Mit einer glänzenden „Così fan tutte“ ist Garsington nunmehr das „zweite Glyndebourne“

Wolfgang Amadeus Mozart, „Così fan tutte“  Garsington Opera, 10. Juni 2022

Garsington Opera, 10. Juni 2022

Nach einer grandiosen Vorstellung der „Nozze di Figaro“ im weltberühmten Glyndebourne hatte ich das Privileg am anderen berühmten Sommerfestival, der Garsington Opera, die dritte und letzte in der Trilogie drei unsterblichen Mozart/Da Ponte – Opern zu genießen: „Così fan tutte“. Und ich nehme das Risiko, mich zu wiederholen, bewusst in Kauf: Waren die „Nozze“ in Glyndebourne die musikalisch und szenisch beste Darstellung dieser Oper, an die ich mich zu erinnern vermag, so gilt dasselbe für diese „Così“ im knapp zwei Autostunden von Glyndebourne entfernten Garsington. Dieses ebenso prachtvolle Landgut mit seinem in wunderbar leichter, durchsichtiger Architektur erstellten Operngebäude hat sich als „zweites Glyndebourne“ profiliert, das den Vergleich mit der wesentlich älteren und berühmteren Spielstätte keineswegs scheuen muss.


Wolfgang Amadeus Mozart, Lorenzo Da Ponte (Libretto), „Così fan tutte“

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

Garsington (auf dem Landgut Wormsley Estate der Getty-Familie) ist mit Glyndebourne vergleichbar – und doch ziemlich anders: ungleiche Schwestern. Garsington wurde gegründet 1989 vom Financier Leonard Ingrams, ist also um Jahrzehnte jünger als Glyndebourne. Ursprünglich auf dessen Landgut (und mit dem „Figaro“ eröffnet…) gab es bald Probleme mit den offenbar wenig Opern-affinen Nachbarn und Klagen wegen Lärmbelästigung. 2010 übersiedelte das Festival auf das herrliche Getty-Landgut mit seinen „rolling hills“, welche die Landschaft des südlichen England prägen.

Hier wurde ein transparenter Pavillon aus Glas und Stahl errichtet – hervorragende Architektur und eine Konstruktion, die ursprünglich jeden Winter vollständig demontiert werden sollte. Doch das Provisorium blieb – und der von Tageslicht (und allmählich mit zunehmender Dunkelheit von Scheinwerfern) durchflutete Zuschauerraum für 600 Personen ist inzwischen permanent. Die durchsichtige Leichtigkeit des Baus unterscheidet sich vom Opernhaus Glyndebourne, das eine architektonisch bemerkenswerte, geschlossene Konstruktion aus Backsteinen und Holz aufweist. Doch Garsingtons Opernhaus ist perfekt für Sommerfestspiele in dieser herrlichen Landschaft, welche durch die Fenster schimmert.

Höchst raffiniert wirft die Sonne ihre Strahlen auf das Bühnenbild; nach der Pause wirft die Abendsonne ihre letzten, rötlichen Strahlen in den Zuschauerraum und ganz allmählich übernehmen die Scheinwerfer die Bühnenbeleuchtung. Dieses Opernhaus integriert sich optimal in die englische Landschaft mit ihren sattgrünen Wiesen, auf denen hier, im Gegensatz zu Glyndebourne (wo ganze Schafherden vornehm gewandeten Picnic-Gäste umringen), zahme Rehe weiden.

Denn auch hier ist das ausgedehnte, aufwändige Picnic in der grossen Pause Tradition – und das Tenue Abendkleid für die Ladies und Smoking/Dinner Jacket für die Lords ist wie in Glyndebourne „de rigeur“. Doch Garsington wirkt leichter, mehr lebensfroh und etwas weniger versnobt als Glyndebourne – vor allem verzichtet man hier im Gegensatz zu Glyndebourne bewusst weitgehend auf Firmen-Buchungen, „Corporate Entertainment“ – und die offene Landschaft, in deren Mitte das fantastische Opernerlebnis stattfindet, ist womöglich noch schöner als jene um Glyndebourne: Weit auslaufende Hügel und im Zentrum der Anlage ein großer Teich. Eine Reihe von Zelten für die Picnic-Gäste, nachts romantisch erleuchtet, säumt das Grundstück auf dem sich übrigens auch Englands größter Cricket-Platz befindet.

