Mozart-Glück mit sparsamsten Mitteln: "Die Entführung aus dem Serail" in der Pasinger Fabrik München

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail,  Pasinger Fabrik München, 21. Dezember 2019

Foto: © Fotografie Pokorny

Pasinger Fabrik München, 21. Dezember 2019

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail

von Gabriele Lange

Bassa Selim ist ein Großkünstler mit Verlustängsten und spießigen Eltern. Und Konstanze eine biedere Dame auf Selbstverwirklichungstrip. Mozart macht Spaß in Münchens kleinstem Opernhaus!

Perfektion und Anspruch

Renommierte Sänger, ein vielköpfiges Orchester, eine geräumige Bühne, auf der Chor und Ballett Platz finden, ihr Können zu zeigen, ein aufwendiges Bühnenbild, eindrucksvolle Kostüme, dazu ein Regiekonzept, das sich womöglich erst durchdringen lässt, wenn man ein ordentliches Abitur hat, regelmäßig das FAZ-Feuilleton liest und das mit Anspielungen und Zitaten gespickte Programmheft durcharbeitet. Dazu ein aufmerksam und still (rrrräusperrrrr …) lauschendes, feierlich gekleidetes Publikum: Fertig ist das Klischeebild eines Opernabends. Beim einen oder anderen löst das womöglich Schwellenängste aus – oder einfach das Gefühl: Da passe ich nicht rein. Und von klassischer Musik hab ich eh keine Ahnung.

Leidenschaft

Und dann gibt es Musik- und Theaterbesessene, die mit spartanischen Mitteln, aber jeder Menge Engagement und Herzblut loslegen. Und die es schaffen, dass Menschen einfach Spaß an einer Oper bekommen – und sich die Tür zur Schönheit öffnet.

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Gemütliche Bonsai-Oper

So etwas lässt sich in „Münchens kleinstem Opernhaus“ finden. Hier kann man ungezwungen Mozart genießen und dazu ein Augustiner oder eine Schorle trinken. Da nimmt man auch mal gern die Kinder oder die Oma mit. Die Entführung aus dem Serail wurde im Sommer bereits in der Pasinger Fabrik gespielt, nun war die Premiere zur Wiederaufnahme der Produktion.

Fünf Sänger, zwei Schauspieler, ein zehnköpfiges Orchester. Eine Halle mit mäßiger Akustik, auf der Bühne ein Tisch, zwei Hocker, zwei Holzkisten mit Teppichstücken drauf, ein paar Säulenstümpfe als Künstleratelier und über den eng gedrängten Musikern ein kleiner Aufbau mit Osmins Junggesellenbude. Das war es schon fast. Doch was an Ressourcen fehlt, wird hier durch Fantasie und Liebe wettgemacht.

Bassa als berühmter Bildhauer

Stefan Kastner, der Regisseur, von dem auch die Dialogfassung stammt, hatte keine Lust auf eine politische Interpretation. Sein Serail ist eine Künstlerkommune in den 1980-ern. Guru Bassa Selim heißt eigentlich Erwin Lindner. Der Kunstprofessor hat sich mit seinen Schülern – der geliebten Konstanze sowie Blondy, Camille und Pedrillo nach Sizilien zurückgezogen.

Mädchen für alles ist Osmin, der den Bildhauern und Malern auch ungebetene Gäste vom Hals hält. Lord Bellmont macht sich aus Sehnsucht auf die Reise, um seine Frau Konstanze zurückzugewinnen. Derweil feiert Bassa seinen 50. Geburtstag. Böll, Warhol, ja Richard von Weizsäcker haben gratuliert. Eine TV-Kultursendung berichtet auch – man interviewt die Eltern, die immer noch nicht verwunden haben, dass der Bub keine Lehre bei der Kreissparkasse gemacht hat.

Und Konstanze kommt ins Grübeln – will sie nicht doch lieber zurück zum Gatten? Derweil versucht Osmin die unentschlossen mit Pedrillo anbandelnde Blondy mit Fischstäbchen aus der Mikrowelle zu bezirzen. Und schließlich kommt es, wie es kommen muss …

Einfallsreich
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Aus einem Briefkasten wird mit durchgeschobenem Rohr mal eben eine Kanone. Lord Bellmont kauft sein Zugticket mitten im Publikum. Die Reise durch die Alpenromantik gibt’s per Videoleinwand zu sehen. Das Publikum ist das Meer zwischen Festland und Sizilien – Bellmont legt die Strecke auf einem Schiff aus Pappmaché zurück. Später springt er wie Mary Poppins mit einem Regenschirm aus dem Flugzeug auf Bassas Anwesen ab – natürlich erst, nachdem er vorher ein paar gestikulierte Sicherheitsanweisungen von der Stewardess erhalten hat …

Toll gespielt

Die Partien sind mehrfach besetzt – deshalb kann ich nur über diesen Abend berichten: Alle Akteure schmeißen sich mit Elan in ihre Rollen. Rainer Haustein als Bassa Selim ist ein charismatischer Großkünstler im Stil von Alfred Hrdlicka oder Joseph Beuys, angewiesen auf die Liebe und Bewunderung seiner Schülerinnen, die er mit Lob und pathetisch vorgebrachten Weisheiten füttert.

