücke des Abends? Zartheit, Zerbrechlichkeit, Unschuld, Natürlichkeit.
Bella Figura ist eine Choreografie Jiří Kyliáns aus dem Jahr 1995, die er für das Nederlands Dans Theater in Den Haag kreiert hat. Die Choreografie spielt mit der Öffnung und Schließung des Tanzraumes. Schwarze Vorhänge verengen und weiten das Tanzfeld. Leiten das Licht. Unterlegt wird die Choreografie von zarter barocker Musik, allen voran Teilen aus Pergolesis Stabat Mater.

Ist das Zerbrechlichkeit? Eine Tänzerin gefangen? Umfangen? Sie löst sich aus dem Griff der hinter dem Vorhang sie umgreifenden Person. Und wird doch magnetisch wieder zurückgezogen in diese Umarmung. Es folgt ein Duett, das aufgebrochen wird. Oder betreibt der Tänzer Entscheidungsfindung zwischen den beiden Tänzerinnen, die ihn umschmeicheln? Die Beziehungen, die Kontakte sind einerseits flüchtig, ändern sich. Andererseits wenn, dann entsteht innige aufeinander eingehende Körperlichkeit.

Faun ist eine Choreografie von Sidi Larbi Cherkaoui, die am Theatre of London 2009 uraufgeführt wurde. Der Tänzer Faun António Casalinho lässt mich Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune erleben. Doch halt. Nach einigen Momenten geht die live vom Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Andrew Litton interpretierte Musik in elektronisch übertragene Musik Nitin Sawhneys. Die andere Musik ist das Signal, dass Faunin Margarita Fernandes die sommerliche Waldlichtung betritt. So jedenfalls interpretiere ich die Lichtchoreografie. Verspielt und innig annähernd ist das Duett der beiden, natürlich und unschuldig.

Pina Bauschs Frühlingsopfer erblickte erstmals 1975 das Licht der Bühne in Wuppertal. Die locker umschmeichelnden hautfarbenen Gewänder der Frauen. Für das Opfer ein rotes unprätentiöses Kleidchen. Schwarze Hosen bei den Männern. Kein Schnickschnack. So wirken die Tänzerinnen und Tänzer, ihre Bewegungen wie die Formationen, die sie bilden, vollkommen natürlich, als könnte das alles gar nicht anders sein. Ein stetiger Fluss, der für mich logisch, konsequent, rigoros nachvollziehbar in den Bewegungsabläufen ist. So klar und eindeutig wird die Musik in Bewegung und Empfindung geformt. Das ist Pina Bauschs große Kunst!
Gewagte Sprungfiguren. Kreise werden gebildet, alle gemeinsam ein großer. Häufiger dann Männer und Frauen getrennt. Wogend spuckt der Frauenkreis Kandidatinnen aus dem Inneren des Kreises hervor. Das rote Kleidchen wandert wie eine heiße Kartoffel durch die Hände der Frauen. Bis die Eine gefunden wird, es sich überstreift und sich durch und in einem energiegeladenen Solo opfert.
Meine innere Bewegtheit verstärkt sich über die Nacht, mein Eindruck der Verletzlichkeit, der anrührenden Unschuld schwingt am Folgemorgen stark nach.
Frank Heublein, 18. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm und Besetzung
Bella Figura
Choreographie Jiří Kylián
Musik Alessandro Marcello, Lukas Foss (nach Salomone Rossi), Giovanni Battista Pergolesi, Giuseppe Torelli, Antonio Vivaldi
Bühne und Lichtdesign Jiří Kylián
Anpassung Lichtdesign Kees Tjebbes
Kostüme Joke Visser
Technische Anpassung Bühne/Licht Eric Blom
Einstudierung Lorraine Blouin
Tänzerinnen Margaret Whyte, Madison Young, Elvina Ibraimova, Ksenia Shevtsova, Carollina Bastos
Tänzer Osiel Gouneo, Jinhao Zhang, Jakob Feyferlik, António Casalinho
Faun
Choreographie Sidi Larbi Cherkaoui
Musik Nitin Sawhney, Claude Debussy
Musikalische Leitung Andrew Litton
Bühne und Licht Adam Carrée
Kostüme Hussein Chalayan
Einstudierung Daisy Phillips, James O’Hara
Tänzerin Margarita Fernandes
Tänzer António Casalinho
Bayerisches Staatsorchester
Das Frühlingsopfer
Inszenierung und Choreographie Pina Bausch
Musikalische Leitung Andrew Litton
Musik Igor Strawinsky
Bühne und Kostüm Rolf Borzik
Mitarbeit Hans Pop
Künstlerische Leitung Azusa Seyama-Prioville
Probenleitung Pau Aran Gimeno, Luiza Braz Batista, Kenji Takagi, Clémentine Deluy, Anna Wehsarg
Adaption Bühnenbild Gerburg Stoffel
Adaption Kostüme Petra Leidner
Adaption Licht Jo Verlei
Tänzerinnen Carollina Bastos, Maria Chiara Bono, Ana Gonçalves, Zhanna Gubanova, Jasmine Henry, Elvina Ibraimova, Marina Mata Gómez, Elisa Mestres, Laura Orsi, Capucine Perrot, Phoebe Schembri, Laurretta Summerscales, Chelsea Thronson, Anastasiia Uzhanskaia, Megan Wefel, Madison Young
Tänzer Simon Adamson-De Luca, Tommaso Beneventi, Severin Brunhuber, Matteo Dilaghi, Finn Faulconer, Lars Philipp Gramlich, Noah Hak, Konstantin Ivkin, Nikita Kirbitov, Arturo Lizana García, Pablo Martínez, Ariel Merkuri, Sergio Navarro, Zachary Rogers, Soren Sakadales, Frederick Stuckwisch
Bayerisches Staatsorchester