Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail
Staatsoper Hamburg, 14. Juni 2017
von Leon Battran
Turban, Pluderhosen, spitze Schuhe, sandsteinfarbene Palastmauern, die hoch in die Luft ragen, umgeben von riesigen hölzernen Palmen. Allem exotischen Sujet und orientalischen Anstrich der Szenerie zum Trotz erklingt Wolfgang Amadeus Mozarts Musik heimelig und mit der Klarheit und Tiefe, die man kennt – die einen trotzdem wieder aufs Neue überrascht. Die Entführung aus dem Serail ist ein deutsches Singspiel und ein türkisches Märchen.
Belmonte begibt sich auf Reisen, um seine heißgeliebte Konstanze wiederzufinden. Verschleppt und verkauft sitzt die Herzensdame nun mitsamt ihrer Zofe Blonde und Belmontes Diener Pedrillo im Palast des Herrschers Bassa Selim fest. Der Bassa wirbt um Konstanze, jedoch ohne Erfolg. Denn ihr Herz gehört allein Belmonte. Mit Pedrillos Hilfe gelingt es Belmonte, den grantigen Aufseher Osmin zu überlisten, in den Serail zu gelangen und schließlich mit ihren Frauen auszubrechen. Jedoch misslingt der Plan und die Flüchtigen werden von Bassa Selim ergriffen. Überraschenderweise zeigt der Sultan am Schluss den Großmut, allen die Freiheit zu schenken.
Die Inszenierung von Johannes Schaaf kann bereits auf eine beachtliche Tradition zurückblicken: Am 2. Mai 1993 feierte Die Entführung aus dem Serail Premiere an der Hamburgischen Staatsoper und wurde hier nunmehr zum 59. Mal gespielt. Eng am Sujet und klassisch im Bühnen- und Kostümbild hält diese Entführung so manche dramaturgische Raffinesse, zuweilen auch Opulenz bereit.
So fährt Konstanze mit einem sich drehenden Kirmeskarussell auf die Bühne. Bunte Lichter leuchten. Auch eine Blaskapelle ist darauf postiert und spielt einen Janitscharenmarsch. Konstanze selbst thront teilnahmslos auf einem Schimmel und trägt eine Sonnenbrille im Gesicht. Ein ebenso starkes wie groteskes Bild, das sehr wirkungsvoll die Tragik dieser Figur beschreibt; Konstanze, der es an Luxus und Annehmlichkeiten nicht mangelt und die doch so sehr leidet.
Dies ist sicherlich die schwierigste Partie der Oper, verkörpert Konstanze doch am meisten das seria-Moment in Mozarts über viele Teile heiter-buffoneskem Singspiel. Laura Aikin empfand ihre Konstanze mit Herzblut und großer Leidensbereitschaft. Mozart komponierte gesangliche Achterbahnfahrten, bei denen man schon mal ins Straucheln kommen kann. Mit dem Vibrato geizt Aikin nicht, die Koloraturen geraten aber zuweilen etwas trocken, und die enormen Höhen ihrer Auftrittsarie scheinen der Sopranistin sichtlich Mühe zu bereiten. Szenenapplaus gibt es trotzdem und für ihre große Arie Marter aller Arten im zweiten Akt zudem ein lautes „Brava!“ aus dem Publikum.
Mit Dovlet Nurgeldyev hat die Hamburgische Staatsoper einen ausgezeichneten lyrischen Tenor im Ensemble. Für die erste Arie Belmontes Hier soll ich dich denn sehen gab es prompt Sonderapplaus – zurecht! Der turkmenische Tenor trumpfte mit einer Herzen schmelzenden Stimmfarbe auf, die alle Aufmerksamkeit auf sich vereint, er brillierte in allen Registern, vollführte nahtlos den Wechsel in die Kopfstimme. Mit fließenden Koloraturen und ebenso weichen wie präzisen Phrasierungen war das Oper zum Wohlfühlen.
In schimmerndem A-Dur erklingt Belmontes Arie O wie ängstlich, o wie feurig (klopft mein liebevolles Herz). Belmonte verleiht hier seinen Gefühlen für Konstanze Ausdruck, stellt das Wiedersehensglück aber auch in Frage. Sanft pulsierende Violin-Oktaven drücken das Herzklopfen aus. Mit ihrer reizvollen Chromatik und dem schwelgerisch beschwingten Refrain entpuppt diese Arie sich als echter Ohrwurm. Mozart selbst favorisierte sie.
Sonnige Frische und Spielfreude strahlte die Sopranistin Sybilla Duffe in der Rolle der Blonde aus. Die blonde Bayerin agierte auf der Bühne mit betörender Leichtigkeit. Auch sie erhielt Sonderapplaus für ihre neckische Auftrittsarie und ihr kleines Scharmützel mit Osmin dem Aufpasser, bei dem sie jedoch stets die Oberhand behält.
Der Bass Wilhelm Schwinghammer interpretierte seinen Osmin als sympathisch-harmlosen Unhold, über den man gerne lacht. Mit prägnantem und sonorem Timbre ohne allzu schwellendes Vibrato meisterte der Hamburger Ensemblesänger in Aladdin-Schuhen seine Partie äußerst gekonnt. Lustig ist, dass er auch die gesprochenen Passagen mit seiner Gesangsstimme bestreitet.
Der Tenor Thomas Ebenstein gab den Pedrillo. Auch ihm gelang es, das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Seine Figur hat besonders viel gesprochenen Text. Das Highlight ist jedoch seine gesungene Romanze In Mohrenland gefangen war, bei der er sich auf der Mandoline begleitet (Zupfen tut aber nur das Orchester).
Zu träge präsentierte sich an diesem Abend das Philharmonische Staatsorchester. Ab und an machte es mit Forte-Einsätzen und rasselndem Schlagwerk auf sich aufmerksam, ließ aber stellenweise Spannung und Präzision vermissen. Der Dirigent Johannes Fritzsch sollte hier noch deutlich anziehen. Ein weiterer Wermutstropfen: Die Kommunikation zwischen Orchestergraben und Bühne schien stellenweise immer wieder verloren zu gehen, sei es weil die Sänger nicht genau auf Schlag sangen oder weil das Orchester schleppte.
Leon Battran, 16. Juni 2017 für
klassik-begeistert.de