Yvonne Steiner ist eine Konstanze, die auch als Künstlerin ihren Kern als Dame der besseren Gesellschaft nie verleugnen kann – als sie schließlich einen langweiligen Blazer übers Flatterkleidchen zieht, ist klar, dass sie zu Lord Bellmont (Joan Ribalta) zurückgehen wird.

Camille, eine weitere Schülerin, wartet nur darauf – denn sie ist Bassa mit Hirn und Herz verfallen. Regina Speiseder spielt nicht nur diese Rolle überzeugend – sie zeigt als Stewardess auch großes komisches Talent.

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Der von Bassa als unbegabt gedemütigte Pedrillo (Michael Etzel) ist verständlicherweise an der vor Spielfreude und Talent überschäumenden Blondy Dafne Boms interessiert – ebenso wie Osmin Bernd Gebhardt, der sich tragikomisch zwischen maskuliner Widerborstigkeit und Ratlosigkeit bewegt. Im Lauf des Premierenabends merkt man, wie alle Beteiligten immer freier aufspielen. Es gelingen Szenen mit intimem Gefühl.

Frauen im Mittelpunkt

Die Frauenfiguren sind selbstbewusst, energisch, machen deutlich, was sie wollen – und was nicht. Und auch sängerisch konnten an diesem Abend besonders die Frauen überzeugen – Yvonne Steiner mit einem gefühlvoll-ausdrucksstarken Sopran und Dafne Boms mit frischen, glasklaren Koloraturen.

Was für ein beeindruckendes Orchester!

Eingesperrt auf engem Raum und unter akustisch schwierigen Bedingungen leisten die zehn Musiker unter Leitung des musikalischen Leiters Andreas P. Heinzmann schlicht Erstaunliches. Nach wenigen Minuten habe ich vergessen, dass ich hier eine stark verschlankte Besetzung höre und genieße einfach. Gefühl und Schönheit von Mozarts Musik leben auch in dem reduzierten Arrangement. Das Publikum spürt das: Beim Schlussapplaus werden gerade die Instrumentalisten enthusiastisch bejubelt.

Ohrwürmer – und ein respektvolles Publikum

Mozart hat Pop-Hymnen geschrieben. Manche seiner Arien braucht man nur ein-, zwei Mal zu hören, um sie wiederzuerkennen. Danach kriegt man sie oft nicht mehr aus dem Kopf. Und bekommt unwiderstehlich Lust, sie mitzusingen (ok, also ich auf jeden Fall mal…). Die Entführung hat Mozart verliebt komponiert – die gute Laune schimmert durch. Perfekt geeignet, um einfach einen schönen Abend zu haben und glücklich nach Hause zu gehen.

Und übrigens: Trotz Bewirtung und entspannt-vergnügter Atmosphäre wurde kaum geraschelt und gehustet – selbst die Kinder waren fast durchgehend leise und konzentriert. Da habe ich bei Arienabenden oder in der Staatoper schon ganz andere Geräuschkulissen und weniger respektvolles Verhalten erlebt …

Aufführungen gibt es bis Mitte Februar. Termine hier.

Gabriele Lange, 23. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de

Konstanze Yvonne Steiner

Bassa Selim Rainer Haustein

Lord Bellmont Joan Ribalta

Osmin Bernd Gebhardt

Blondy Dafne Boms

Pedrillo/Kassierer Michael Etzel

Regie und Dialogfassung Stefan Kastner

Musikalische Leitung Andreas Pascal Heinzmann

Arrangement Jörg-Oliver Werner & Andreas Pascal Heinzmann

Orchester

1. Violine Julia Mangold

2. Violine Christiane Lukas

Viola Gertrud Rudhart

Violoncello Thomas Wollenweber

Kontrabass Daniel Pytel

Flöte Christiane Steffens

Klarinette Christophe Gördes

Oboe Andrea Kempff

Fagott Ruth Gimpel

Horn Aleksandar Crnojević

 

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