Doch zur Aufführung selbst: Ein großartiger Wurf, intelligent, bis ins letzte Detail durchdacht, und spritzig. Musikalisch hervorragend – das renommierte „English Concert“ unter Tobias Ringborg bringt Mozart herrliche Musik als von Lebensfreude sprühendes Feuerwerk wechselnd mit subtil gezeichneten, sinnlich-nachdenklichen Passagen. Die kluge Inszenierung (John Cox) beginnt mit einem brillanten Don Alfonso (Henry Waddington) als Croupier vor einem Roulette-Spieltisch. Brillante Idee – für Alfonso ist das Ganze schließlich eine Art Glücksspiel… Der aus Kent stammende Bass-Bariton Waddington verlieh Don Alfonso nicht nur eine überaus maskuline, an Wärme und Tiefe reiche Stimme, sondern auch eine faszinierend facettenreiche Persönlichkeit, in ihrer ganzen Spannweite von gescheitem, verschmitzten Humor bis zur maliziösen Bosheit, mit der er sein emotional brandgefährliches  Roulette in Bewegung setzt.

Dem einzigartigen Waddington gebührt die Palme unter den Sängern – doch der unerwartete Star des Abends unter den Sängerinnen war die phänomenale Fiordiligi der jungen englischen Sopranistin Camilla Harris, die erst kürzlich von der Royal Academy Opera graduierte. Harris musste kurzfristig Camila Titinger ersetzen und sie erklomm mit ihren drei überaus anspruchsvollen Arie höchste Höhen: Eine warme Stimme mit reichem Timbre und raumfüllender Strahlkraft, präzis in den Koloraturen und bewegend in den lyrischen Passagen. Die Dorabella der englischen Mezzosopranistin Polly Leech, nicht weniger bewegend und begeisternd in ihrer Lebensfreude und Kühnheit, mit der sie ihrer anfangs etwas zögerlichen Schwester Fiordiligi um eine Nasenlänger voraus eilt, als es darum geht, dem Werben der beiden Fremdlinge nachzugeben.

Diese, humorvoll und stimmlich exzellent verkörpert von Tenor Gavan Ring (Ferrando) und Bariton Seàn Boylan (Guglielmo), traten als kongeniale Partner der beiden Schwestern auf. Mit umwerfender Komik und geradezu akrobatischen Koloraturen schließlich die Despina der irischen Sopranistin Ailish Tynan – die ideale Partnerin dieses grandiosen Don Alfonso, nicht weniger maliziös und pragmatisch als er!

Der Ausgang dieses Menschen-Experiments mit zwei Paaren ist bekanntlich höchst zwiespältig und offen – Regisseure fanden und suchten während Jahrhunderten ein überzeugendes Ende dieser Oper, welche trotz turbulentem Humor zur Nachdenklichkeit zwingt.

John Cox fand eine bemerkenswerte Lösung: Aus dem von Don Alfonso erfundenen „Krieg“ wurde ein richtiger, nämlich der „Great War“, der Erste Weltkrieg, in den Ferrando und Guglielmo am Schluss der Oper in ihren nunmehr authentischen englischen Militäruniformen einrücken – ohne sich für die alte oder die neue Partnerin entscheiden zu müssen.

Dr. Charles E: Ritterband, 14. Juni 2022, für
klassik-beigeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Musikalische Leitung: Tobias Ringborg
Regie: John Cox
Bühne: Robert Perdziola

Don Alfonso: Henry Waddington
Despina: Ailish Tynan
Fiordiligi: Camilla Harris
Dorabella: Polly Leech
Ferrando: Gavan Ring
Guglielmo: Seàn Boylan

The English Concert
Garsington Opera Chorus

Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro Glyndebourne, 9. Juni 2022

Wolfgang Amadeus Mozart, Cosí fan tutte, English National Opera, London Coliseum, 20. März 2022

Le Nozze di Figaro, Wolfgang Amadeus Mozart Staatsoper Hamburg, 6. Juni 2022

 

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