Tolle Stimmen, ermüdende Klein-Klein-Inszenierung.
Den stärksten Eindruck hinterlässt Federica Lombardi als Fiordiligi. Ihre beiden virtuosen Arien werden zum umjubelten Höhepunkt des Abends. Ihr Sopran ist in allen Lagen souverän geführt, hat Fülle, Substanz und ein breites Farbenspektrum.
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, Premiere am 3. Oktober 2021
Wolfgang Amadeus Mozart
Così fan tutte
Fiordiligi Federica Lombardi
Dorabella Marina Viotti
Guglielmo Gyula Orendt
Ferrando Paolo Fanale
Despina Barbara Frittoli
Don Alfonso Lucio Gallo
Dirigent Daniel Barenboim
Regie Vincent Huguet
Lucio Gallo (Don Alfonso), Federica Lombardi (Fiordiligi), Marina Viotti (Dorabella), Barbara Frittoli (Despina), Gyula Orendt (Guglielmo). Credits: Matthias Baus
von Peter Sommeregger
Die Berliner Staatsoper Unter den Linden hat den französischen Regisseur Vincent Huguet für die Inszenierung aller drei Da-Ponte-Opern Mozarts verpflichtet. Den Anfang sollte „Così fan tutte“ machen, aber der Pandemie wegen wurde „Le nozze di Figaro“ vorgezogen, und in einer wenig befriedigenden Form präsentiert.
Im Programmheft zur „Così“-Premiere legt Huguet seine Ideen über die drei Werke in einem längeren Artikel dar, zu sehen bekommt man aber auf der Bühne erneut eine Demonstration szenischen Leerlaufes und Unvermögens. Huguet gelingt es, in jeder Situation etwas ausgesprochen Unpassendes zu zeigen, selbst wenn man die Grenzen des guten Geschmacks weit fasst. Schon in der ersten Szene scheint man sich in einem Swingerclub zu befinden, im Laufe des bleiern verlaufenden Geschehens schält sich die Erkenntnis heraus, dass hier wohl die 1960er-Jahre abgebildet werden sollen, spätestens herum stehende Designermöbel weisen den Weg dazu. In der Folge wird auch reichlich überflüssige Statisterie in bunten Gewändern, teilweise auch nackt auf die Bühne gebracht, Hasch geraucht und was der ungemein originellen Einfälle mehr sind. Der Regisseur verzettelt sich rettungslos im Klein-Klein, was über drei lange Stunden nur ermüdend wirkt.
Am Pult der verlässlich konzentriert und facettenreich aufspielenden Staatskapelle steht der Hausherr Daniel Barenboim. Keine Frage, er kennt diese Partitur und musiziert sie tadellos aus, aber speziell im zweiten Akt geraten ihm die Tempi etwas zu breit. Die Così strotzt nur so vor Witz, Ironie, Zynismus, das sollte sich auch in einem etwas pointierteren Klang wiederfinden. Die Sänger, die Barenboim zur Verfügung stehen, liefern ausnahmslos große Leistungen ab, wenn sie auch zum Teil mit den breiten Tempi zu kämpfen haben.
Gyula Orendt als Guglielmo erfreut mit voll strömendem Bariton, und einem sehr individuellen Timbre. Paolo Fanales Ferrando mischt sich mit Orendts Stimme perfekt, er hat die für diese Rolle passende „Träne im Knopfloch“. Gegen Ende der Aufführung machen sich aber bei ihm leichte Erschöpfungssymptome bemerkbar. Marina Viotti gibt der Dorabella mit ihrem schlanken, agilen Mezzo Kontur und Persönlichkeit. Den stärksten Eindruck hinterlässt Federica Lombardi als Fiordiligi. Ihre beiden virtuosen Arien werden zum umjubelten Höhepunkt des Abends. Ihr Sopran ist in allen Lagen souverän geführt, hat Fülle, Substanz und ein breites Farbenspektrum.
Es ist Mode geworden, den Spielmacher Don Alfonso mit einem reifen Sänger, die Partie der Zofe Despina mit einem ebensolchen Sopran zu besetzen. Für diese Aufführung hat man Lucio Gallo aufgeboten, der immer noch über ein großes Stimmvolumen verfügt, das er aber nicht mehr so fokussiert einsetzen kann, wie es wünschenswert wäre. Auch Barbara Frittoli ist stimmlich präsent, aber stellenweise fehlt es ihr leider inzwischen am Volumen. Insgesamt ist die Sängerbesetzung ausgewogen auf höchstem Niveau. Der bei Mozart so wichtige Zusammenklang der Stimmen funktioniert perfekt. Mit geschlossenen Augen hätte es ein Fest sein können, so ist es aber mehr Sprudel als Sekt, vom Champagner ganz zu schweigen.
Peter Sommeregger, 4. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sehr geehrter Herr Kollege!
Ihre Begeisterung für Federica Lombardi kann ich verstehen. Am 29. November 2019 erlebten meine Frau und ich Frau Lombardi als stattliche, selbstsichere und resolute Donna Elvira in der Wiener Staatsoper. Wir überlegten, ob nicht für Don Ottavio ein solcher Typ eine heilsame Ergänzung wäre.
Mit besten Grüßen
Lothar Schweitzer
Ich bin immer wieder erschüttert, dass Regisseure die Oper nicht ernst genug nehmen. Billige Gags sind nicht nur nicht hilfreich. Text und vor allem die Musik zeigen doch so deutlich die seelischen Qualen, die für alle!! Beteiligten aus einem Spiel Ernst werden lassen: Wer mit wem, was habe ich angerichtet? Für was hat mich Alfonso missbraucht?
Das Duett Fiordiligi-Ferrando zeigt mehr als deutlich Ferrandos plötzliche Erkenntnis seiner Qual.
Beim Versöhnungstrunk singt Guglielmo „Ich wollt, sie würden Gift trinken“ als einziger in Moll.
Was war Alfonsos Idee zu dieser Wette? Schule? Zynismus?
Ich habe auch von Rezensenten nie Frage oder Antworten gehört.
Schade!
Renate Schulze