Staatsoper Hamburg: "Ádám Fischer lebe lang!"

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail  Staatsoper Hamburg, 6. Oktober 2022

Foto: Jörg Landsberg ©

Staatsoper Hamburg, 6. Oktober 2022

Die Entführung aus dem Serail
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto von Johann Gottlieb Stephanie

Würde dieses Haus doch immer so spielen, dann wäre Hamburg wieder eine wahre Musikstadt und die Oper am Gänsemarkt – wie in alten Zeiten – ein Haus von Weltruf. Luftiger Gesang fusioniert mit lustigem Schauspiel in einer Inszenierung ebenso kurz und knackig wie ihre Schöpfung: Das war Singspiel at its finest!

Johannes Karl Fischer

Nein, David Bösch und sein Team haben hier keine spektakulären Szenen wie im Don Pasquale zur Schau gebracht, Minimalismus ist angesagt. Ein paar Matratzen auf der Bühne, viel Personenregie ist im Spiel. Der Dirigent winkt den Osmin noch kurz zurecht, ein bisschen weiter links soll er stehen, bevor die nächste Nummer startet. Geplant oder eine kurze Korrektur?

Es wirkt – auch im zweiten Jahr – alles sehr spontan. Gut so, genau das, was dieses Genre braucht. Keine ausgefeilten, auf Perfektion inszenierten Witze, so nach dem Motto: „Jetzt bitte lachen!“. Gelacht wird, weil es was zum Lachen gibt. So war das zu Mozarts Zeiten, so kommt es am natürlichsten. Und: Zwei Wochen hatte die Regie damals, um ein Konzept für Schauspiel und Bühne auf die Beine zu stellen.

Spontaner hätte auch die Besetzung nicht sein können: Dramaturgin Janina Zell tritt vor den Vorhang und kündigt gleich zwei – von sechs Rollen – Umbesetzungen an. Jaron Löwenberg (Bassa Selim) soll die szenische Einweisung erst wenige Stunden vor Öffnen des Vorhangs gekriegt haben. Dafür war er aber ganz schön gut. Mit voller Natürlichkeit spielt er einen Bassa, entführt erst Konstanze und will sie sich dann zur Frau nehmen. Alles freiwillig, behauptet er. Schmarren, er ist ein Verbrecher wie ein Mafia-Boss, der seinen Geiseln die Knarre an den Kopf hält und ihnen anbietet, „freiwillig“ zu kooperieren.

Ante Jerkunica gab einen überzeugenden, donnernden Diener Osmin. Er ist der Böse, noch schlimmer als sein Vorgesetzter, singt voller Freude darüber, die Gefangenen erhängt zu sehen. Ganz locker sitzen die Tiefen Ds mit dunkler Stimme, die wohl anspruchsvollste Partie des Werks singt er mit links. Das ist die Mozartliche Leichtigkeit, von der alle immer so schwärmen!

Foto: Jörg Landsberg

Die auch die beiden Tenöre, Belmonte (Oleksiy Palchykov) und Pedrillo (Daniel Kluge) bestens zu pflegen wussten. Palchykov ist ein Mozart-Tenor, wie er im Buch steht, lyrisch, hell, trotzdem ein möchtegern-Held. Seine Stimme strahlt durchs Haus, die Koloraturen der Arie „Oh wie ängstlich!“ segelt er mühelos auf und ab, sanft und trotzdem kraftvoll.

Foto: Staatsoper Hamburg

Der eigentliche Held der Handlung ist natürlich Pedrillo. Fröhlich feiert er und hoppst mit Osmin auf der Bühne rum, in der Hoffnung, letzteren mit seinem Bier zu betäuben. „Vivat Bacchus! Bacchus lebe!“, Party-Stimmung auf der Bühne, samt vollem Einsatz der großen Trommel im Graben. Zu früh gefreut, er wird vom Bassa entdeckt.

Sinn und Zweck seines Eifers ist natürlich die Befreiung von Konstanze und Blonde. Katrina Galka (Blonde) war die zweite Einspringerin des Abends und meisterte ihre Aufgabe als Koloratursopranistin mit Bravour. Mit luftiger Stimme prophezeit sie Freud und Jubel, auch schauspielerisch ist sie ganz in der Rolle, macht sich mächtig lustig über Osmins Behauptung, sie sei seine Sklavin.

Demgegenüber war Hulkar Sabirova eine Konstanze mit voluminöser, lyrischer Stimme. Langegezogene Linien, sanfte Melodien, einfach himmlischer Gesang. Eine höchst emotionale Rolle, wenn sie von Schmerz und Tränen singt, fühlt man mit, beginnt gar zu weinen. Tief erregend, diese Arien.

Foto: Staatsoper Hamburg

Die eigentliche Spitzenleistung herrschte aber im Graben, besser gesagt am Pult. Seit 2019 leitet Ádám Fischer Don Giovanni und die Entführung am Gänsemarkt. Und es ist jedes Mal ein neues Wunder, was für Klänge aus diesem Graben tanzen, wenn DER Mozart-Experte schlechthin Chef ist. Feurig und fetzig springt er auf dem Podium herum, diese Energie spüren wohl endlich auch die Musizierenden und das Publikum erst recht!

Foto: Staatsoper Hamburg

Es macht auf einmal wieder Spaß, dem Staatsorchester Hamburg zuzuhören. Eine Lehrstunde für alle anderen OperndirigentInnen! Wenn jetzt auch noch der Chor mal so jubeln würde wie das Orchester… „Töne feuriger Gesang“ war höchstens im Libretto zu hören.

Man sollte dem Libretto noch eine Änderung – aus „Mohrenland“ wurde sehr passend „Nordseestrand“ – unterziehen: Statt „Bassa Selim lebe lang“ „Ádám Fischer lebe lang“!

Johannes Karl Fischer, 7. Oktober 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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